Es ist, als hätte die Tramuntana dieses Fleckchen Erde besonders gern und wollte es in die Arme schließen: links die Bergausläufer, rechts die häufig von Künstlern gemalte Felsformation Cavall Bernat, und dazwischen vier Traumbuchten. Kein Wunder, dass Cala Sant Vicenç, knapp zehn Minuten von Pollença entfernt, mit Beginn des Tourismusbooms in den 1960ern viele illustre Reisende anzog, die hier exklusive Erholung suchten.

Der Ort ist ein Juwel, die Menschen aus Pollença nennen ihn liebevoll Sa Cala“, sagt Rubén Zamora beim MZ-Besuch. Er ist Direktor des neuen Luxushotels El Vicenç de la Mar, das am 1. Juni eröffnete und das mit dem Grupotel Molins und La Moraleja nun das Fünf-Sterne-Trio vervollständigt. Es soll bewusst an die glamouröse Vergangenheit anknüpfen.

Denn im Laufe der Zeit ist der Fächer an Unterkünften in Cala Sant Vicenç immer breiter geworden: Es gibt große Drei- bis Vier-Sterne-Hotels, aus denen die Gäste dank All-inclusive-Buchungen kaum hinauskommen, preiswerte kleine Hotels sowie Ferienwohnungen für Familien. Dazu lockt mittlerweile eine Fülle an Airbnb-Optionen. Dank Letzteren ist eine Gruppe junger Frauen aus Amsterdam per Zufallstreffer für einen Wochenendtrip hier gelandet: „Es gab so viele Angebote, und der Ort ist von Palma aus sehr gut mit dem Bus erreichbar“, sagen Anastasia, Jessica und Hannah, während weitere drei Freundinnen in der Cala Clara planschen. Die Koffer haben sie an der Felswand abgestellt, Check-in ist erst in einer Stunde.

Deutsche und Skandinavier bevorzugen die Nebensaison

In den Buchten tummeln sich in der Hochsaison die Badegäste schon früh am Tag: die sportliche spanische Familie, die mit mehreren Stand-up-Paddles ausgerüstet ist und eine bocadillo-Pause einlegt, eine Gruppe Jugendlicher, die „Uno“ spielt, oder die zahlreichen Schnorchler, die mit Tauchmaske an den Felsen entlangschwimmen. Mallorquiner, die den Sommer in ihrer Zweitresidenz in Cala Sant Vicenç verbringen, teilen sich den Platz mit den Touristen. „Im Sommer kommen viele Spanier und Franzosen, auch Belgier und Italiener. Deutsche und Skandinavier bevorzugen die Nebensaison“, erklärt Marga von der Touristeninformation. „Aber Briten gibt es das ganze Jahr.“

Darunter sind viele Stammgäste. Zum Beispiel Amy aus Bristol, die als triefend nasser Beweis gerade aus dem Wasser steigt und von der Schönheit der Cala Barques schwärmt. Getrübt wird das Idyll nur durch den monströsen Hotelklotz Don Pedro, der von Umweltschützern als Bausünde kritisiert wird. Jennifer und Dan aus dem Südwesten Englands haben in gewisser Weise alles richtig gemacht, indem sie sich dort einquartierten: Auf der Sonnenterrasse haben sie das Gebäude im Rücken, vor sich nur das weite Meer. „Wir haben eben ein Adult-only-Hotel gesucht und hier einen guten Preis gefunden“, so das Paar. In Cala Sant Vicenç sind die beiden schon zum vierten Mal – und preisen das saubere Wasser, die Ruhe und den Frieden.

Qualitätstourismus gern gesehen

„Sauftouristen gibt es hier keine“, sagt Mario Marín. Er muss es wissen, denn zusammen mit seiner Frau leitet er einen der beiden Supermärkte, in denen sich die Urlauber mit dem Nötigsten versorgen können. Sie sind wichtige Knotenpunkte im kleinen Ort, der kein richtiges Zentrum hat und auf mehreren Höhenebenen gebaut ist – alle Straßen streben direkt zum Wasser, als Fußgänger geht es treppauf und treppab, wenn man sich zwischen den Buchten bewegt.

Marín ist einer von rund 200 bis 300 festen Einwohnern in Cala Sant Vicenç. Vor 18 Jahren kam er selbst als Urlauber aus Madrid, verliebte sich in eine Mallorquinerin und blieb. Neben dem „Spar“ betreibt er auch noch eine Agentur für Ferienvermietung. Obwohl es sich daher letztlich um einen Konkurrenten handelt, steht er dem neuen Fünf-Sterne-Hotel sehr positiv gegenüber: „Wir sind ja hier nur wenige Einwohner, und viele von uns leben von den Urlaubern. Je mehr Qualitätstourismus, desto besser“, betont er.

Dieses Credo hört man auch andernorts in Cala Sant Vicenç, etwa in der Touristeninformation: Die Nachbarn mögen den Neuzugang durchaus, aber sie mögen es auch ruhig. Sa Cala soll bitte kein Ziel für den Massentourismus werden – und besser in der Qualität als in der Quantität des Angebots zulegen. Im speziellen Fall des „El Vicenç de la Mar“ sind viele glücklich, dass dort nun etwas Neues entstanden ist. Denn am Fuße der Stufen zur Cala Molins befand sich zuletzt die Ruine des Hostal Mayol, das 2017 abgerissen worden war. „Manche waren in Sorge, weil sich die Bauarbeiten drei Jahre hingezogen und Lärm verursacht haben. Aber das Ergebnis wurde gut aufgenommen“, sagt strahlend Cristina Cerdà, guest experience manager im neuen Hotel. Sie wirkt so professionell entspannt, als hätte sie selbst gerade zwei Wochen Erholungaufenthalt hinter sich.

Unaufdringlicher Neuzugang

Von außen zeigt sich der Bau angenehm niedrig und dezent, er fügt sich mit der hellen Steinmauer und den türkisblauen Sonnenschirmen auf der Dachterrasse harmonisch ins Ortsbild ein. Innen findet sich alles, was das anspruchsvolle Herz begehrt: ein Spa, ein hauseigenes Kino, eine noch ausbaufähige Bibliothek, Zimmer mit Privatpool. Dazu zwei Restaurants, für die Sternekoch Santi Taura verantwortlich zeichnet. „Viele Essensgäste mittags kommen von außerhalb, die Hälfte sind Mallorquiner“, sagt Direktor Rubén Zamora. Das gastronomische Angebot fällt auf fruchtbaren Boden. Denn abgesehen vom Ca’l Patró, einem Mekka für Meeresfrüchte-Fans, gibt es nur wenige Lokale und fast keine Läden in Cala Sant Vicenç.

„Ein älterer Nachbar von gegenüber berichtete uns einmal, dass in seiner Kindheit in drei Wochen nur zwei Autos hier vorbeikamen – und an den Wochenenden vier“, erzählt Cristina Cerdà. Diese Zeiten sind längst vorbei. An der Cala Molins brettert eine Kolonne „Buggy Tours“ vorbei. Auch dieser Strand ist gut gefüllt, Kinder kreischen beim Wellenhüpfen. Ein Mann mit Dreadlocks und Jesus-Tattoo macht Selfies vor der malerischen Kulisse. Nur im Winter ist der Ort fast gespenstisch ausgestorben. Bis auf einige Naturfreunde – und Bergziegen, die sich dann in die Buchten hinunterwagen.

Das Boutique Hostal Oriola, das etwas abseits vom Geschehen liegt, wenn man von der Bucht aus dem torrent folgt, hielt als eines von wenigen selbst im ersten Corona-Winter noch bis Januar die Stellung für die spärlichen Gäste. Paquita Navarro, die seit zwei Jahren die Geschicke der Pension lenkt, scheint von der vielen Arbeit in dieser Saison regelrecht beflügelt zu sein. „Zu uns kommen übrigens auch viele Gäste, die sich eigentlich eine viel teurere Unterkunft leisten können. Aber sie mögen es lieber klein und familiär“, sagt sie. Doch egal welches Reisebudget vorhanden ist: In Cala Sant Vicenç entspannen sich alle in friedlicher Koexistenz.