Es ist Samstagabend, kurz vor Mitternacht. In normalen Sommern nimmt in Cala Ratjada um diese Uhrzeit eine weitere Partynacht Fahrt auf. Angetrunkene Urlaubergruppen bevölkern die Hauptstraße des Küstenorts im Nordosten von Mallorca, die Bars sind voll, um das Disco-Dreieck am Carrer des Coconar bilden sich erste Schlangen. Und in diesem Sommer?

Die beleuchteten Springbrunnen um Cala Ratjadas ältester Disco, dem Bolero, sind abgeschaltet, auch die schweren Eingangstüren der Konkurrenten Physical und Keops – beide in unmittelbarer Nachbarschaft – sind fest verschlossen. Klar: Tanzen in Innenräumen ist tabu. Auch das Chocolate, eigentlich eine beliebte Outdoor-Kneipe, ist verrammelt. Ebenso das Angels, die Bar, die zum Bolero gehört, und für viele oft erste Anlaufstelle ist, bevor man sich zu späterer Stunde auf die Tanzfläche begibt. „Das Angels werden wir diesen Sommer noch öffnen, vielleicht Mitte Juli oder spätestens im August“, erklärte Geschäftsführer Gabriel Mesa der MZ schon vorab am Telefon. Das Bolero werde aber vermutlich geschlossen bleiben. „Man kann ja gar nicht planen, und je nachdem, wie streng die Auflagen dann sind, macht es auch keinen Sinn. Wir können nicht Polizei spielen.“

Und doch: Von Totentanz kann an diesem Samstagabend keine Rede sein. Die Hauptstraßen sind nicht überfüllt, aber doch belebt, und vor dem La Santa haben sich Menschentrauben gebildet. Der erst 2015 eröffnete Club, der sich immer gegen die alteingesessenen Konkurrenten behaupten musste, ist voll. Die aktuell geltenden Auflagen spielen den Betreibern in die Karten: Das La Santa hat einen nicht zu verachtenden Außenbereich. Zwar ist die Tanzfläche im Inneren gesperrt, doch draußen herrscht eine energiegeladene Stimmung, die der in einer Disco nahe kommt. Dafür sorgen laute Reggaetonklänge und bunte Lichter. „Man muss bei uns Tische reservieren, dieses Wochenende sind alle ausgebucht. Wir lassen aber immer auch ein paar für Touristen frei, die nichts davon wussten“, berichtet Pablo Diez, einer der Inhaber. Wird ein Tisch frei, dürfen die Leute rein, die etwas gedrängt und neben den Rauchern auf dem Bürgersteig warten. Nicht alle, aber doch die meisten tragen dort ganz vorbildlich ihre Masken. Von Eskalation, wie sie auf den Straßen der Playa de Palma Schlagzeilen macht, ist in Cala Ratjada – zumindest bisher – nichts zu sehen.

„Hier in den Ort kommt doch auch ein ganz anderes Publikum, viel zivilisierter“, findet Diez. Er mag grundsätzlich recht haben. Doch auch der Küstenort im Nordosten bringt in normalen Sommern so seine Skandälchen um Saufurlauber hervor. Derzeit jedoch scheint das in weiter Ferne. „Ich finde es voll o.k., dass wir hier nur an den Tischen bleiben dürfen. Es ist trotzdem total geil, einfach mal wieder so was wie Partystimmung zu erleben“, schwärmt Urlauberin Yasmin Menkel. Sie nippt an einem Gin-Tonic und strahlt. „Das ist doch schon viel mehr, als wir erwartet haben.

Auch in anderen Etablissements ist das Nachtleben angelaufen. Im Café 3 an der Meerespromenade hat sich überwiegend älteres Publikum zum Trinken zusammengefunden. Auch hier ist einiges los. Die Bars Nube, Chucca und Bahia Tropical sind ebenfalls gut besucht. Selbst im weitläufigen Außenbereich des Coco Pool sind viele Plätze besetzt. Wer die Augen schließt, den sich vermischenden Klängen der Musik aus den Bars lauscht und die Dämpfe der Imbissbuden einatmet, die immerhin wieder einigermaßen Zulauf haben, kann fast vergessen, dass die Party in Cala Ratjada derzeit nur mit Corona-Dämpfer läuft. Aber wer genauer hinsieht, der merkt es natürlich: Die Leute in den Lokalen laufen nicht wie sonst wild durcheinander, und es sind verhältnismäßig viele Einheimische unterwegs. Für gewöhnlich ist in Cala Ratjada Deutsch die dominierende Sprache der Nacht.

Zumindest im Bierbrunnen ist das auch jetzt so. Der Open-Air-Feiertempel zielt traditionell – obwohl von Mallorquinern betrieben – auf deutsches Partyvolk ab. Man kommt nicht umhin, ihn als eine kleinere Version des Bierkönig zu beschreiben. 1.200 Leute passen theoretisch in den Bierbrunnen. Coronabedingt sollten es weniger sein. Doch die Gefahr der Überfüllung besteht nicht. Mehrere Hundert Menschen sind dem Ruf nach Schlagern und Billigalkohol gefolgt, aber einige Tische sind auch leer. „Mallorca, du bist der geilste Ort der Welt“, dröhnt Mia Julias Stimme von Band aus den Lautsprechern. „Wir denken nicht zurück, wir denken nicht nach vorn. Eins, zwei Bier, drei, vier Korn“, singt die Ballermann-Ikone weiter. So ganz passt es nicht. Dazu ist die Stimmung dann doch nicht ausgelassen genug.

Zum Rauchen nach draußen

„Es war eine riskante Entscheidung, dieses Jahr zu öffnen“, sagt Geschäftsführerin Margalida Tous. Aber noch ein Jahr ohne Einnahmen war keine Alternative. „Wir haben es nicht bereut, es kommen ja Leute.“ Immer wieder müsse das Personal pädagogisch eingreifen. „Die Kunden verstehen nicht auf Anhieb, warum sie zum Rauchen auf den Bürgersteig gehen müssen, aber ihr Getränk nicht mitnehmen dürfen. Aber letztlich sind alle respektvoll.“

Patty und Micki zum Beispiel, die sich der MZ geradezu für ein Interview aufdrängen. Die jungen Männer haben merklich schon gut bei den XXL-Longdrinks zugelangt. „Wir benehmen uns doch, oder etwa nicht“, fragt Micki und wedelt demonstrativ mit der Maske, die an seinem Handgelenk baumelt. Immerhin wahrt er den Mindestabstand.

„Ich finde es klasse, dass der Bierbrunnen aufhat“, meint Touristin Biggi Schmidt. „Man kann doch auch Partylieder hören und sein Bierchen trinken, wenn man am Tisch sitzt und niemanden gefährdet.“ Für die 49-Jährige gehört ein Besuch im Bierbrunnen mit ihren „Mädels“ beim Cala-Ratjada-Urlaub einfach dazu. Nur dass um 2 Uhr Schluss ist und man nicht ins Bolero weiterziehen kann, sei schade. „Wir fahren jetzt nur auf Sparflamme, dafür geben wir nächstes Jahr richtig Gas“, ruft eine ihrer Freundinnen dazwischen. Die Mehrheit des Partyvolks im ganzen Ort scheint es ähnlich zu handhaben.