Unscheinbar und diskret schmiegt sich das Meeresforschungslabor LIMIA (Laboratorio de Investigaciones Marinas y Acuicultura) in Port d'Andratx auf Mallorca ans Ufer, nur wenige Schritte vom Leuchtturm, in einer Reihe mit den Wellenbrechern. Die geduckte Anlage ist nah am Wasser gebaut, das Meer hier allgegenwärtig: beim Blick aus dem Fenster genauso wie beim ersten Atemzug im Laborraum, der von salziger Seeluft erfüllt ist. Überall tropft und plätschert es, der quietschgrüne Boden ist nass. In drei großen mit Schläuchen versehenen Tanks schwimmen Babyschildkröten.

Durch dieses feuchte Fauna-Reich führen beim MZ-Besuch die Meeresbiologin Clàudia Pich Esteve (30) und Guillem Félix Torrilla (30), Tierkrankenpfleger und leitender klinischer Labortechniker. Die beiden sind als Vorsitzende der Asociación Cayume maßgeblich verantwortlich für das am 1. Juni begonnene Artenschutzprojekt „Eggcase 2020". Die Initiative, die zusammen mit der NGO Fundación Marilles und mit Unterstützung des Ministeriums für Landwirtschaft und Fischerei der Balearen ins Leben gerufen wurde, soll dazu beitragen, die Bestände gefährderter Knorpel­fische, also Haie und Rochen, zu vergrößern.

Dazu werden Eier, die als unerwünschter Beifang in den Netzen der Fischer landen, gerettet und ins Labor gebracht. „Wir sind so etwas wie Zwischenhändler dieser Eier, die sonst verloren wären", erklärt Clàudia Pich. „Wir brüten sie aus und überprüfen den gesamten Entwicklungsprozess. Dann kommen die Tiere an den Ort zurück, wo sie hingehören - ins Meer."

Rund 70 Eier haben die beiden Forscher bisher für die Aufzuchtstation eingesammelt, die ersten Babyrochen schlüpften im September. Mitte November konnten erstmals sechs Exemplare drei verschiedener Spezies - Nagel-, Spiegel- und Fleckenrochen - in die Freiheit entlassen werden.

Die ersten Hai-Eier sind da

Und die nächste Generation wächst bereits heran. Gegenüber den Tanks mit den Schildkröten, die zu einem anderen Projekt gehören, sind mehrere kleine Aquarien für die „Egg-case"-Kinderstube reserviert. In einem von ihnen befinden sich momentan zwei junge Fleckenrochen-Weibchen, die fast auf den Tag genau einen Monat alt sind, in einem weiteren zwei orange-braune Eier mit fast schlüpfreifen Kuckucksrochen und in einem dritten Aquarium - ordentlich an einer Leine aufgereiht - sechs gelbe Eier von Kleingefleckten Katzenhaien.

Die Meeresbiologin leuchtet mit einer kleinen Lampe durch die Hülle der hornartigen Eikapseln: Während seine Geschwister ihre Kräfte schonen, zappelt in der allerersten ein winziger Hai-Embryo. Über die Laute der Verzückung von der Redakteurin und der Fotografin sagt Guillem Félix: „Genau so haben wir auch geklungen, als wir das zum ersten Mal beobachtet haben." Natürlich hätten sie schon einmal anderswo Hai- und Rochenbabys gesehen, aber es sei eben etwas anderes, wenn es „die eigenen" sind. „Wir rufen uns hier andauernd zu: ,Er bewegt sich! Der Rochen bewegt sich', und dann sind wir glücklich", erzählt er und lacht dabei wie ein stolzer junger Papa.

Ein Detail, das bei den Hai-Eiern auffällt, die auch in der Natur an feinen Fäden hängen und durch die Strömung leicht bewegt werden: Die Embryos entwickeln sich oberhalb des Dotters und werden auf diese Weise nicht durch dessen Gewicht erdrückt. Die sechs aufgefädelten Exemplare sind die ersten Hai-Eier des Projekts, in denen Leben heranwächst.

Den bisherigen Rochen-Überschuss erklärt Félix so: „Das Gesetz hier auf den Balearen besagt: Wenn ein Fischer Rochen fängt, muss er sie entleeren, bevor er sie auf den Markt bringt. Und wenn dieser Fischer die Tiere aufschneidet und dabei Eier findet, bewahrt er sie für uns auf." Zusammen mit den am Meeresboden abgelegten Rocheneiern, die sich in den Schleppnetzen verfangen, war dies bislang die Basis der Aufzuchtstation.

Haie würden dagegen nicht auf dem Boot aufgeschnitten, sondern unangetastet als Ganzes zum Verkauf gebracht. Vor etwa einem Monat haben die Forscher mit der zweiten Phase des Projekts begonnen: Nun gehen sie auch selbst auf den Fischmarkt, lassen sich auf Nachfrage die Bäuche von Haiweibchen aufschneiden und dürfen ihre Eier mitnehmen.

Zum Brüten braucht es Kälte

Ob von Haien oder von Rochen: Die wertvollen Kapseln sind sensibel und müssen wie die sprichwörtlichen rohen Eier behandelt werden. Nur aus etwa zehn Prozent von ihnen schlüpfen am Ende Jungtiere. Im Sommer hatte sich das Meer so stark aufgeheizt, dass trotz der speziellen Transportboxen, mit denen die am Projekt beteiligten Fischer ausgestattet wurden, viele Eier bereits mit leblosem Inhalt im Labor eintrafen. „Sie entwickeln sich hier bei einer Wassertemperatur von 16 bis 17 Grad. Um auszubrüten, brauchen sie es kühl. Wenn sie zu warm werden, sterben sie", erklärt Félix. Neuankömmlinge kämen zunächst in ein Quarantäne-Aquarium und würden entfernt, falls sie es nicht schaffen. „Etwa nach einem Monat sehen wir, ob etwas heranwächst oder nicht."

Deutlich sichtbar sind die beiden kaulquappenartigen Kuckucksrochen-Embryos in fortgeschrittenem Entwicklungsstadium, die sich in ihrer Kapsel winden: mit großen Augen, Schwanz und allem Drum und Dran. Das Meerwasser ihres Beckens wird gefiltert und gekühlt. „Wir erleichtern ihnen den Prozess, indem wir sie hierherbringen und die Lebensbedingungen nachbilden, die sie in freier Natur gehabt hätten", sagt Pich. Ihre eigene Hauptaufgabe sei dann, zu kontrollieren, dass dabei alles fehlerfrei funktioniert.

Tiefkühlkost für kleine Rochen

Für die zwei schon geschlüpften Fleckenrochen-Babys ist heute ein aufregender Tag: Alle zwei Wochen müssen sie gewogen und abgemessen werden. Die Meeresbiologin fischt geschickt mit einem grünen Casher nach dem ersten kleinen Rochen und setzt ihn in eine Glasschale, wo er noch kurz zappelt und dann schicksalsergeben liegen bleibt. Sie erledigt rasch und geübt die nötigen Handgriffe, um das Jungtier mit dem hübschen Leopardenmuster, das nun zarte 8,5 Gramm auf die Waage bringt, schnell wieder ins Wasser setzen zu können und dieselbe Prozedur bei seiner Schwester zu wiederholen. „Nachdem wir mit ihnen herumhantiert haben, bleiben sie gewöhnlich noch eine Weile aktiv", sagt Pich.

Doch schon nach kurzer Zeit beruhigen sich die Rochen merklich und graben sich wieder im Sand ein - zuerst noch mit dem Schwänzchen in der Höh, dann versinkt auch dieses im Untergrund, und die kleinen Knorpelfische sind praktisch unsichtbar. „Diese nachtaktiven Tiere verstecken sich tagsüber vor ihren Fressfeinden und kommen nachts heraus, um selbst auf Nahrungssuche zu gehen", erklärt die Meeresbiologin.

Anfangs zehren die Jungtiere noch von einer Energiereserve aus dem Rest des Dotters und bewegen sich in dieser Zeit kaum. Ist das Depot aufgebraucht, werden sie lebhaft und hungrig. „Wir füttern sie jetzt alle zwei bis drei Tage, gewöhnlich mit ganz kleinen Muschel-, Herzmuschel- , Fettfisch- oder Sardellen-Stückchen", sagt Pich. Die tiefgefrorene Mischung mit vorgeschnittenen, proteinreichen Bröckchen aus dem Meer ist genau das Richtige für die Tiere. „Wir nehmen ein Stückchen, tauen es auf und tränken es in Kabeljau-Öl. So riecht es stärker und lockt die Rochen durch den Duft", erklärt Félix.

Die beiden Forscher betonen, dass es bei dem Projekt nur um eine zweite Chance und eine Starthilfe geht. Die sehr langsam wachsenden Tiere hätten durch zusätzliche Monate in LIMIA keine größeren Überlebenschancen. Eher im Gegenteil, weil der natürliche Instinkt schwächer wird, je länger sie in Gefangenschaft leben. Zeigen sie ein normales Verhalten und fressen gut, können sie mit einer Körpergröße von zehn bis 15 Zentimetern (inklusive Schwanz) ausgewildert werden - so wie die sechs Pioniere, die in einem Alter zwischen 25 und 50 Tagen in der Cala d'Egos in Andratx in die Freiheit schwimmen durften. „Wenn wir sie ins Wasser setzen, bleiben wir noch etwa eine halbe Stunde dort, um sicherzugehen, dass sie sich eingraben", sagt Pich. Danach sei es aber unmöglich, der Spur der kleinen Tierchen weiter zu folgen.

Die Bestände schrumpfen

Bislang haben die Forscher nur Eier von Spezies ins Labor bekommen, die nicht als gefährdet eingestuft sind und deshalb logischerweise häufiger im Netz landen. „Aber das bedeutet nicht, dass ihr Bestand nicht eindeutig schrumpfen würde, das ist das Problem", so die Biologin. Jeder Hai und jeder Rochen, der vor dem Schicksal bewahrt wird, noch ungeboren als unerwünschter Beifang zu enden, ist eine Bereicherung für das Ökosystem des Meeres, in dem diese Tiere eine bedeutende Rolle spielen. Im Übrigen betont Félix, dass der Übungs- und Lernprozess und die gewonnene Vorerfahrung durch ihr Pilotprojekt Gold wert seien, wenn es einmal darum gehe, das Ei von einer stark bedrohten Art auszubrüten.

„Wir lernen so viel von ihnen. Wir haben beobachtet, dass sie immer nachts zur Welt kommen und in Stress geraten, wenn sie keinen Sand unter sich haben", erzählt Pich. Jeden Tag kämen neue Erkenntnisse hinzu. Fiel es den Forschern zum Beispiel anfangs noch schwer, Spezies bereits im Ei zu identifizieren, weil die Bestimmungsbücher sich nur auf den Atlantik beziehen, sei dies heute kein Problem mehr.

Insgesamt sind die beiden hochzufrieden mit den Fortschritten des Projekts: „Es läuft noch besser, als wir erwartet hatten, mit schnelleren und vielversprechenderen Ergebnissen. Das beflügelt uns weiterzumachen", sagt die Meeresbiologin. Sie hofft auf eine Verlängerung von mindestens zwei Jahren: Das Projekt war zunächst auf ein Jahr angelegt, um alle Monate des Jahres zu erfassen und auf dieser Wissensgrundlage aufbauen zu können.

Wichtig für den langfristigen Erfolg ist die stetige Kontaktpflege mit den Fischern: „Ohne die Fischer und ihre Bereitschaft hätte es dieses Projekt nicht gegeben", sagt Pich. Auf die Frage, wie die Kooperation läuft, wechseln die Forscher einen kurzen, bedeutungsvollen Blick: „Sie funktioniert gut. Aber wie bei jeder Zusammenarbeit ist es so, dass man daran arbeiten muss", sagt Félix. Die beiden setzen auf ein langsames, behutsames Vorgehen, um das Vertrauen der Fischer zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass der Artenschutz letztlich auch in ihrem eigenen Interesse liegt.

Schließlich soll „Eggcase" nicht nur größer werden, sondern auch aufklären und Bewusstsein schaffen: „Die Leute sollen mehr über Haie und Rochen des Mittelmeers lernen und wissen, dass sie gefährdet sind", sagt Pich. „Sie müssen geschützt werden, und diese Botschaft wollen wir in die Gesellschaft tragen."