Wilma Ravestein hat in ihren 60 Lebensjahren einiges an Dekogegenständen und Kleidung in ihrem Haus in Can Picafort auf Mallorca angehäuft. „Ich muss einfach mal ausmisten", sagt sie. Und weil die Niederländerin wegen Corona momentan keine Arbeit hat, fehlt es ihr auch nicht an Zeit. „Früher habe ich oft Sachen zur Deixalles-Stiftung gebracht und dort verschenkt", sagt sie.

Seit mehreren Wochen setzt sie nun auf den Tauschhandel. Denn in harten Zeiten wie diesen sei es nicht zu verachten, kleine Gegenleistungen zu bekommen. Fast täglich bietet sie mehrere ihrer Gegenstände in der Facebook-Gruppe „Trueque e intercambio / trade and share Mallorca" an.

Facebook-Gruppe gewinnt an Zulauf

Tatsächlich hat die Gruppe in den vergangenen Monaten immer mehr Zulauf gewonnen. Gut 4.600 Mitglieder sind dabei. Viele von ihnen bieten dort täglich ihre Fähigkeiten oder ihre ausgedienten Habseligkeiten an. „Die Idee dazu kam mir während der Ausgangssperre, als ich mit meinem Freund ­Robin ­Oszlanyi einen Gemüsegarten angelegt habe und wir plötzlich eine so große Ernte ­hatten, dass wir nicht wussten, wohin damit", berichtet Kristina Moran.

Die 28-Jährige postete damals die Fotos des Gemüses zunächst in einer anderen Facebook-Gruppe. Schnell wurde ihr Eintrag viral. „Als ich mehr als 300 Kommentare bekam, gründete ich selbst eine Gruppe. Und über Mund-zu-Mund-Propaganda schlossen sich immer mehr Menschen an", so Moran. Die Spielregeln sind so simpel wie nachhaltig: Getauscht werden darf alles, was legal ist, Medikamente und Tiere ausgenommen. „Nur Geld darf niemals im Spiel sein", betont Moran.

„Wer weiß, wie man diese alten Gemälde reinigen kann? Sie sind aus den 70er-Jahren, gemalt von einer geliebten Person", fragt Wilma Ravestein in einem Eintrag in der Gruppe. „Das kriege ich heraus, meine Nichte ist Kunstlehrerin", kommt wenige Minuten später eine Antwort. Viele Gruppenmitglieder lebten in und um Palma, berichtet Ravestein im Gespräch mit der MZ. „Also sammle ich meist einige Tauschgegenstände und fahre dann von Can Picafort los, um sie auszuliefern", erklärt die Alleinstehende.

Schwätzchen inklusive

Dabei befreie sie sich nicht nur von altem Ballast, sondern knüpfe auch neue Kontakte. „Es gibt zwar Ausnahmen, aber alle, die wirklich hinter der Philosophie des Recyclings stehen, sind in der Regel sehr nette Leute. Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht und schon viele interessante Menschen kennengelernt", sagt Wilma Ravestein. Als Gegenleistung fordert sie meist Lebensmittel oder Futter für ihre Hündin. „Einige Übergaben gehen ganz schnell vonstatten, bei anderen gehört ein Schwätzchen dazu."

„Wir haben schnell gemerkt, dass die Mitglieder die Gruppe nicht nur nutzen, um ­Möbel, eigene Anbauprodukte oder Kleidung loszuwerden und gegen alltägliche Bedarfs­gegenstände oder Lebensmittel einzutauschen, sondern, dass es vielen auch um den persönlichen Austausch geht. Gerade in diesen Zeiten, in denen die sozialen Begegnungen so eingeschränkt sind", freut sich Gründerin Kristina Moran. Sie wisse von vielen, die durch die Gruppe die Einsamkeit während des Alarmzustandes besser überstanden hätten.

Wer keinen Dachboden voller ausgedienter Gegenstände hat, kann auch Dienstleistungen anbieten. So wie Victoria, eine Künstlerin, die handwerklich begabt ist, und nicht davor zurückschreckt, Reparaturen bei anderen Menschen vorzunehmen. „Sie kommt mehrmals die Woche zu mir und behandelt meine Fensterläden, arbeitet meine Holztüren auf und hat sogar schon einen Wasserhahn im Garten installiert", erzählt die deutsche ­Karin Schomaker aus Sencelles.

Sie wiederum ­betreibt einen Kräuterladen mit vielen Naturprodukten und ökologischen Lebensmitteln, an denen sich Victoria bedienen darf. „Es ist für uns alle ein Gewinn, und es fließt kein Cent Geld", berichtet Schomaker, die ebenfalls regelmäßig in der Facebook-Gruppe aktiv ist und auch Hypnosen und Therapien anbietet.

Alle können etwas

„Für einige Bereiche bedarf es Profis, für andere aber nicht", so Gruppen-Administratorin Kristina Moran. Jeder habe schließlich irgendeine Fähigkeit. „Und sei es eine Hausfrau, die ein gutes Essen oder selbst gemachte Backwaren anbietet." Auch Sprach- oder Yogastunden übers Internet würden gern als Tauschmittel gesehen. „Ich habe letztens eine Pediküre gegen eine Massage getauscht", berichtet die Niederländerin Wilma Ravestein. „Das war sehr unterhaltsam."

Die Tauscher sind angehalten, ihre Er­fahrungen nach der Übergabe kurz in der Gruppe zu schildern. „So wollen wir schwarze Schafe aussieben, die unzuverlässig sind oder ­letztlich doch Gewinnabsichten haben", so ­Kristina Moran. Häufig veröffentlichen die Mitglieder auch Fotos fertiger Gerichte, die sie aus den ertauschten Lebensmitteln gezaubert haben. Und nicht selten bekommt der Bringer sogar eine Portion ab.

Dass in Krisenzeiten auf Warentausch statt auf Kauf gesetzt wird, ist auf Mallorca nicht neu. Bereits während der Wirtschaftskrise vor rund zwölf Jahren boomte der nicht monetäre Handel. Derzeit gibt es mehrere lokale Gruppen, die neben den großen Portalen wie ­Wallapop, Millanuncios, Marketplace oder ­Segundamano Zulauf haben. Die deutsche Face­book-Gruppe „Zu verschenken auf Mallorca" beispielsweise, die schon seit 2012 ­besteht, ist durch die Pandemie ebenfalls neu belebt worden. Hier werden Artikel ganz ohne Gegenleistung zur Selbstabholung bereitgestellt. Ähnliches gilt für die 2014 gegründete Facebook-Gruppe „Free your Stuff Mallorca".

Ganz ohne Institutionen

Karina Schomaker aus Sencelles ist auch dort aktiv. Doch bei „Trueque e intercambio / trade and share Mallorca" sei der Umgang ungleich herzlicher. Immerhin verwendet Administratorin Kristina Moran täglich Stunden darauf, Anfragen neuer Mitglieder auf ihre Absichten zu prüfen und werbliche Einträge zu löschen.

Zudem hat die 28-Jährige, die wegen Corona derzeit arbeitslos ist, bereits mehrere Spendenaktionen organisiert, um besonders bedürftigen Menschen oder Tierschutzgruppen ohne Gegenleistung Essen oder Futter zukommen zu lassen. „Ich finde es bemerkenswert, wie viel dabei zusammengekommen ist", so die junge Spanierin. „Es zeigt in diesen Zeiten, dass nicht jeder nur an sich selbst denkt und dass die Menschen sehr wohl bereit sind, sich auch untereinander zu helfen, ohne dass Institutionen zwischengeschaltet sind."