Als die Fischer zum ersten Mal den neuen ­Museumsraum betraten, seien sie vollkommen still gewesen, erzählt Catalina Gayà ­Morlà. Die Kommunikationswissenschaftlerin ar­beitet an einem Forschungsprojekt, dessen erste Früchte sich nun im Ableger des Museo Marítimo de Mallorca in MallorcaSóller bewundern ­lassen: "La remor de la memòria" (etwa: Das Rauschen der Erinnerung) heißt der Saal, der am 7. August eröffnet worden ist.

Der zugrunde liegende Gedanke: Ebenso wie das immer präsente Meeresrauschen existiert auch ein kollektives Gedächtnis, ein ­geteilter sozialer Wissensschatz - sichtbar in Körpern, Bewegungen, Sprechweisen oder ­Namen -, und er ist ein wichtiger Teil des mallorquinischen Selbstverständnisses. Der Raum im Untergeschoss des Museums, der ein wenig an den Bauch eines Schiffes denken lässt, soll die mündliche Erinnerung im Museum verankern.

Zwölf Fischerinnen und Fischer kommen zu Wort

Präsentiert wird dieses immaterielle ­Kulturerbe in Form von Videoaufnahmen, die die Lebensgeschichten von zwölf Fischerinnen und Fischern aus Port de Sóller eingefangen ­haben. Gezeigt werden sie momentan meist auf Katalanisch, per QR-Code bekommt man jedoch Zugriff auf die englische und spanische Fassung. Wenn mehr Besucher kommen, ­sollen die Sprachversionen häufiger wechseln.

Bei einem Besuch vor Ort erzählt Gayà, wie sich das vor zwei Jahren begonnene Projekt entwickelte. Zunächst wurden die Fischer zu Gesprächen ins Museum eingeladen, dann ging es mit Unterstützung von Pep Mayol, dem Vorsitzenden der örtlichen Fischerzunft, ­darum, Kontakte zu knüpfen, Familien kennenzulernen, Beziehungen aufzubauen.

Keine Romantik und Nostalgie

„Die ­Arbeit kreiste um die Gemeinschaft der ­Fischer. Wir haben mit Individuen und ihren ­Erinnerungen gearbeitet", sagt Gayà. „Jede ­Erzählung ist ein kleines Fenster, das dabei hilft zu verstehen, wie wir uns diesen Teil der Welt aufgebaut haben." Der älteste Fischer ist Jahrgang 1929, vier sind 1939 geboren. Ein Herr von 65 Jahren gehört zu den Jüngsten.

Über die persönlichen Erzählungen erfährt man auch vieles über die Fangmethoden oder den Bau und die Ausrüstung der Fischkutter. Viele Lebensgeschichten beginnen mit dem Spanischen Bürgerkrieg, mitunter scheint auch der Schmuggel als weitere Möglichkeit des Broterwerbs auf. Nach dem Zweiten ­Weltkrieg begann die Anpassung an den ­Tourismus. Der Hafen veränderte sich. Manche Fischer transportierten nun mit ihren ­llaüts, den traditionellen Segelbooten, Touristen nach Sa Calobra.

Es geht um Anpassungsvermögen

Fast alle der Befragten seien zudem Nachkommen von Seeleuten, die am Transport von Orangen in französische Häfen beteiligt waren. „Sie tragen die Erinnerungen dieser großen Seefahrer weiter, haben diese Zeit noch als Kinder erlebt", sagt Gayà. In einigen Fällen hätten ihre Eltern in Frankreich gelebt und seien für den Fischfang zurückgekehrt. „Sie haben dann von sehr jungen ­Jahren an, mit sieben oder neun, ­begonnen, mit ihren Eltern auf Meer herauszufahren."

Und dabei häufig ihr Leben aufs Spiel gesetzt, etwa beim Schmuggel von 39 Säcken Zucker in einem maroden Kahn. „Man begreift in diesen ­Videos die damals herrschende Not und Un­sicherheit", sagt Gayà. Dass eine Fischerfamilie Mitte der 50er-Jahren damit begann, ihr Schiff für den Tourismus umzurüsten, verdeutliche wiederum, wie sich die Bewohner des Tals von Sóller auf die neuen Zeiten ein­gestellt haben. „In all dem liegt nichts Roman­tisches oder Nostalgisches. Es geht im Grunde um Anpassungsvermögen", betont Gayà.

Die Fischerinnen

Fünf der Protagonisten der Videos sind weiblich, darunter nicht nur Ehefrauen von ­Fischern, auch Töchter aus Fischerfamilien. Frauen, die das Leben in der Gemeinschaft die ganze Zeit aktiv mitgestalteten. „Es ist ein anderer Teil der Geschichte: Sie berichten von der Pflege, vom Überleben. Davon, allein zu ­gebären und die Kinder ernähren zu ­müssen. Sparen zu müssen, auch wenn man nicht ­rechnen konnte", sagt Catalina Gayà. Der ­Tourismus habe für die Frauen im Hafen ­Arbeit und Unabhängigkeit bedeutet.

Ein junger Fischer von etwa 30 Jahren kommt ebenfalls zu Wort, als Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es ist eine Stimme, die auch den Aspekt der Nachhaltigkeit in das Erinnerungsrauschen einbringt. Es geht im Übrigen nicht nur darum, die Geschichte von Port de Sóller zu verstehen: Der Raum soll auch für Urlauber eine Einladung zur „Reise innerhalb der Reise" sein: „Wenn du die Geschichte einer Gegend verstehst, respektierst du sie auch", sagt Gayà. „Und die Debatten über das Geschehen hier betreffen uns in der globalisierten Welt im Grunde alle. Wir brauchen einen Prozess der Reflexion, der uns hilft, mit dieser unsicheren Gegenwart umzugehen."

Die Wissenschaft­lerin ist sich absolut sicher, dass die Fischer in Sóller auch die Herausforderungen der ­Zukunft meistern werden: „Es gibt immer Hoffnung, denn diese Leute haben alles überstanden: einen Krieg, einen technischen Wandel und eine Diktatur."

Museu de la Mar in der Ermita de Santa Caterina (Carrer de Santa Caterina d?Alexandria, 54), Port de Sóller, Freitag bis Sonntag, 10 bis 14 Uhr.