„Wo es Verantwortung gibt, gibt es keine Schuld“, sagte Albert Camus einst. Ob Naim Darrechi schon einmal von dem französischen Philosophen gehört hat? Wohl kaum. Zumindest kann man das Verantwortungsbewusstsein des 19-jährigen Mallorquiners in etwa mit einem kaputten Smartphone vergleichen, das sich ab und zu kurz einschaltet, die meiste Zeit über aber komplett ausgeschaltet ist.

Andere Frage: Haben Sie, liebe Leser, schon einmal von Naim Darrechi gehört? Wenn Sie älter als 25 Jahre sind: wohl kaum. Alle jüngeren: bestimmt. Naim Darrechi ist smart, cool, hat immer einen flapsigen Spruch auf den Lippen – und im sozialen Netzwerk Tiktok mehr als 26 Millionen Follower. Damit zählt er als Spaniens bekanntester Tiktoker. Sein Publikum am Smartphone: überwiegend Kinder und Jugendliche, die seinen Mix aus Tanz-Videos und Sprüchen lieben.

Ja, 19 ist noch ein zartes Alter. Ein Alter, in dem jugendlicher Leichtsinn durchaus mitschwingen darf, auch dann, wenn man vor einem Millionenpublikum spricht. Mit 19 ist man aber auch volljährig – und strafmündig. Darüber hat Naim Darrechi ganz offensichtlich nicht nachgedacht, als er sich in einem Interview mit dem Tiktok-Kollegen Mostopapi grinsend darüber ausließ, dass er Kondome beim Sex grundsätzlich ablehne. Und dass er seine Bettgefährtinnen sogar dann ohne Gummiüberzieher begatte, wenn diese damit nicht einverstanden seien. „Ich sage ihnen dann: Ganz ruhig, ich bin sterilisiert, ich habe mich operieren lassen, um keine Kinder zu bekommen“, meinte Darrechi im Interview – und lachte gemeinsam mit Mostopapi über die offensichtliche Lüge.

Das Lachen verging ihm erst, als er sich plötzlich einer Anzeige gegenübersah. Irene Montero, die spanische Gleichstellungsministerin, konnte dem unreifen Gequatsche keinerlei Komik abgewinnen, und brachte den Fall vor die Staatsanwaltschaft. Schließlich rufe Darrechi mit seinem Gerede zu einer Form sexuellen Missbrauchs auf. Monteros balearische Amtskollegin Mercedes Garrido teilte diese Auffassung und drohte ebenfalls Maßnahmen gegen den jungen Macho an.

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Und wie reagiert Darrechi? Zunächst wie ein geprügelter Hund, was angesichts seiner Akte auch ratsam ist – schließlich ist er schon polizeibekannt, seit er im Mai dieses Jahres bei einem illegalen Saufgelage in Palma festgenommen wurde und sich dabei aggressiv gegen die Beamten zur Wehr setzte. Es täte ihm „von Herzen leid“, was er da über seine sexuellen Praktiken gesagt habe. „Manchmal bin ich mir der Verantwortung, die ich habe, nicht bewusst.“

So hätte er es stehen lassen können. Doch das V-Wort schien Darrechi nach diesem Bußgang nicht losgelassen zu haben. Wenig später drehte er den Spieß um, wandte sich in mehreren Posts an die Balearen-Regierung. Diese solle doch bitte einen Influencer-Rat etablieren, der die Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken reguliere und Verhaltensnormen vorgebe – so, wie das in den herkömmlichen Massenmedien auch der Fall sei. „Vielleicht habe ich all das ja nur getan, um eure Aufmerksamkeit zu erregen, damit ich euch um Hilfe bitten kann“, feixte er – das Grinsen bereits wieder im Gesicht. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie es wieder verschwinden dürfte, wenn die Politik seiner Forderung tatsächlich nachkäme. Eines hat Darrechi nämlich ganz offensichtlich noch nicht verstanden: Dass die klassischen Massenmedien eben nicht staatlichen Verhaltensnormen unterliegen, sondern der Selbstverantwortung der medialen Akteure. Die lässt sich nicht einfach abgeben – und Schuld noch weniger.