Die Idee entstand auf der Straße, und es geht auch um eine Straße: „Wenn die Sonne scheint, stehen wir gerne für einen Plausch draußen zusammen. Schon im Sommer vergangenen Jahres war uns klar. Wir müssen etwas unternehmen, zu viele Rollläden sind hier schon zu lange unten", erzählt Cecilia Peñarosselló. Die junge Geschäftsinhaberin eröffnete mitten in der Corona-Krise Anfang Sommer vergangenen Jahres ihr Geschäft „Humus vestir sostenible sustainable wear" in der Fußgängerstraße l'Argenteria in Palma de Mallorca, wo sie umwelt- und klimafreundlich produzierte Mode verkauft. „Alle Läden hier haben ein gemeinsames Problem: Uns fehlen die Kunden, vor allem vermissen wir die Urlauber", meint Cecilia.

Nun wurde die Idee in die Tat umgesetzt: In den sozialen Netzwerken soll gemeinsam Front gegen das Ladensterben in der Altstadt gemacht und der nicht nur pandemiebedingten Rezession etwas entgegengesetzt werden. Die Online-Beiträge laufen unter dem Hashtag #carrerargenteriapalma auf Instagram und bei „Carrer Argenteria Palma" auf Facebook. Geplant sind weitere Aktivitäten, sobald es die Lage zulässt. Bislang sieben Geschäfte, zwei Bars und ein Restaurant sind mit dabei.

Bei den Juwelieren

Die Argenteria-Straße, heute Fußgängerzone, hat eine besondere Geschichte: Als Call Menor gehörte sie zu einem der zwei mittelalterlichen Judenviertel von Palma. Flankiert wird sie von der Santa-Eulàlia-Kirche, hier wurden die Xuetes genannten Juden einst gezwungen, zum Christentum zu konvertieren. Die meisten Juden, die hier lebten und arbeiteten, waren Juweliere und genau dafür ist die Straße bis heute bekannt. Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab es auf knapp 200 Meter Länge sage und schreibe 23 Juweliere. Übrig geblieben sind von ihnen drei.

Ein halbes Dutzend gehörte alleine der Familie von Mercedes. Die 76-Jährige ist sozusagen das Urgestein der Straße und tagtäglich hinter ihrer Ladentheke zu finden. Seit 30 Jahren bietet sie in der winzig kleinen Joyeria Santiago, dem ältesten der drei letzten verbliebenen Juweliergeschäfte, klassischen Schmuck an, etwa die typischen mallorquinischen Silberarmbänder oder goldenen Hochzeitsdoppelringe, die alianza mallorquina.

Mallorquiner und Ausländer

„Ich bin die Älteste hier, und alle kümmern sich sehr um mich, ich mich aber auch um sie", meint Mercedes, die zu den Initiatoren der Gruppe gehört. Auch ihre Kollegin Selena aus dem moderneren Uhren- und Schmuckgeschäft Cosmo schräg gegenüber ist mit dabei. Ebenso Calame Paris Palma: Das kleine Lädchen bietet neben Accessoires, Ledertaschen und -geldbörsen ausgefallenen Schmuck aus Peru, Kolumbien, Israel, Frankreich, Italien und Spanien.

Die Besitzerin Alice ist aus Paris, auch sie ist Mitstreiterin und seit sechs Jahren in der Straße: „Hier wird es immer internationaler", sagt sie. Ihr Nachbar Franck zwei Läden weiter stammt ebenfalls aus Paris und ist auch mit von der Partie. In seinem Harmonie-Geschäft gibt es alle Arten Tücher, Decken und Überdecken für drinnen und draußen ausschließlich aus ägyptischer Baumwolle.

Zwischen den beiden Franzosen betreibt Consuelo ihr wahrhaft kurioses, sehr erfolgreiches kleines Geschäft Tempvs Templi: Gelebtes Mittelalter mit Tempelritter-Kultgegenständen, die ausschließlich aus Toledo stammen, dazu Mystisches wie Steine, Drachen, Elfen oder Pendel. Wer möchte, erhält von ihr einen Vortrag über die Bedeutung der Tempelritter auf Mallorca. „Zum Glück verkaufe ich auch übers Internet, wenn nicht, wäre es gerade sehr schwierig", begründet sie ihre Teilnahme an der Initiative.

Eine treibende Kraft, so sagen alle, ist Paz, die Eigentümerin von La Insular, zweifelsohne der Dekorationsladen mit den originellsten und hübschesten Insel-Souvenirs, produziert von Kleinproduzenten aus Keramik, Zungenstoff, verwaschenem Holz oder Karton, dazu filigraner Schmuck und ausgefallene Mode. Auch ihre Kollegin Lola macht mit - in ihrer Boutique La Federicka bestimmt Nachhaltigkeit die flippige Mode mit Labels aus Ibiza, Hawaianas aus recyceltem Material oder Häkelbikinis.

Darüber hinaus haben sich die seit dem Jahr 1956 existierende und vom Großvater gegründete Bar Plata von Vater Tolo und Sohn Alex angeschlossen - die Spezialität sind hier alle Arten von Llonguet-Brötchen. Ebenso die Bar Tierra y Mar der Bulgarin Denis und ihrem andalusischen Mann Rafa, die zum Frühstücken gut und günstig ist und eine reichhaltige Auswahl an Tapas im Angebot hat. Schließlich ist auch die Norditalienerin Irina mit ihrer Pizzeria Sa Cova mit von der Partie, übrigens wohl die Pizzeria in der Balearen-Hauptstadt, die die größte Auswahl an veganen Pizzas haben dürfte. Für Nichtveganer gibt es hochwertigen Büffelmozzarella.

Die Networkerin

Für den gemeinsamen Online-Auftritt und die Präsenz in den sozialen Medien des Carrer de l'Argenteria wurde Christina engagiert. „Unser Ziel ist es, diese sehr spezielle und kosmopolitische Straße, ihre besondere Geschichte und die Personen, die an ihr Projekt und an ihre Gemeinschaft glauben, zu fördern und zu unterstützen", so die in der Nachbarstraße aufgewachsene Networkerin.

Neue Kandidaten, die mitmachen wollen, stehen schon bereit. Zum Beispiel der Deutsche Kenny, der genau wie Cecilia mit ihrem Geschäft Humus mitten in der Pandemie seine Eisdiele Curly's Ice Dreams eröffnete. Bei seinen frisch zubereiteten Eiscremerollen aus natürlichen Zutaten kann sogar der Löffel mitgegessen werden - Kennys Beitrag, Mallorca noch „grüner" werden zu lassen. Möglicherweise macht ja auch noch die französische Bäckerei mit, die in den nächsten Wochen an der Ecke aufmachen wird.

Interessanterweise stellt man fest, dass nicht allein Corona schuld ist an den heruntergelassenen Rollläden. Die Probleme bestanden zum Teil bereits vorher: Die Ladenmieten waren - und sind - in dieser geschäftigen Ecke von Palmas Altstadt unverhältnismäßig hoch. Cecilia hat Glück: Ihre Vermieterin erlässt ihr einen Teil der Miete während der Monate der Pandemie. „Den meisten hier geht es zum Glück genauso, und ein Großteil der Vermieter hatte ein Einsehen mit uns, bei den einen mehr, bei anderen weniger." Nicht aber bei allen - und da kommt eine weitere wichtige Idee der Initiative zum Tragen: „Wir helfen uns untereinander, und wenn jemand in Not ist, dann kümmern wir uns um ihn. Konkurrenz spielt bei uns keine Rolle." So lautet das gemeinsame Credo.