Dieser Artikel ist erstmals am 8.2.2020 erschienen.

Drei Jugendliche in Jogginghose unterhalten sich beim Rauchen und genießen die milde Wintersonne am Eingang des Gefängnisses in Palma de Mallorca. Einer von ihnen steht auf und kehrt mit einem Besen ein auf dem Parkplatz liegendes Papier auf. Die drei Gefangenen kümmern sich um die Reinigung des Außenbereichs der Haftanstalt. Ein weiterer Mann, der nur zu Besuch gekommen zu sein scheint und ebenfalls eine der charakteristischen Jogginghosen trägt, nähert sich den jungen Männern und stellt sich zum Rauchen zu ihnen. Er deutet in Richtung des ehemaligen Gefängnisses, auf der anderen Seite der Via de Cintura. „Da war ich. Lange ist's her", sagt er. „Lange" müssen in diesem Fall mindestens 20 Jahre sein.

Im Sommer 1999 wurde das ehemalige Gefängnis geschlossen und das aktuelle an der Landstraße nach Sóller eröffnet. Seitdem ist der Anblick der blauen Dächer, die von Metallzäunen umgeben sind, für viele Inselbewohner schon zur Gewohnheit geworden. Dabei wissen die wenigsten, was sich hinter diesen Mauern abspielt.

Extreme Sauberkeit

Das Erste, was sofort ins Auge sticht, sobald man das Gefängnisgelände betritt, ist die extreme Sauberkeit. Man sieht kein Stück Papier und auch sonst keinen Abfall am Boden liegen. Sauberkeit scheint in der Anlage, in der am Besuchstag 1.206 Häftlinge, darunter 69 Frauen, zusammenleben, fast eine Obsession zu sein. Die Inhaftierten sind auf 14 Module verteilt. Daneben gibt es eine Krankenstation, einen Bereich für Neuankömmlinge und einen ­weiteren für Gefangene, die als gefährlich ­eingestuft werden und deswegen zumindest zeitweise in Isolationshaft sitzen.

In Palmas Gefängnis gibt es derzeit vier dieser Inhaftierten (auf Spanisch als presos de primer grado ­bezeichnet). Die restlichen befinden sich im normalen geschlossenen Vollzug (segundo ­grado). Diejenigen, die ihre Gefängnisstrafe im offenen Zug verbüßen, also außerhalb einer Haftanstalt einer Arbeit nachgehen und dort nur übernachten, sind im Centro de Inserción Social (CIS, Zentrum für Soziale ­Eingliederung) in Son Malferit an der Flug­hafenautobahn untergebracht.

Wie ein kleines Dorf

32 Prozent der Häftlinge sind Nicht-Mallorquiner. Sie stammen aus 50 verschiedenen Ländern. Die meisten von ihnen sind Marokkaner, daneben gibt es auch einige Kolumbianer, ­Rumänen, Nigerianer, Italiener und auch ­Deutsche. „Ja, es ist wie ein kleines Dorf, ­umschlossen von Mauern", sagt Francisco ­Baldonedo, Leiter des Gefängnisses. „Es gibt ­sogar einige Dörfer, die weniger Einwohner ­haben." Baldonedo ist der Hauptverantwort­liche für den Alltag von über 1.200 Häftlingen und 500 Justizvollzugsbeamten, die hier leben oder arbeiten. „Es ist eine große Verantwortung, die 100 Prozent Einsatz fordert", sagt er.

Baldonedo bringt über 31 Jahre Erfahrung mit, vom Einsatz als Sozialpädagoge bis zur stellvertretenden Gefängnisleitung in Alcalá-Meco (Madrid). Seit zwei Jahren leitet er nun das Gefängnis in Palma. Er ist darum bemüht, eine Normalität zu vermitteln, die nur wenig mit Negativschlagzeilen und in Filmen vermittelten Stereotypen zu tun hat. „In unserem Gefängnis geht es meist sehr ruhig zu. Daher können wir uns auf andere Projekte konzentrieren, in denen der Alltag draußen und die soziale Wiedereingliederung der Häftlinge im Vordergrund stehen", sagt er.

Gemischter Trakt mit Männern und Frauen

Eines der Lieblingsprojekte des Gefängnisleiters ist der gemischte Trakt, in dem 17 Frauen mit 40 Männern gleichgestellt zusammen­leben und sich die täglichen Aufgaben untereinander aufteilen. Die Zellen der Männer ­befinden sich im ersten Stock, die der Frauen im zweiten. Tagsüber jedoch halten sie sich zusammen in den Gemeinschaftsräumen auf, wie etwa dem Speisesaal, dem Innenhof oder der Schule.

„Als ich hier angefangen habe, waren die damals 115 Frauen alle in einem einzigen Modul untergebracht. Es mussten also Wiederholungstäterinnen, Drogensüchtige und junge Frauen, die zum ersten Mal in Haft waren, zusammenleben. Heutzutage ist immer wieder von der Gleichstellung von Männern und Frauen die Rede. Also dachte ich mir, dass das auch für das Gefängnis gilt", sagt ­Baldonedo.

Seit dem Start im August 2018 ist das Projekt schon in anderen Gefängnissen in Spanien kopiert worden. Nur Häftlinge, die bestimmte Kriterien erfüllen, können in diesen Trakt aufgenommen werden. Sie dürfen vor ­allem nicht wegen geschlechtsspezifischer ­Gewalt oder sexuellen Übergriffen verurteilt worden sein. Um Konflikte zu vermeiden, sind Liebesbeziehungen unter den Häftlingen verboten. Die Gefängnisinsassen müssen einen Verbindlichkeitserklärung für ein friedliches Zusammenleben unterschreiben und wissen damit genau, was von ihnen gefordert wird: maximaler Respekt, strenge Hygienepraktiken und Gehorsam. Sie seien sich bewusst, dass sie das Privileg, in einem gemischten Trakt leben zu dürfen, beim kleinsten Problem verlieren könnten, sagt der Gefängnisleiter.

Die restlichen Gefangenen sind in den 13 weiteren Modulen untergebracht - darunter zwei für Untersuchungshäftlinge, eines für Gefangene, die zum ersten Mal eine Haftstrafe absitzen, sowie ein weiteres für Wiederholungstäter. Alle Module sind gleich aufgeteilt, verfügen über einen Speisesaal, einen Gemeinschaftsraum, einen Innenhof, einen Frisör­salon, ein kleines Fitnessstudio und einen Kursraum, in dem die Häftlinge lesen oder ihre Kurse vorbereiten können.

Überwacht, betreut, gefordert

Zur medizinischen Versorgung der Häftlinge befindet sich auch eine Krankenstation in ­Palmas Gefängnis. Neben fünf fest dort arbeitenden Ärzten kommen zu wöchentlichen ­Besuchen auch Hebammen, Frauenärzte, ­Psychiater und andere Spezialisten. „Viele Insassen leiden an psychischen Erkrankungen oder sind drogenabhängig, weswegen sie kontinuierlich betreut und überwacht werden müssen. Daher ist die Arbeit der Sozialarbeiter und -pädagogen so wichtig", sagt Baldonedo.

Eine große Rolle spielt auch die Aus- und Fortbildung. 450 Häftlinge sind aktuell in Kursen eingeschrieben - ob um Lesen und Schreiben zu lernen oder einen Teil der Berufsschule oder Oberschule zu absolvieren oder sich auf ein Studium an der Uni oder der nationalen Fernuni (UNED) vorzubereiten. 17 Gefängnisinsassen sind als Studenten an der Uni ­eingeschrieben. Auch Spanisch- und Katalanischkurse für Ausländer werden angeboten. „Wir versuchen, die Wissenslücken der ­Häftlinge zu füllen, damit sie weiterkommen, sobald sie entlassen werden", sagt Ramón, einer der Erzieher des Gefängnisses. Baldonedo erinnert sich noch gut an einen 57 Jahre alten Insassen, der quasi Analphabet war und sich entschlossen hatte zu studieren. Innerhalb von drei Jahren habe er es in den Vorbereitungskurs für die Uni geschafft. Bei seiner ­Entlassung sei er schon im dritten Jahr seines Philosophiestudiums gewesen.

Bibliothek mit 2.200 Medien

„Viele scheitern aber an fehlender Disziplin", sagt Fanny Estarás, Koordinatorin des CEPA Amanecer, wie die Gefängnisschule offiziell heißt. „Sie sind dann ziemlich überrascht, wenn du sie dazu ermutigst weiterzumachen. Dass andere Menschen sich um sie kümmern, sind sie nicht gewohnt." Den Häftlingen steht auch eine Bibliothek mit über 2.200 Medien zur Verfügung. Die Mitarbeiter dort sind Häftlinge. „Hier wird viel gelesen. Besonders gefragt sind die Bücher über Narcos", lachen sie.

Ein Häftling nähert sich dem Direktor, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, wie ein Fußballspieler im Gespräch mit dem Schiedsrichter. „Herr Direktor, kann ich mal kurz mit Ihnen sprechen?" „Nein, jetzt nicht", sagt ­Baldonedo und zeigt auf die Journalisten. „Wir melden uns bei Ihnen." Was der Mann gewollt haben könnte? „Irgendetwas", sagt der Gefängnisdirektor, „einen Modulwechsel, Haft­erleichterungen. Das sind häufige Bitten."

Auch der Sport kommt nicht zu kurz. Das große Schwimmbecken, das 2008 wegen Kürzungen im Rahmen der Wirtschaftskrise geschlossen wurde, ist seit vergangenen ­Sommer wieder in Betrieb. Darüber hinaus gibt es ­Fußballturniere, Basketballkurse oder auch Squash-Gruppen, in denen 90 Häftlinge trainieren. „Wir müssen die Möglichkeiten, die wir hier haben, nutzen", sagt Baldonedo. „Die Nachfrage nach sportlicher Aktivitäten ist hoch, und das tut dem Ambiente gut."

Drogenkonsum und -entzug

Viele der Häftlinge sind wegen Drogenhandels oder Beschaffungskriminalität verurteilt worden. Drogenabhängige, die von ihrer Sucht wegkommen wollen, können eine therapeutisch-pädagogische Einheit (UTE) nutzen. An dem gemeinsam mit dem Roten Kreuz und der Drogenhilfe Projecte Home betreuten Entzugsprogramm nehmen derzeit 50 Häftlinge teil. Dass auch im Gefängnis Drogen konsumiert werden, streitet hier niemand ab.

„Wir versuchen mit den Besucherkontrollen der Guardia Civil, Leibesvisitationen und Zellendurchsuchungen dagegen anzugehen", sagt der Gefängnisdirektor. „Wir ermuntern die Häftlinge auch stets dazu, an den Entzugsprogrammen teilzunehmen. Wenn wir es schaffen, dass sie mit dem Drogenkonsum auf­hören, wegen dem sie ja häufig in Gefängnis gekommen sind, können wir diesen ihre Resozialisierung gefährdenden Faktor schon einmal ausschalten", sagt Baldonedo. „Unser Ziel ist es, schon innerhalb des Gefängnisses ein Zusammenleben zu ermöglichen, das auf bestimmten Regeln und Normen beruht, und die Häftlinge so darauf vorzubereiten, nach ihrer Entlassung ein ­normales Leben zu führen.

Besuch in der Bäckerei

Der Rundgang führt auch durch die Bäckerei. „Wer ist hier der Chef?", fragt Baldonedo. „Ich würde mal sagen, Sie", antwortet ein Häftling. Alle elf Bäcker sind selbst Häftlinge. Sie arbeiten täglich von 6 bis 12 Uhr und backen 4.500 Brote. Damit wird sowohl das Gefängnis versorgt als auch das CIS. Alle haben eine Einführung zur Zubereitung von Backwaren bekommen. „Damit können sie draußen einen Job finden oder selbst eine Bäckerei gründen", sagt Kiko, der Chef der panadería. „Ich bin zuversichtlich. Die Arbeit gefällt mir."

Gleich nebenan befinden sich die Groß­küchen, in denen jeden Tag das Essen für die Insassen vorbereitet wird. Die Menüs werden nach Absprache mit den ärztlichen Diensten festgelegt, auch Diätpläne aufgrund von Krankheiten oder Religionszugehörigkeiten werden dabei berücksichtigt. Unter den Häftlingen befinden sich rund 200 praktizierende Muslime, die kein Schweinefleisch oder daraus entstandene Produkte essen und einen Monat lange Ramadan feiern.

Essenszeit

Im gemischten Gebäudetrakt gehen die Häftlinge in wechselnden Schichten zur Ausgabe. So wird vermieden, dass immer dieselben zuerst ihr Essen bekommen. Heute gibt es Salat, Paella und Obst. Viele holen sich am Automaten dazu ein Erfrischungsgetränk oder ein alkoholfreies Bier. Gegessen wird im Stillen. „Sie sind durch euren Besuch heute ein bisschen eingeschüchtert", sagt ein Mitarbeiter. „Natürlich dürfen sie reden, aber nur leise und ohne dass es in einem Tumult ausartet."