Es gibt mallorquinische Familien, die haben die Dörfer von Mallorca über Generationen in vielerlei Hinsicht geprägt. In Capdepera ist die Familie Flaquer eine von ihnen. Nicht nur dass die Flaquers seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit wirtschaftlicher Raffinesse Unternehmen aufbauten, die teilweise bis heute Bestand haben. Im Fall des 2009 verstorbenen Familienoberhaupts Gabriel „Biel" Flaquer hat die Gemeinde Capdepera auch einen großen Dokumentaristen verloren. Mit seiner Fotokamera hielt er den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Gemeinde aus vielen Perspektiven fest. Der Zeitgeist seiner Fotos lebt bis heute im Gemeindearchiv weiter, wo gut 49.600 Negative des Hobbyfotografen aufbewahrt werden.

Jeder der Capdepera kennt, kennt auch den Laden „Artesanía la Palma". Hier haben jene traditionellen Produkte aus Palmblättergeflecht ihren Ursprung, die auf der ganzen Insel als hochwertige Handwerkskunst gehandelt werden. Im benachbarten Urlaubsort Cala Ratjada sind derweil die Hotels Bella Playa und Parque Nereida feste Größen. „Das alles ist meinem Vater zu verdanken", sagt Gabriel Flaquer junior, der sechste von sieben Nachfahren des gleichnamigen Vaters.

Arbeitskräfte abgeholt

Gabriel Flaquer senior (Jahrgang 1937) hatte eine für damalige Zeiten überdurchschnittlich hohe Bildung genossen. Er besuchte die Jesuiten-Schule in Palma, studierte dann Wirtschaftswissenschaften in Bilbao und zog 1961 nach Madrid, um dort eine Versicherungsgesellschaft aufzubauen. „Doch nach nur anderthalb Jahren baten ihn sein Vater und sein Onkel, nach Capdepera zurückzukehren. Sie hatten kurz zuvor das Bella Playa Hotel an der Cala Agulla eröffnet, das erste richtige Hotel im Ort, und benötigten Biels Fachwissen", erinnert sich die Witwe Juanita Terrasa. Auch sie stammt aus Capdepera, hatte sich wenige Jahre zuvor mit Biel vermählt und war froh, der Hauptstadt den Rücken zuzukehren und wieder in heimatliche Gefilde zu ziehen. Zu dieser Zeit war die Fotografie bereits das größte Hobby des jungen Mannes.

In dem großen Haus mit Meerblick in Font de Sa Cala, das Juanita Terrasa bis heute bewohnt, sind die Spuren ihres verstorbenen Ehemanns allgegenwärtig. Die Wände sind übersät mit großformatig ausgedruckten Fotos, die Biel Flaquer vor Jahrzehnten schoss. „Ich wechsle sie regelmäßig aus, genug Auswahl gibt es ja", sagt die alte Frau mit liebevollem Blick auf ein Bild, das das Spiegelbild des Fotografen zeigt, halb versteckt hinter seiner Leica-Kamera. „Wenn man so will ein Selfie", sagt sein Sohn und schmunzelt.

„Eigentlich hatte er seine Kamera immer mit dabei, egal, wohin er ging", berichtet Juanita Terrasa. Sie seien viel gereist. Auf dem spanischen Festland, durch Europa. „Vor allem sind mir unsere Andalusien-Reisen noch in guter Erinnerung", so die Witwe. Dort warb Biel Flaquer, nachdem er die Leitung des Bella Playa übernommen hatte, mehrmals Arbeitskräfte an. „Er suchte junge Leute, vor allem Frauen, um sie in dem Hotel als Zimmermädchen anzustellen", so Juanita Terrasa. Während es heute viele junge Menschen vom Festland nach Mallorca zieht, um hier in normalen Sommern zu jobben, war es in den frühen 1960er-Jahren etwas Außergewöhnliches, die andalusische Familie zu verlassen und auf die Insel zu kommen. „Mein Mann musste persönlich die Dörfer um Granada und Almería abklappern, um die Eltern der jungen Frauen davon zu überzeugen, dass ihre Töchter in seinem Betrieb in guten Händen sind." Noch heute leben viele der damals jungen Arbeiterinnen und Arbeiter in und um Capdepera. Sie haben längst Nachfahren, die ihrerseits fest mit dem Ort verwurzelt sind.

Zahlreiche Fotos, die Sohn Gabriel Flaquer junior für den MZ-Besuch herausgesucht hat, zeugen aus dieser Anfangszeit des Tourismus und seiner Auswüchse. In Andalusien sind ländliche Armut, verschlossene Bewohner, aber auch Wärme und Hoffnungsschimmer in den Gesichtern einiger Porträtierter zu sehen. Auf den Aufnahmen, die in Capdepera und den angrenzenden Küstenorten gemacht wurden, sieht man hart arbeitende Landwirte, Menschen bei Prozessionen und auf Dorf­feiern, Fischer am Hafenbecken von Cala Ratjada, Schäfer bei der Arbeit auf dem Feld - und erste Urlauber am Strand und in den Küstenorten. Moderner und freizügiger gekleidet, ist es ein deutlicher Kontrast zu den viel biederer wirkenden Einheimischen.

Die Krux mit der Mandelblüte

„Fast alle Fotos, die mein Vater schoss, sind ungestellt. Er war stets ein neutraler Berichterstatter, wie ein Notar, der einfing, was er sah", berichtet Flaquer junior und deutet auf eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die eine ältere Frau in Bauernkleidung halb versteckt hinter einer Holztür ihres andalusischen Häuschens zeigt. Oder auf eine Szene am Strand von Cala Agulla, wo ein anderes Kamerateam ein Modell ablichtet, das sich erschöpft in Richtung der Dünen dreht. „Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass mein Vater ein introvertierter Mensch war. Aber oft verstand man seine Sicht auf die Dinge und damit auch ihn selbst am besten über seine Fotos", sagt sein Sohn.

„Häufig habe ich mich gefragt, wie er auf diese Motive kam", sagt Witwe Juanita Terrasa und deutet auf eine Fotografie, die eher einem Gemälde gleichkommt. Es ist eine Detailaufnahme eines verzweigten Stacheldrahts, der sich diagonal über das Bild erstreckt, in der Mitte ein einzelner Wassertropfen. Auch die Mandelblüten der Insel sind auf vielen der Bilder zu sehen. „Das war sein Steckenpferd, aber er war nie ganz zufrieden damit, wie er die Blüten einfing und musste es immer wieder versuchen, auch wenn keiner von uns verstand, warum."

Die Strategie, Arbeitskräfte vom Festland anzuwerben, ging auf. Das Bella Playa wuchs mit den Jahren von 60 auf aktuell 269 Zimmer an, viele weitere große Herbergen haben sich seither um das Hotel angesiedelt. 1988 eröffnete Flaquer senior das Hotel Parque Nereida an der Cala Lliteras, das ebenfalls bis heute besteht. Es folgten Souvenirshops. Der Versuch, die einst für Einheimische gefertigten Palmblätterprodukte auch den Urlaubern schmackhaft zu machen, glückte.

„Die Fotografie war für meinen Vater sicherlich eine Art, um Stress und Druck von der vielen Arbeit abzubauen", vermutet der Sohn. Und so widmete er dem Hobby einen Großteil seiner Freizeit. Zwar habe Biel Flaquer auch im Keller des Wohnhauses ein kleines Labor zum Entwickeln eingerichtet, berichten Sohn und Witwe. Er habe es sich aber zur Gewohnheit gemacht, fast jede Woche Negative in einen Fotoladen in Palma zu bringen. Nicht selten hielt er auf dem damals noch weit beschwerlicheren Weg über die Insel ohne Schnellstraße am Wegesrand an, um weitere Fotos zu machen. „Er hätte damit Geld verdienen und sie an Zeitungen und Zeitschriften verkaufen können. Aber das wollte er nie", erzählt sein Sohn. Auch deshalb entschied sich die Familie nach seinem Tod, die Fotos dem Gemeinde-Archiv kostenlos zu überlassen. Nur bei Ausstellungen haben sie in den vergangenen Jahren Einnahmen abgeworfen, aber stets ausschließlich für den guten Zweck. „Er hätte es so gewollt", ist sich Juanita Terrasa sicher.

Immer mit der Zeit

„Gabriel Flaquer war Unternehmer, dabei aber sehr sozial eingestellt und hat stets versucht, auch für die Interessen der Arbeitnehmer einzustehen", heißt es in einem Nachruf, den eine Lokalzeitung nach seinem Tod im Jahr 2009 über ihn veröffentlichte. Aus dem Artikel geht zudem hervor, dass auch Wandern zu seinen Hobbys gehörte und er maßgeblich an der Organisation der Dorffiestas beteiligt war.

In die Politik hat es ihn nie gedrängt. „Er wollte nie im Mittelpunkt stehen. Hinter der Kamera fühlte er sich stets am wohlsten", so Flaquer junior und holt eine große Kiste mit weiteren Fotos hervor. Es sind jene, die nicht ans Archiv übergeben wurden, weil sie die Familie in privaten Situationen zeigen. „Meine Mutter ist mit Sicherheit die meistfotografierte Frau in ganz Capdepera", sagt der Sohn und hält wie zum Beweis Aufnahmen der jungen Juanita hoch. Auch sie sind überwiegend ungestellt, zeigen die Frau auf Spaziergängen, im Haus, am Strand. „Es hat mich nie gestört, dass der Fotoapparat immer dabei war", versichert die Witwe. Ihr Mann habe es geschafft, die Kamera so einzusetzen, dass sie oft ganz vergaß, dass sie abgelichtet wurde.

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„Heute, in Smartphone-Zeiten, ist es normal, dass man unzählige Fotos von seinen Kindern und Verwandten hat. Das war in meiner Kindheit anders und wir haben wirklich Glück, dieses Familienarchiv zu haben", findet Gabriel Flaquer junior. Er ist sich sicher, dass seinem Vater aber auch die heutigen, schnelllebigeren Zeiten gefallen hätten. Bevor er 73-jährig verstarb, habe er sich auch an der Digitalfotografie versucht. Mit der Zeit zu gehen und offen für Neues zu sein, statt krampfhaft am Alten festzuhalten, war eben Gabriel Flaquers Art. Beruflich genauso wie fotografisch.

Erstmals erschienen im Dezember 2020.