Vielleicht haben Sie kürzlich das erfolgreiche Netflix-Original „Du Sie Er & Wir“ (span. Cuatro por cuatro) gesehen oder sind schon länger ein Fan der Krimiserie „Großstadtrevier“ der ARD. Die Romanze der Streamingplattform stammt zum Teil aus der Feder von Florian Gottschick, der auch Regie führte. Auch beim „Großstadtrevier“ hat der 40-Jährige über die Jahre hinweg als Regisseur immer wieder mitgewirkt. Auf der Leinwand des Kinos CineCiutat in Palma und beim Evolution Film Festival sind einige von Gottschicks Filmen ebenfalls schon gelaufen. Beim Dreh für den Kurzfilm „Martha“ mit Schauspielerin Carmen Molinar 2016 zog Mallorca den Diplom-Regisseur endgültig in seinen Bann, und er beschloss, sich mit einem Zweitwohnsitz auf der Insel niederzulassen. Auch zwei Romane hat er von hier aus bereits geschrieben, gerade sitzt er an einem dritten.

Was sind derzeit Ihre wichtigsten Projekte?

Es gibt zwei große: das Netflix-Original „Du Sie Er & Wir“, das ich im vergangenen Jahr mit großartiger Besetzung gedreht habe. Es ist weltweit abrufbar und wurde auch schon viele Millionen Male angesehen. Zudem ist 2021 im Penguin Random House Verlag mein Roman „Henry“ erschienen. Gerade arbeite ich an seiner Adaptation zu einem Drehbuch für eine renommierte Berliner Produktionsfirma, die auch „Unorthodox“ gemacht hat (Netflix-Miniserie aus dem Jahr 2020 über die junge „Esty“ Shapiro, die sich von einer ultraorthodoxen jüdischen Religionsgemeinschaft in New York befreit, Anm. d. Red.).

Auch mit dem Drama „Fucking Berlin“, das es ebenfalls auf Netflix geschafft hat, konnten Sie sich 2016 einen Namen machen.

Der Film hatte so einen Erfolg, weil er schon im Titel zwei Aspekte trägt, die sehr gut auf dem Markt funktionieren: „Berlin“ und „fucking“. Bis heute erhalte ich noch Zuschriften von dankbaren Menschen, die mir schreiben, dass der Film sie in ihrer Entscheidung, nach Berlin zu gehen, stark beeinflusst hat. Für viele ist „Fucking Berlin“ der Berlin-Film schlechthin und hat längst Kultstatus.

Welches Projekt würden Sie denn als Ihren größten Erfolg bezeichnen?

Erfolg muss man mit unterschiedlichen Maßstäben messen. Mein Diplomfilm „Nachthelle“ hat sehr viele Preise gewonnen, war auch auf Netflix und ist derzeit auf Amazon Prime zu sehen. Von der Anzahl der Auszeichnungen und den internationalen Filmfestivals her, an denen er teilgenommen hat, war er sicherlich der erfolgreichste. Kommerziell und wenn man sich die Abrufdaten anschaut, waren es eher „Fucking Berlin“ und „Du Sie Er & Wir“. Dieser Film ist sogar erst ein paar Monate alt. Er war in 185 Ländern unter den Top Ten und ist es teilweise immer noch. In Deutschland war er lange sogar auf Platz 2, direkt hinter einem Hollywood-Kriegsfilm. Das ist eine Leistung.

Täuscht der Eindruck oder haben Sie bei einem Großteil Ihrer Arbeiten ein Faible für Beziehungsmodelle und Sexualität?

Nein, der täuscht nicht (lacht). Mein zwölf Jahre alte Neffe hat mich vor Kurzem gefragt, ob ich nicht auch gern einmal eine Comic-Verfilmung mit vielen Explosionen und Spezialeffekten machen würde. Meine Stärke ist aber eher, in die Tiefe der Charaktere meiner Figuren zu gehen und deren Abgründe aufzuzeigen. Es macht mir nicht so viel Spaß, Explosionen und Autounfälle zu drehen, wie meinen Charakteren bis in die Seele zu schauen. Auch in „Du Sie Er & Wir“ werden verschiedene Beziehungsmodelle diskutiert. Zwei Pärchen fahren für ein Wochenende in ein Landhaus. Sie haben einen Partnertausch hinter sich, der nicht so gelaufen ist, wie er sollte. All das wird in dem Film auf eine sehr witzige und schwarzhumorige Weise erzählt.

Und in Ihrem Roman „Henry“, der bald verfilmt wird, worum geht es da?

Um eine Entführung, die aus Versehen passiert. Ein junger Erwachsener steigt in einen BMW, den er klauen möchte, und fährt weg. Dabei merkt er nicht, dass auf der Rückbank die zwölf Jahre alte Henriette schläft. Später will er sie eigentlich schnell wieder loswerden, doch sie überredet ihn, sie mitzunehmen. Somit entführt sich Henriette sozusagen selbst in ein fremdes Leben – das des Entführers und seiner Freundin, die mit ihm Schluss gemacht hat und die er mit der Aktion beeindrucken will. Und währenddessen sterben Henrys Eltern tausend Tode.

Sie verwirklichen als Regisseur nicht nur eigene Projekte, sondern drehen auch Produktionen im Auftrag von TV-Sendern wie der ARD oder dem ZDF.

Genau. „Großstadtrevier“ beispielsweise drehe ich immer wieder gern aus Lust und Laune, und ich war bisher an acht Folgen beteiligt. Das habe ich selbst als Kind schon gern geguckt und liebe es. Ab Ostern läuft im ZDF zudem die schon abgedrehte zweite Staffel von „Dr. Ballouz“ um einen syrischen Arzt. Von den sechs Folgen habe drei ich gedreht. Ab Februar drehe ich für den Sender darüber hinaus „Ein Fall für zwei“. Auch damit erfülle ich mir einen Traum, da ich das Format schon seit meiner Kindheit kenne.

Welche Ihrer Projekte haben Sie auf der Insel gedreht?

Der Kurzfilm „Martha“, den Carmen Molinar produziert und in dem sie die Hauptrolle gespielt hat, ist das einzige bisher, aber hoffentlich nicht das letzte. Mein Spanisch wird immer besser. Vielleicht ergibt sich da ja mal etwas. Carmen Molinar hatte mich damals auf dem Evolution Film Festival angesprochen und gefragt, ob ich den Kurzfilm drehen will. Dann habe ich mir das Drehbuch durchgelesen und bin im Januar 2016 nach Mallorca gekommen, um ihn zu drehen. Das war ein so zauberhafter Januar in Cala Ratjada. Es war sehr sonnig und warm. Ich hatte schon immer die Sehnsucht, auszuwandern, liebe Spanien und die spanische Kultur. Die Dreharbeiten haben den letzten Anstoß gegeben. Da habe ich beschlossen, nach Mallorca zu ziehen.

Sie leben mittlerweile zum Teil in Palma. Können Sie von hier aus problemlos allen Projekten nachgehen?

Ja, meine Arbeit verlangt auch nach sehr viel Büroarbeit, Vor- und Nachproduktion. Das Drehen eines Projektes nimmt die wenigste Zeit ein, vorher liegen meist viele Monate, wenn nicht sogar Jahre der Drehbuchentwicklung. Das kann ich gut von der Insel aus machen. Fürs Schneiden bin ich dann meistens ein paar Tage im Schnittraum in Berlin oder Hamburg. Und meine Romane kann ich auf der Insel sogar viel besser schreiben. Das ist ein guter Ausgleich zum doch stressigen Drehen. Während man bei Drehs mit vielen Menschen zu tun hat, ist man beim Romanschreiben ganz für sich allein. Das bin ich gern, vor allem auf Mallorca. Da passiert es auch mal, dass ich tagelang nicht rausgehe und nach zwei Tagen denke: Du hast ja immer noch deinen Schlafanzug an.

Wie viel Zeit verbringen Sie hier?

Ich habe eine Wohnung in Berlin und die in Palma. Wenn ich nicht drehe, bin ich drei Wochen im Monat auf Mallorca.

Fühlen Sie sich gut integriert?

Mein Spanisch ist zwar noch etwas holprig. Trotzdem würde ich sagen, dass ich dank vieler spanischer und lateinamerikanischer Freunde gut integriert bin und hier herzlich aufgenommen wurde. Sobald die Einheimischen merken, dass du kein Tourist bist, sondern deinen Lebensmittelpunkt hier hast, zeigen sie viel mehr von sich, und man hat auch die Chance, sich mit ihnen anzufreunden. Schon weil ich überall meinen Hund dabei habe, knüpfe ich schnell Bekanntschaften. So kann ich mich zudem als Nicht-Tourist outen. Denn wohl die wenigsten Touristen nehmen ihr Haustier mit auf die Insel.