Es soll ja gerade im Mittelmeerraum Inseln geben, die ein Lied davon singen können, was es bedeutet, wenn man sie für einen Spottpreis bereisen kann. Für 9 Euro kann man neuerdings nicht nur nach Mallorca fliegen, sondern auch mit dem Nahverkehrszug auf die Insel Sylt reisen. Seit dem 1. Juni gilt das sogenannte „9-Euro-Ticket“ der Ampelkoalition in Deutschland. Im Zuge des verabschiedeten Entlastungspakets können Bürgerinnen und Bürger nun für wenig Geld bundesweit den Nahverkehr nutzen. Feuilletonisten pfiffen bereits sehr früh von den Dächern, was am Pfingstwochenende Realität wurde: Das Partyvolk entert Sylt.

„Schon am Mittwoch um 10 Uhr waren die ersten 50 Punker da“, erinnert sich ein Barkeeper der Kneipe „Alt Berlin“, bestens gelegen am Strandabschnitt Westerland. Auch junges Partyvolk, das man vom Ballermann nur zu gut kennt, nutzte das 9-Euro-Ticket am Wochenende für eine Stippvisite. Im Gepäck hatten sie Bier, Alkoholtrichter, Deutschland-Flaggen und Musikboxen.

"Wir machen Malle jetzt auf Sylt"

Anstatt „Westerland“ von den Ärzten dröhnte „Sylt“ von Radiomoderator Klaus Taler und dem von Mallorca her berühmt-berüchtigten Schlagersänger Ikke Hüftgold über den Strand. Die beiden Musiker hatten noch vor dem Start des 9-Euro-Ticket eine Hommage auf die deutsche Insel veröffentlicht. „Wir machen Malle jetzt auf Sylt“, lautete eine Zeile. Auf der Plattform TikTok ist von diesem Partywochenende ein Video zu sehen von einem Mann, der sich mit Gummi-Einhorn in einen Stadtbrunnen setzt. „Sylt wird Hops genommen“, steht darunter zu lesen.

„Der Ansturm am Wochenende hatte schon eine neue Qualität“, sagt der Barkeeper im „Alt Berlin“, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will. „Man merkt, dass viele Leute hier sind, die das Geld eigentlich nicht haben.“ Ältere Damen und Herren hätten sich nicht mehr getraut, abends allein durch die Stadt zu gehen. Grundsätzlich sei das Ticket zwar eine gute Idee, meint der Barkeeper, „aber es wurde genauso wie erwartet: Chaoten und Kapalken kommen da eben auch“.

"Die Leute wollen eben feiern"

Sein Kollege Stefan Köster vom Bistro „Sylt Entrée“ nahe dem Bahnhof zieht gegenüber der MZ eine positivere Bilanz des Wochenendes, was allerdings auch daran liegen mag, dass die Kasse gestimmt hat. Rund um seine Bar sei es zu keinen schlimmeren Vorfällen gekommen. „Die Leute wollen eben feiern, wie auf Mallorca auch. Wir sind insgesamt gut durchgekommen, hatten gute Umsätze“, so Köster.

Auch die Polizisten auf Sylt waren an diesem Wochenende ähnlich beansprucht wie die Kollegen an der Playa de Palma. In ihrem Polizeibericht ist von Ruhestörungen aller Art, Sachbeschädigungen und weiteren Delikten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum die Rede. 31 Verkehrsteilnehmer, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss standen, seien aus dem Verkehr gezogen worden. Insgesamt gab man sich in dem Bericht dennoch gelassen: „Aus polizeilicher Sicht war die Insel zwar voll, aber die Pfingstfeiertagsstimmung und Einsatzbelastung war keine andere als in den Jahren vor der Corona-Zeit.“

Viele Lärmbeschwerden, viel Müll

Auch Bürgermeister Nikolas Häckel wiegelt in einer Mail an die MZ ab. Zwar habe es „teilweise lautstark-feiernde Gruppen, viele Lärmbeschwerden und viel Müll“ gegeben. Stadtlotsen und Polizei hätten die Lage aber „deeskalierend“ in den Griff gekriegt. „Die Polizei hat da, glaube ich, ein bisschen weggeschaut“, meint hingegen der Barkeeper vom „Alt Berlin“.

„Wir gehen weiter entspannt und gut vorbereitet in die Saison“, betont Häckel, der über den Verlauf der kommenden Wochen keine Spekulationen anstellen möchte. Mittlerweile haben die Partytouristen die Insel wieder verlassen. Bis zum 31. August gibt es das 9-Euro-Ticket aber noch. In diesem Sinne: ¡Hasta pronto, Westerland!