Er war keine auffällige Erscheinung. Das Rampenlicht im Bierkönig überließ er anderen. Antonio „Toni“ Pascual bewegte sich geschmeidig, fast lautlos und unsichtbar durch „das Wohnzimmer“, wie der Partytempel von seinen vielen Fans genannt wird. Bei den Auftritten der Künstler stand der grauhaarige Mallorquiner meist am Bühnenrand, die Massen überblickend, dabei unmerklich Anweisungen gebend. Das Gesicht stets regungslos wie das eines Pokerspielers. Akkurat mit einem gebügelten Hemd kam er daher, in gebügelten Jeans und Leder-Sneakern.

Begleitet wurde Toni bei seinen täglichen Runden durch den Bierkönig von seiner rechten Hand, Manolo. Der Direktor mit dem Hang zu bunten Wollpullovern begann in den 90er-Jahren seine Karriere als Kellner im Oberbayern, das ebenfalls den Pascuals gehört, und war bis vor Kurzem Geschäftsführer des Bierkönigs. Ein Vertrauensmann. Bis zum Ende.

Mit der Zwangsrente für Toni endet nun die Ära der Gebrüder Pascual, die neben Bartolomé Cursach die Geschicke an der Playa über Jahrzehnte lenkten und kontrollierten. Jetzt sind die mächtigen Bierkönige Geschichte. Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, muss man 50 Jahre zurückgehen in der Geschichte einer der mittlerweile einflussreichsten Familien der Insel.

Vom Bauernsohn zum Millionär

Die Brüder Miguel und Antoni „Toni“ Pascual Bibiloni stammen aus ärmlichen Verhältnissen. Ihre Eltern Onofre Pascual Comas und María Bibiloni Rosselló waren Bauern mit Land bei Binissalem. Sie hätten ums Überleben kämpfen müssen, erzählt Toni Pascual in dem einzigen Interview, das er je gegeben hat.

Antonio "Toni" Pascual Bibiloni. Ingo Wohlfeil

Zum Geldverdienen kommen der kräftige Miguel und der schmächtige Toni Mitte der 70er-Jahre an die Playa de Palma. Der Tourismus wird für die Pascuals zu einer nie versiegenden Geldquelle. Nach Gelegenheitsjobs in der Gastronomie eröffnet Miguel erst einen kleinen Supermarkt, dann eine Bar nahe dem Hotel Garonda. Immer an seiner Seite ist sein kleiner Bruder Toni.

Ohne Vater aufgewachsen

1978 wird Miguel von seiner ersten Frau verlassen, weil er in der neuen Umgebung einen Lebensstil pflegt, der mit den traditionellen mallorquinischen Werten nicht mehr zu vereinbaren ist. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Sohn Onofre drei Jahre alt. Seinen Vater wird er für zwei Jahrzehnte kaum noch zu Gesicht bekommen, Miguel interessiert sich einfach nicht für seinen Erstgeborenen. Rührend umsorgt wird der Knirps hingegen von den Großeltern. Jahrzehnte später wird Miguel seine Abwesenheit als Vater teuer bezahlen.

Das Diskotheken-Imperium

Doch bis dahin macht Miguel Pascual erst einmal Karriere. Anfang der 80er-Jahre mietet er einen Kellerladen in der zweiten Linie. Daraus wird das heute noch existierende Bolero. Ein Tanzlokal mit Kapelle. Hinzu kommen die Diskothek Regine's und 1983 das Oberbayern. Miguel Pascual kauft es Bartolomé Cursach ab, der den Verkaufserlös in das ein paar Hundert Meter weiter entstehende Riu Palace steckt.

Nun gehören den Pascuals mit dem Oberbayern die Kellerräume einer kompletten Parzelle in erster Meereslinie. Ein Labyrinth, in dem sich manch trunkener Gast stundenlang verlaufen konnte. Doch vereint werden die drei Diskotheken Oberbayern, Regine's und Bolero zu einem der erfolgreichsten Gastronomie-Projekte Spaniens.

Das Oberbayern bekommt schnell Kultstatus. Zu verdanken ist das der neuen Lebensgefährtin von Miguel, Beatrice Ciccardini. Die Schweizer Reiseleiterin kommt Ende der 70er- Jahre nach Mallorca und erfüllt sich mit den Diskotheken einen Traum: Sie bucht alle Schlagerstars Deutschlands von Bernhard Brink, Ibo, Heino, Jürgen Drews bis zu Klaus & Klaus oder Gottlieb Wendehals. Dieses Konzept verfängt bei den deutschen Touristen.

Anfang der 90er-Jahre treten dann die Rivalitäten mit anderen Diskotheken offen zu Tage. Das Nachtgeschäft ist hart umkämpft.

Der Krieg der Clubs

Einen besonders heftigen Schlagabtausch liefern sich die Pascuals mit Bartolomé Cursach, der mit dem Riu Palace die modernste Disco Mallorcas an die Playa baut. Die Mallorquiner versuchen, sich mit allen Mitteln gegenseitig die Kundschaft abzujagen, drehen die Preisspirale nach unten. So wird das Nachtleben immer günstiger und die Playa de Palma zu einem Ort, an dem die sogenannten Billig-Touristen es ordentlich krachen lassen können, ohne auf den Geldbeutel zu achten.

Bis zu 10.000 Menschen feierten einst im Bierkönig. Ingo Wohlfeil

Dann beginnt Ende der 90er-Jahre das Sterben unter den Playa-Gastronomen. 1997 wird Manfred Meisel, der Erschaffer des Bierkönigs, gemeinsam mit seinem achtjährigen Sohn und der Angestellten Claudia Leisten in S'Aranjassa regelrecht hingerichtet. Der Mörder wird nie gefunden.

Die Brüder Pérez, die die erfolgreichen Diskotheken Zorbas und Joy Palace führen, sterben Anfang des Jahrtausends bei einem Autounfall und an einer Überdosis Drogen. Jetzt gehört die Playa allein den Pascuals und Bartolomé Cursach. Im Jahr 2000 erbaut Cursach den Partykomplex Megapark. Kurz danach übernehmen die Pascuals den Bierkönig. Nach und nach entstehen so die größten Partytempel, die Mallorca je gesehen hat.

Der Sohn kehrt zurück

In der Zwischenzeit wird Onofre Pascual nach seinem Jurastudium in Barcelona Rechtsanwalt. Erst 2004 steigt er in die gemeinsamen geschäftlichen Aktivitäten der Familie Pascual ein. Nach dem Tod seiner Großeltern wird deren Landbesitz verkauft und das Geld in eine neue Hotelgruppe investiert. Onofre Pascual nennt sie zu Ehren seiner Großeltern Pabisa, die spanische Bezeichnung der Aktiengesellschaft ist Pascual Bibiloni SA. Die ersten vier Hotels werden nach und nach der Familie Riu abgekauft, die zu diesem Zeitpunkt am Mallorca-Geschäft zweifelt und stark in karibische Destinationen investiert.

Onofre Pascual, hier im Gespräch mit der Hoteliers-Sprecherin Maria Frontera. DM

Mit der Gründung der Hotelkette ist Onofre Pascual ebenbürtiger Partner seines Vaters und seines Onkels. Onofre zeichnet als Generaldirektor für die Hotels verantwortlich, Onkel Toni für den Bierkönig und Vater Miguel für den Oberbayern-Komplex. Jeder hält jeweils 33 Prozent der Unternehmungen.

Götterdämmerung

Als die Polizei im Februar 2015 Miguel Pascual vorläufig festnimmt, kommt es zum endgültigen Zerwürfnis zwischen Onofre und seinem Vater. Die Vorwürfe gegen Miguel sollen in seinem Sohn Ekel und Entsetzen auslösen, sagt einer aus dem familiären Umfeld. Sie umfassen neben Korruption und Beamtenbestechung auch den Vorwurf der Zuhälterei.

Miguel Pascual Bibiloni bei einem Gerichtstermin in Palma. Pere Joan Oliver

Onofre macht kurzen Prozess. Gemeinsam mit Toni entfernt er seinen Vater aus den gemeinsamen Aktivitäten, um Schaden von der Familie abzuwenden. Miguel bleibt nur noch das Oberbayern, dem er sich aber nach gerichtlicher Anweisung nicht nähern darf. So kehrt Miguel zu seinen bäuerlichen Wurzeln zurück. Er kauft sich über die Jahre das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet Mallorcas in der Nähe von Cala Pi. Miguel war zeit seines Lebens leidenschaftlicher Landwirt. Jetzt kann er das Tag für Tag ausleben. 2017 wird das Weingut eröffnet.

Der neue Luxus

Onofre Pascual plant ebenfalls Großes und beschließt den Bau zweier Luxushotels, die 2020 eröffnet werden sollen. Das Pabisa Bali Park und das Aubamar Suites & Spa liegen direkt in der Schinkenstraße. Es ist eine Abkehr vom Billig-Tourismus, mit dem die Pascuals reich wurden. Aber es ist auch eine Anpassung an den behördlich verordneten Zeitgeist. Der Partytourismus ist nicht nur der Regierung ein Dorn im Auge. Der Ballermann mit seinem Party- und Krawalltourismus beeinflusst das Bild Mallorcas zu sehr und vor allem zu negativ, findet die Mehrzahl der Einheimischen.

Die Verordnungen

Der Kampf um die Ausrichtung an der Playa de Palma wird mit Verordnungen geführt, und so werden die Groß-Gastronomen hart reglementiert. Den Bierkönig trifft es in Form von Einlasskontrollen, einer kompletten Umzäunung, der Abtrennung der drei verschiedenen Bereiche („Alter Bierkönig“, „Neuer Bereich“, „Pancho“), einem Ess- und Trinkverbot in der Schinkenstraße sowie Kapazitätsbeschränkungen. Passten früher bis zu 10.000 Menschen dicht an dicht in den Partytempel, darf jetzt nur noch weniger als die Hälfte rein. Zumindest, wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht. Derzeit sind es nur wenige Hundert, die Einlass finden.

Der Bierkönig während der Fußball-Europameisterschaft. Alberto Vera / dpa

Wandel mit Corona

So ist es auch das Coronavirus, das den Expansionsdrang von Onofre und Miguel Pascual jäh stoppt. Allein die neuen Hotels haben ein Vermögen gekostet. Zwischen 40 und 80 Millionen soll Pabisa investiert haben in Projekte, die 2020 starten sollen, aber nicht starten können.

Als die Saison 2021 langsam anrollt, diskutieren die Pascuals über Maßnahmen, welche die alten Strukturen im Bierkönig ins Wanken bringen. Galt bisher, dass ein Kellner die Saison voll durcharbeitet, soll nun über die Fünf-Tage-Woche nachgedacht werden. Galt bisher nur Bargeld als Zahlungsmittel, soll nun womöglich die Kartenzahlung eingeführt werden.

Es ist ein Kampf der neuen gegen die alten Mächte. Am Ende ist für Toni klar, dass Kartenzahlung keine Option ist. Auch Direktor Manolo ist nicht dafür bekannt, ein großer Freund von ausgefeilter Personalplanung zu sein. Also entscheiden sich die beiden für den Ausstieg aus dem Bierkönig. Nach fast 20 Jahren.

Der neue Bierkönig

Die eingefleischten Fans der riesigen Trinkhalle in der Schinkenstraße sind verunsichert. Seit die Behörden 2016 anfingen, das Chaos rund um die Partyzonen zu ordnen, fürchten sie, dass sich alles ändern könnte, gar der Bierkönig schließen müsse. Tatsächlich haben sich die Machtverhältnisse an der Playa in den vergangenen sechs Jahren gehörig verändert. In den 90ern und am Anfang des Jahrtausends hatten die mächtigen Gastronomen die Behörden unter Kontrolle. Was Cursach oder Pascual wollten, wurde umgesetzt. Ungemütlich wurde es für diejenigen, die im Weg standen. Jetzt weht der Wind aus entgegengesetzter Richtung. Das Rathaus von Palma will ein Ende des Partytourismus.

Was will Onofre? Ein Interview lehnt er ab. „Onofre Pascual ist ein Hotelier durch und durch“, sagt ein Vertrauter der Familie, „an der Gastronomie interessiert ihn höchstens der Umsatz.“ Und der stimmte bisher im Bierkönig. Daher wird Onofre Pascual den Laden nicht auf links drehen, davon sind viele Beobachter überzeugt. „Mia Julia tritt wieder auf, wenn man auftreten darf“, sagt Peter Brückner, Manager der Sängerin. Andere Ballermann-Recken wie Peter Wackel oder Tim Toupet stoßen ins gleiche Horn. Es werde sich rein gar nichts ändern, sagen sie. Selbst wenn die Delta-Variante die laufende Saison noch einmal ins Wanken bringen sollte, sind sie sich sicher: 2022 geht die Party wieder los. Bei maximal 90 Dezibel. Mehr ist von den Behörden nicht mehr erlaubt.

Mia Julia bei einem Auftritt im Bierkönig Clara Margais / dpa

Das Leben danach

Der Prozess gegen Miguel wird 2020 eingestellt, weil die Hauptbelastungszeuginnen sich partout nicht mehr an sexuelle Missbräuche erinnern wollen. Aus dem Bierkönig Miguel ist der Vi Rei geworden, der Weinkönig (oder auch Vizekönig, virrei). Vi Rei, so heißt seine Weinmarke, die auf 84 Hektar Erde angebaut wird.

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Den Ex-Bierkönig-Direktor Manolo wird man fortan weiter an der Playa sehen. Ihm gehört die Latino Bar schräg gegenüber dem Deutschen Eck.

Für Toni steht Privates an. Er erwartet im August mit seiner slowakischen Frau Anita ein Kind. Er ist 66 Jahre alt. Sie 30. Er war Chef im Bierkönig, sie Go-go-Tänzerin auf einem der Bierfässer. Wie man sich eben am Ballermann kennenlernt.