Ein Mann auf einer Luftmatratze im Meer vor Port d'Alcúdia, entspannt hält der groß gewachsene Österreicher eine Zigarette in der Hand. Auf anderen Bildern der Super-8-Aufnahmen trägt er eine Taucherbrille und Schwimmflossen, im Hintergrund ein Haus am Strand, getaucht in die intensiven Farben der 1970er. Es sind nicht einfach nostalgische Bilder aus Zeiten vor dem großen Touristenboom, sondern bislang unveröffentlichte Aufnahmen von Otto Skorzeny, Hitlers Mann für besondere Aufgaben. Der Altnazi, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Madrid lebte und ein Ferienhaus auf Mallorca besaß, ist Protagonist eines neuen Dokumentarfilms mit dem Titel „El hombre más peligroso de Europa, Otto Skorzeny en España" (Der gefährlichste Mann Europas, Otto Skorzeny in Spanien). Der Film rückt erstmals die Zeit Skorzenys in Franco-Spanien in den Vordergrund und kann dabei mit zahlreichen Dokumenten und Fotos aus dem persönlichen Nachlass aufwarten.

Der 67-minütige Film zeigt vor allem eines: Die Befreiung des italienischen Diktators Benito Mussolini im Jahr 1943, mit der sich Skorzeny schmückte und seine Karriere begründete, war nicht unbedingt der spannendste Aspekt seines Lebens, in jedem Fall nur eine von etlichen Facetten. „Er war ein Lebemann, ein Draufgänger, ein Nationalsozialist, aber auch ein Opportunist", sagt Pedro de Echave García, der den Film zusammen mit Pablo Azorín Williams verantwortet.

In der Dokumentation der mallorquinischen Produktionsfirma Quindrop spannen die beiden einen weiten Bogen, springen ­immer wieder zwischen den Jahrzehnten und lassen so viele internationale Zeitzeugen und Experten zu Wort kommen, dass man sich fragt, warum aus dem Recherche-Schatz nicht gleich eine Serie wurde. Premiere ist am 29. Januar im Club von „Diario de Mallorca" und Mallorca Zeitung in Palma. Anschließend wird der Film auf Festivals gezeigt sowie im Laufe des Jahres dann beim Regionalsender IB3 und dem ­spanischen Staatsfernsehen TVE, die die Dokumentation koproduziert haben. Auch die internationale Vermarktung ist in der Planung.

Er mischte überall mit

Man könnte die Aufarbeitung der Lebensgeschichte Skorzenys in drei Abschnitte teilen. Ein erstes Kapitel ist die hinlänglich bekannte Nazi-Laufbahn. Der österreichische Offizier der Waffen-SS setzte sich bei der Befreiung Mussolinis durch die Fallschirmjäger so geschickt in Szene, dass er zum SS-Sturmbannführer befördert und fortan von Hitler mit besonders heiklen Aufgaben betreut wurde. Ein weiterer Bereich ist Skorzenys zweite Karriere vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs, als Strippenzieher beim Militärabkommen zwischen den USA und Spanien, als Wirtschaftsmann mit gesellschaftlicher Bekanntheit in Madrid.

Und ein drittes Kapitel schließlich ist noch nicht zu Ende geschrieben: Skorzeny und seine angebliche Kooperation mit dem israelischen Geheimdienst Mossad, der mysteriöse Tod des am ägyptischen Raketenprogramm beteiligten Rüstungsexperten Heinz Krug, gar eine Verbindung zu Kreisen, die in einem Atemzug mit dem Attentat auf den US-Präsidenten John F. Kennedy genannt werden. „Einige Aspekte mussten wir schließlich ganz weglassen, um den Zuschauer nicht zu überfordern", so Pablo Azorín Williams.

Spurensuche in North Carolina

Die Dokumentation kreist vor allem um den Nachlass des 1975 an Lungenkrebs verstorbenen Österreichers, Dokumente, die seine Witwe kurz vor ihrem Tod einer befreundeten spanischen Familie überlassen hatte. Weil sich keine öffentliche Institution für sie interessierte, gab Familiensohn Luis María Pardo den Nachlass 2012 in eine Internet-Auktion. Den Zuschlag bekam ein Ex-Soldat und Historiker in North Carolina, Major Ralph P. Ganis. Dieser gewährt den Autoren der Dokumentation Einsicht in die bislang erst zum Teil gesichteten Unterlagen, darunter falsche Reisepässe, Verzeichnisse, Briefe, Kontoauszüge, Fotos. Es wird klar: Skorzeny hatte beste Verbindungen zu untergetauchten Nazis etwa in Südamerika. Dem Nationalsozialismus schwor er nie ab, wie auch im Ausschnitt eines WDR-Interviews von 1973 vor seinem Haus auf Mallorca klar wird: Er sei nun einmal Soldat gewesen und hätte alles wieder genauso gemacht.

Bei der Entnazifizierung nach dem Krieg fiel er dennoch durchs Raster. Skorzeny, der sich bei Kriegsende freiwillig den Alliierten gestellt hatte und zunächst interniert worden war, wurde bei den Dachauer Prozessen dank der Zeugenaussage eines britischen Soldaten freigesprochen und dann in einem Entnazifizierungszentrum in Darmstadt 1948 von ­Alliierten abgeholt. Mit deren Hilfe tauchte er unter und reiste unter falschem Namen nach Spanien. Mit seinem Wissen und seinen Verbindungen war er offenbar zu wertvoll, um für seine Rolle im NS-Regime belangt zu werden - zumal er sowohl mit den Alliierten als auch später mit Israel geschmeidig kooperieren sollte.

Als sich Skorzeny Anfang der 50er-Jahre in Madrid niederließ, verfügte er schnell wieder über ein Netzwerk, auch dank der Verbindung zum Journalisten und Schriftsteller Víctor de la Serna. In den gesellschaftlichen Kreisen Franco-Spaniens war der Österreicher für viele weiterhin ein Held, auch nach dem Ende des Dritten Reiches. Eine Uhr mit persönlicher Gravur, die er als Dankeschön für die Aktion zur Rettung von Mussolini geschenkt bekommen hatte, soll er zeitlebens am Handgelenk getragen haben. Schon bald trat er mit richtigem Namen in der Öffentlichkeit auf und ­entwickelte eine rege Reisetätigkeit. Internationale Geldflüsse und Handelspartner sind im Nachlass im Detail dokumentiert. Demnach hat Skorzeny unter anderem beim 1953 mit den USA abgeschlossenem Militärabkommen dafür gesorgt, dass deutsche Firmen beim vereinbarten Bau von US-Stützpunkten in Spanien an Regierungsaufträge gekommen seien.

Ärger auf Mallorca

Zu Wort kommt auch die Tochter des SS-Mannes, Waltraut Riess. In ihrer Wohnung in Wien berichtet sie von ihren Erinnerungen an ihren Vater und an Mallorca. Ein Enkel hat Super-8-Filme aus dem damaligen Inselurlaub digitalisiert und stellte sie für die Dokumentation zur Verfügung. Nur hier auf Mallorca schien Skorzeny anzuecken, wenn auch nicht wegen seiner politischen Gesinnung oder Vergangenheit, sondern als Privatmann: Er verschaffte sich einen privaten Zugang zum eigentlich öffentlichen Strand. Der Mallorquiner Jaume Poma berichtet in der Dokumentation, wie er trotz der Absperrung weiterhin den Strand vor dem Haus zum Schwimmen aufsuchte. Da habe der Österreicher eines Tages sein Fahrrad gepackt und kurzerhand ins Meer geworfen. „Ich holte es aus dem Wasser und suchte das Weite", so Poma im Film. „Ich hatte die Hosen voll: Ich war ein Kind, und er war ein Schrank." Einige Tage später dann übergossen Anwohner die Absperrung mit Benzin und brannten sie nieder.