Die Kapelle von Santa Maria de Bellpuig nahe Artà ist ein Inbegriff von Abgeschiedenheit. Hier oben hört man nichts außer Vogelzwitschern und dem Wind, der über die Hügel pfeift. Der Blick reicht bis nach Artà und den dortigen Klosterberg Sant Salvador. Die Anlage ist gut erhalten, aber verschlossen, sie gehört dem Inselrat. Vor genau 200 Jahren hat sich hier eine Tragödie abgespielt, die der heutigen nicht unähnlich ist. Bellpuig war neben Sant Salvador eines von zwei Lazaretten für Bürger aus Artà, die 1820 an der letzten schweren Welle der Beulenpest auf Mallorca erkrankten. 2.149 Einwohner aus Son Servera, Artà und Capdepera kamen damals zu Tode. Für viele von ihnen war die Kapelle von Bellpuig der Ort, den sie nicht mehr lebend verließen.

Bellpuig war eines der ältesten Klöster auf Mallorca und gehörte dem von Norbert von Xanten gegründeten Prämonstratenser-Orden. Anders als Sant Salvador, das nach der Epidemie komplett abbrannte und wieder aufgebaut wurde, blieb die Anlage erhalten. Wie viele Menschen in und rund um das Kirchlein zu Tode kamen, ist unklar und Gegenstand eines Forschungsprojekts von Historikern, Medizinern und Archäologen. Die Arbeiten sind allerdings aufgrund der Corona-Krise beinahe komplett zum Erliegen gekommen.

Wo genau liegen die Toten?

Dabei war man eigentlich schon dabei, die Planungen für die Ausgrabungen rund um die Kapelle anzugehen, sagt die Archäologin Francisca Cardona der MZ. Zunächst muss eruiert werden, wo genau die Leichen begraben wurden, was nicht einfach sei, weil es dazu keine Dokumente gibt. „Hinzu kommt, dass der überwiegende Teil der Finca von Bellpuig für uns nicht zugänglich ist, weil er mehreren Privat­eigentümern gehört." Nur ein kleiner Teil - die unmittelbare Umgebung der Kapelle - ist im Besitz des Inselrats. Cardona vermutet, dass die meisten Toten auf dem privaten Teil der Finca liegen. Isabel Moll, emeritierte Geschichtsprofessorin aus Capdepera, die seit Jahren über den Pestausbruch im Inselosten 1820 forscht, sagt hingegen: „Die sterblichen Überreste können genauso gut in der Kapelle bestattet sein"

Die Coronavirus-Pandemie habe den Zeitplan für die Forschungen nun komplett durcheinandergewirbelt, sagt Francisca Cardona. Man wisse nicht, wann man wieder mit den Arbeiten beginnen, geschweige denn, wann die Grabungen aufgenommen werden könnten. Auch ein für November geplanter Kongress über historische Pandemien der Arbeitsgruppe „Historia de la Salut" der Balearen-Universität, der unter anderem Isabel Moll angehört, musste bereits auf kommendes Jahr verschoben werden. „Die komplette Forschung liegt ja flach. Selbst wenn wir uns im November wieder treffen dürfen, ist es zwecklos, weil wir bis dahin kaum neue Erkenntnisse haben", sagt Moll. Auch mehrere Ärzte des Landeskrankenhauses Son Espases gehören der Forschungsgruppe an. „Aber die haben derzeit verständlicherweise keine Zeit für diese Arbeit."

Streit zwischen den Ärzten

Pest-Epidemien hatte Mallorca schon einige gesehen bis zum Ausbruch von 1820 (die MZ berichtete in den vergangenen beiden Ausgaben). Dennoch hatte die Beulenpest im Nordosten der Insel verheerende Auswirkungen. Was vor allem daran lag, dass die Krankheit zunächst nicht richtig erkannt wurde, wie Isabel Moll erzählt. Die ersten Fälle wurden zwischen dem 9. und dem 15. Mai 1820 in Son Servera bekannt. „Doch es gab Streit zwischen den Ärzten in Son Servera und Artà. Während der Arzt aus Son Servera überzeugt war, dass es sich um die Pest handelte, vermutete man in Artà eine andere Krankheit." Mehrere Wochen lang war man sich zudem nicht einig darüber, ob die Krankheit denn nun ansteckend sei oder nicht, und wenn ja, in welchem Maß.

All diese Verzögerungen führten dazu, dass wertvolle Zeit verloren ging, bis effektive Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie ergriffen wurden. Die Gesundheitsabteilung der spanischen Provinzregierung in Palma wurde erst am 24. Mai über die Krankheitsfälle im Osten der Insel unterrichtet. Es dauerte noch einmal drei Tage, bis sie am 27. Mai die Ostküste Mallorcas zur Sperrzone erklärte. Die Menschen durften ihre Wohnorte nicht mehr verlassen, Waren- und Schiffsverkehr waren verboten, alle von Mallorca aus auf dem Festland eintreffenden Schiffe wurden unter Zwangsquarantäne gestellt.

„Ab dem 13. Juni funktionierte dann die Koordination der Ärzte vor Ort und der Verwaltung reibungslos. Man erkannte, dass es vor allem wichtig war, die Infizierten von der gesunden Bevölkerung zu trennen", sagt Isabel Moll. So begann man, die Bevölkerung in Gesunde, Kranke und Genesene aufzuteilen. Den Klöstern Bellpuig und Sant Salvador kam dabei eine Schlüsselrolle zu. „Vor allem Bellpuig war ideal, um die Kranken zu isolieren. Die Anlage lag weitab von den Ortschaften und war aufgrund der Hügellage gut belüftet", sagt Moll.

Die letzte schwere Epidemie lag zu diesem Zeitpunkt bereits rund 170 Jahre zurück. Die Mediziner mussten sich auf die damaligen Erkenntnisse verlassen. „Als Orientierung dienten hauptsächlich Schriftstücke von französischen Ärzten, die diese während der Epidemien von 1720 in Nordafrika, vor allem in Ägypten und Tunesien, verfasst hatten", erklärt Moll.

Dennoch gibt es frappierende Parallelen zum heutigen Umgang mit Covid-19. Jeden Tag mussten die Ärzte in Artà und Son Servera einen Lagebericht anfertigen. Darin wurde aufgeführt, wie viele Patienten sich neu ansteckten, wie viele sich von der Krankheit erholten und wie viele an der Pest gestorben waren. „Ganz genau so, wie heute die Berichte über das Coronavirus gehalten sind", sagt Moll. Schon damals wurden diese Berichte auch in Zeitungen veröffentlicht.

Hausarrest? Nicht für mich

Dass die Pest nach rund neun Monaten eingedämmt war und am 31. Januar 1821 für überwunden erklärt werden konnte, lag nach Ansicht der Forscher auch an der von dem Militär strikt kontrollierten Ausgangssperre. Die Bevölkerung hielt sich großteils an die Beschränkungen. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel. So ist ein Brief eines Vaters an seinen Sohn überliefert. Toniet, so hieß der junge Mann, war mehrfach dabei gesehen worden, wie er die Ausgangsbeschränkungen umging, um seine Freundin Antonieta Barrurfau zu besuchen.

„Bist du von Sinnen?", schalt ihn sein Vater. „Weißt du nicht, dass dir die Guardia Civil, wenn sie dich erwischt, mehr als eine Ohrfeige langen und dich ins Gefängnis werfen wird?" Toniet werde mit derlei Leichtsinn noch seine Mutter umbringen - „den ganzen Tag betet sie den Rosenkranz für dich". Ein wahrer „Teufel" sei er, so der Vater, der sich im zweiten Teil des Briefes in immer mehr Drohungen auslässt. „Wenn du noch einmal hinausgehst, erkläre ich dich zum Bastard und enterbe dich", schrieb er. Womöglich zeigte das Wirkung: Der Vater zählte im Anschluss eine beträchtliche Zahl an Besitztümern, von Grundstücken bis hin zu Häusern auf, die „ohne Ausnahme alle deiner Schwester gehören werden".