Der erste Halt ist beim Olivenbaum: Er steht auf dem Pilgerplatz vor dem Kloster Lluc. Um seinen knorrigen Stamm gruppieren sich zehn Teilnehmer des Workshops über Heilpflanzen sowie die MZ-Autorin. In ihrer Mitte referiert Karen Navarro über die Bedeutung des Baums in der Naturheilkunde. Sie kennt sich aus, interessierte sich schon seit ihrer Kindheit für Pflanzen. Die heute 40-jährige Katalanin war auf den Spuren der heilkundigen Mayas in Mexiko unterwegs, in Peru lernte sie im Amazonas-Tiefland die Pflanzen des Regenwaldes kennen und in Indien die Ayurveda-Lehre.

Nun also steht sie unter dem Olivenbaum und berichtet, dass Heilung durch die Natur intensives Studium voraussetzt. Dieser Baum beispielsweise biete allein durch seine Überlebenskraft Stärke an. Dabei verliert sie sich nicht im Esoterischen, sondern informiert auch ganz nüchtern über den Sud aus gekochten Olivenblättern, der sich in der Naturheilkunde gegen Bluthochdruck oder zur Senkung des Cholesterinspiegels bewährt hat.

Weichere Blätter eignen sich dagegen eher für Aufgüsse, die wie Tees zubereitet werden. Es gilt zu wissen, ob die Pflanze ihre Wirkstoffe lieber im frischen oder im getrockneten Zustand abgibt. Aber auch, wie man ätherische Öle extrahieren kann. Vor allem Gewächse, die über Jahre an den Küsten oder in den Bergen Unwettern getrotzt haben, sind besonders reich an Wirkstoffen.

Doch was Pflanzen im Überfluss besitzen, muss nicht immer verträglich sein. „Großmütter auf der Insel haben immer schon gewusst, dass nur ein einziges, getrocknetes Blatt vom Lorbeerbaum bekömmlich ist", sagt sie. Ob drei trockene Lorbeerblätter in der Brieftasche vor Geldnot schützen, ist aber nicht gesichert.

Navarro arbeitet viel mit Blüten-Essenzen. Der Artenreichtum auf der Insel bietet an die hundert verschiedene Blüten dafür. Im Vergleich dazu kommt die Bachblüten-Therapie mit38 verschiedenen Arten aus. Ob es nun um Blütenessenzen oder andere wirkstoffreiche Blätter oder Stängel geht, die Katalanin rät, Pflanzen in der Natur zu besuchen, sich Zeit zu nehmen, um sie zu verstehen und um herauszufinden, was sie einem bieten können. Dabei gebühre den Pflanzen Respekt. Niemals dürfe mehr als ein Drittel von ihr gepflückt werden.

In den Beeten auf dem Pilgerplatz hat man vor langer Zeit die wichtigsten Inselgewächse angepflanzt. So nimmt es nicht wunder, dass die Gruppe hier einige Zeit verweilt und Pflanzennamen notiert, bevor sie den Botanischen Garten neben dem Kloster erreicht, wo dann auf den Blocks eine lange Liste mit Namen von Heilpflanzen zusammenkommen.

Heilpflanzen in Lluc

Die Blätter der halbhohen Myrte (Myrtus communis bot., arrayán span., murta kat.) spielte bei heidnischen Riten eine Rolle. Die Blätter werden, etwa in Selva beim jährlichen Sommerfest, destilliert. Ihr ätherisches Öl gilt nicht nur in der Zahnheilkunde als entzündungshemmend.

Die Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cypriotisch bot., lechetrezna span, lleteresa kat.) liefert eine Milch für äußerliche Anwendungen.

Der Stechende Mäusedorn (Ruscus aculeatus bot., brusco span., boix marí kat.) bildet rote Früchte. Vor allem die Wurzeln (nur aus dem Kräuterladen!) bieten Wirkstoffe. Sie fördern den Kreislauf und sind wirksam gegen Hämorrhoiden und Krampfadern.

Dem Riesen-Schachtelhalm (Equisetum telmateia bot., equiseto span., cua de cavall kat.) sieht man es nicht an, dass er zu den Farnen gehört. Er kommt auf Mallorca nur dort vor, wo Wasser fließt. Wirksam sind seine Heilstoffe als Sud (25 Minuten kochen) bei Vitaminmangel oder für die Genesung nach Operationen.

Die Graue Heiligenblume (Santolina chamaecyparissus bot., manzanilla amarga span., espernallac kat.) hat in Spanien über 50 Namen. Die einheimische, bittere Kamille hilft bei Leberdysfunktion und als Magenbitter.

Der Wacholder (Juniperus communis bot., enebro span., ginebró kat.) ist ein Diuretikum, so nennt man Heilmittel, die Urin fördernd wirken. Die Beeren werden im Mörser zerkleinert und auch als Sud verabreicht.

Der Frauenhaarfarn (Adiantum capillus-veneris bot., culantrillo de pozo span., falzia kat.) wächst immer dort, wo es fließendes Wasser gibt und sieht wie eine Haarmähne aus. Wahrscheinlich hat man ihn auch deshalb als Haarwuchs förderndes Mittel eingenommen.

Wenn die Wilde Malve (Malva sylvestris bot.) nahrhaften Boden findet, kann sie bis zu zwei Meter hoch werden. Die Blüten der zweijährigen Pflanze sind violett. Navarro empfiehlt sie für frische Frühjahrssalate. Wenn die Blätter etwas größer sind, kann man, nach dem Vorbild der griechischen Dolmades, Reis darin einwickeln. Zuvor kocht man die Malvenblätter kurz im heißen Wasser.

Die Gefranste Raute (Ruta chalepensis bot., ruda span. und kat.) zählt zu den wichtigsten Heilkräutern für Frauen. Sie galt als verbotene Pflanze, weil man mit ihr die Menstruation fördern und eine Abtreibung auslösen konnte. Den Teilnehmerinnen rät Navarro, einen Pakt mit dieser Pflanzenart zu schließen: „Wenn du sie gut pflegst, wird sie auch dich pflegen", sagt die Katalanin. Die ruda wirke auch als Talisman. Wenn man einige Blätter bei sich trägt, könnten sie Böses abwenden. Sogar in Männerklöstern pflegte man sie im Garten. Der Grund: Die Pflanze gilt als Anaphrodisiakum.

Vom Immergrün (Vinca major bot., hierba doncella span., vincapervinca kat.) wird man noch hören - so Navarro -denn derzeit wird erforscht, ob diese Pflanze in der Lage ist, Synapsen zwischen Neuronen zu bilden und Demenz zu mildern.

Der Echte Venusnabel (Umbilicus rupestris bot., ombligo de Venus span., orella de monjo kat.) wächst in den Zwischenräumen von Mauern und auf Dächern. Im Sommer zieht sie sich zurück. Im Winter können die Blätter verzehrt werden. Sie gelten als eine Art Carpaccio der Vegetarier und schmecken auch in Salaten. In der Naturmedizin schätzte man sie als Mittel gegen Ohrentzündungen: Die Blätter werden mit dem Mörser zerkleinert und zwei Tropfen des Safts ins kranke Ohr gegeben.

Der Adlerfarn (Pteridium aquilinum bot., helecho común span., falguera kat.) wächst auf Mallorca häufig in den Zwischenräumen von Natursteinmauern, kommt aber auch auf Waldlichtungen vor. Während großer Hungersnöte sammelte man seine Sporen von den Blättern ab und verzehrte sie als Ersatz für Linsen. In kleinen Mengen wurden die Farnblätter außerdem gegen Parasiten eingenommen.

Der Eukalytus (Eucalyptus camaldulensis bot., eucalipto span., eucaliptus kat.) hat nicht erst seit den Bränden im australischen Outback schlechte Karten. Wegen ihm wurden Wälder abgeholzt, sein Wasserverbrauch ist gigantisch. Trotzdem kommt man in der Naturmedizin um seine kostbaren ätherischen Öle nicht herum. Gemeinsam mit Rosmarin und Lavendel heilen die Dämpfe bei- durch Erkältungen ausgelöste - Atembeschwerden.

Über den Rosmarin (Rosmarinus officinalis bot., romero span., romaní kat.) müsste man, da sind sich die Teilnehmer einig, eigentlich ein ganzes Buch schreiben. Er verleiht emotionale, energetische, physische, mentale und emotionale Stärke. Wer sich also schwach fühlt, sollte sich mit dem Rosmarin zusammentun.

Die Heckenrose (Rosa canina bot., rosa sylvestre span., roser caní kat.), auch Wilde Rose genannt, trägt jetzt im Winter rote Früchte, die man Hagebutten nennt. Diese sind so vitaminreich, dass man mit ihr ohne Erkältungen über den Winter kommt. Aus den Kernen wird das kostbare Hagebuttenöl gewonnen.

Die Eibe (Taxus baccata bot., tejo span., teix kat.) ist eine Überlebende aus dem Jura-Zeitalter. Ihr hartes Holz war auf Mallorca so be- gehrt, dass diese Art heute vom Aussterben bedroht ist. Den Kelten war der Baum heilig, alle Pflanzenteile sind giftig.

Fortbildungen

Wer tiefer in die Materie einsteigen will, kann von März bis Juni bei Karen Navarro an einem Kurs über Blütentherapie teilnehmen. Außerdem plant sie einen Lehrgang, bei dem die Teilnehmer zwei Monatelang lernen können, welche Pflanzen sich für die Hausapotheke der Naturmedizin eignen und wie man ihnen die heilenden Stoffe extrahiert: als Sud, Aufguss, Öl oder Pflanzenwasser.

Weitere Kurse

Alaró (beim Castell)

Am 4. und am 22.3.2020,

10 bis 12.30 Uhr, in Spanisch,

Teilnahmegebühr: 20 Euro,

Anmeldung: Tel.: 646-24 08 67