Die Geschmäcker sind bekanntermaßen verschieden. Besonders zwischen den Generationen. Doch es gibt eine Tradition, die in Spanien alle ­Altersklassen vereint: Die Verbena, das Dorffest. „Die Mallorquiner wissen in der Regel ganz genau, wann in welchem Ort eine Verbena ansteht. Trinken, tanzen, Musik hören - es ist einfach nur eine Freude", sagt Tomeu Penya. Der 72-Jährige Country-Rocker zählt zu den beliebtesten Künstlern dieser Partys auf Mallorca - in Jahren ohne die Spaßbremse Corona zumindest. Die erzwungene Auszeit hat alle Beteiligten hart getroffen. Nach Lösungen sucht nun die neu gegründete spanienweite Bewegung Movilización Unida de Trabajadores del Espec­táculo (MUTE). Nach ihrem Willen sollen die Verbenas zum Kulturgut erklärt werden - und die Party trotz Pandemie weitergehen.

Was ist eine Verbena?

Eine Verbena steigt in der Regel zu den Feierlichkeiten rund um das Patronatsfest. Am ­Vorabend des Ehrentags des Patrons wird feuchtfröhlich mit Musik gefeiert. Verbena heißt übersetzt Eisenkraut. Die Bezeichnung geht auf die lila blühende Pflanze zurück, die sich die Herren früher bei den Partys ins Jackett gesteckt haben. „Es gibt kein spanisches Dorf ohne Verbena", sagt José Antonio Duque. Der DJ und MUTE-Sprecher verdient mit den Festen seinen Lebensunterhalt, zieht landesweit von Dorf zu Dorf, um die Leute zu unterhalten.

„Am Anfang ist die Party eher was für Ältere, Kinder und Familien. Ab Mitternacht geht die Sause mit dem jüngeren Publikum los", erklärt er. Diese Vielseitigkeit mache die Dorfpartys so beliebt. „Bei einem Konzert hört man eine bis anderthalb Stunden lang eine Musikrichtung. Bei der Verbena ist vom Klassikorchester über Rock bis Reggaeton von allen Genres etwas dabei", sagt Duque.

Jährlich 80 bis 100 solcher Feten auf Mallorca organisiert der Veranstalter Trui. „Viele junge Leute gehen lieber auf eine Verbena als in die Diskothek", sagt Trui-Chef Lorenzo ­Jaume. Getanzt wird dann ab Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden, und nicht nur zu den aktuellen Hits. Angesagt sind Klassiker wie „Paquito el Chocolatero" oder eben Tomeu Penya, der mit seinen mallorquinischen Liedern in den Tanztempeln von Palmas Paseo Marítimo wohl eher skeptische Blicke ernten würde. Bei den Verbenas aber feiert die Jugend den Trucker. „Im Vergleich zu normalen Konzerten passe ich bei den Dorfpartys meine Setlist etwas an. Die Musik ist lustiger. Das Publikum ist aktiver. Und wer keine Lust mehr auf meine Lieder hat, geht halt an die Bar etwas trinken", sagt Tomeu Penya.

Zu tief ins Glas geschaut

Der Alkohol ist bei den Dorfpartys Segen und Fluch zugleich. „Der Ausschank sorgt für ein besseres Ambiente", sagt Penya. Manche Verbenas werden auch durch den Barbetrieb finanziert. In anderen Fällen muss das Rathaus die Musiker bezahlen. Die Verbenas arten dabei nicht selten zu Saufgelagen aus. Die Bühne steht meistens auf dem Dorfplatz, die Partygäste glühen beim botellón häufig außerhalb des Partybereichs vor. „Manche verpassen das Konzert und saufen lieber weiter", sagt Lorenzo Jaume. Die Verbena solle man daher nicht mit den Saufgelagen verbinden. „Ohne den botellón würden vielleicht weniger Leute kommen, der Stimmung schadet das aber nicht", so der Trui-Chef.

Die Kasse ist leer

Während normale Konzerte unter Auflagen schon wieder erlaubt sind, ist an die Verbenas derzeit nicht zu denken. Das macht den Künstlern, die sich auf die Dorfpartys spezialisiert haben, schwer zu schaffen. „Seit Oktober 2019 habe ich keinen einzigen Cent eingenommen", sagt Duque. „In Spanien leben rund 700.000 Personen von den Verbenas. Besonders in den kleinen Nestern mit knapp hundert ­Einwohnern sind sie ein Wirtschaftsfaktor. ­Einige Barbesitzer machen zu den Patronats­festen 50 Prozent ihres Jahresumsatzes."

MUTE hat daher eine Unterschriftensammlung gestartet, um auf das Problem aufmerksam zu machen. „Aber die Politiker hören uns nicht zu. Ich fühle mich wie ein ausgesetzter Hund. Ich will mir keinen Mercedes kaufen, sondern einfach nicht mehr an den Tafeln für Essen anstehen", sagt der DJ. Die Verbenas müssten zu einem Kulturgut von allgemeinem Interesse erklärt werden. „Das gibt einen besonderen Schutz. Dann können die Verbenas nicht mehr einfach gestrichen werden."

Die Ausweisung als ein solches „Bien de Interés Cultural" kann jede Person beantragen. Doch die Jury, die darüber entscheidet, braucht meist Jahre. Aus Sicht der Beteiligten ist die Lage klar. „Die Dorfpartys sind seit vielen Jahren ein Teil unserer Kultur", sagt Duque. Dem stimmt der Trui-Chef zu. „Die Verbenas sind auch aus politischer Sicht wichtig. Wenn die Rathäuser keine guten Partys organisieren, bekommen sie im nächsten Wahlkampf die Rechnung."

Wobei der Titel des Kulturguts wohl nur im Zusammenhang mit den Patronatsfesten realistisch ist. „Sie spiegeln die Dorfgeschichte wider. Man denke an den Firó in Sóller, wo die Schlacht der Mauren gegen die Christen ­nachgestellt wird", sagt Lorenzo Jaume. Wobei nicht nur die Geschichte zählt. „Man weiß nie, wo die beste Verbena auf Mallorca ist. Alle sind toll. Manchmal ist die beste Party in den kleinsten Dörfern, in denen man es gar nicht erwartet", sagt Tomeu Penya. Die wohl größte Verbena sei die in Felanitx zu Sant Agustí, Ende August. „Dort treten die wichtigsten Künstler der Balearen und teilweise auch von ganz Spanien auf."

Doch nur Konzerte

Dass es dieses Jahr gar keine Dorffeste gibt, ist unwahrscheinlich. Die Rathäuser suchen nach Alternativen. Palma hat die Konzerte, die es jährlich zu Sant Sebastiá im Januar gibt, gegen eine Festivalreihe eingetauscht. Statt Grillen und Trubel auf den Plätzen gibt es eine gesittete Veranstaltung mit Sitzpublikum.

MUTE-Chef Duque schwebt eine Art Verbena light vor. „In Madrid zwängen sich Tausende Menschen in die Metro. Da muss im gewissen Maß doch auch Party möglich sein. Die Leute sind traurig und wollen sich amüsieren. Sie brauchen eine Feier." So schwebt dem DJ und Sänger eine Verbena mit Maskenpflicht vor, die schon um 19 Uhr beginnt und früh endet. „Essen und Trinken sind verboten, die Betrunkenen bleiben draußen - aber tanzen darf man", sagt er.