Anfang Juni blüht auf Mallorca das einjährige Johanniskraut. Die Pflanze ist früh dran, denn der deutsche Name, wie auch der spanische hierba de San Juan oder der katalanische herba de Sant Joan, sind dem Umstand zu verdanken, dass der Höhepunkt der Blüte mit dem Tag des heiligen Johannes des Täufers am 24. Juni zusammenfällt. Wenn jedoch an diesem Tag in den vergangenen Jahren auf Mallorca und ­Menorca das Fest von Sant Joan gefeiert wurde, waren die meisten Exemplare des Hypericum perforatum auf den Inseln bereits verblüht oder an den Straßenrändern abgemäht.

In ihrem Buch der „Vergessenen Pflanzen" schreibt Aina S. Enrice, dass es insgesamt 26 verschiedene Arten von Hypericum in Spanien gibt. Zwei wichtige unter ihnen wachsen auf Mallorca: das getüpfelte Johanniskraut Hypericum perforatum sowie das endemische Balearen-Johanniskraut Hypericum balearicum. Der Familienname geht auf das griechische ­hyper und eikon zurück und weist auf den ­antiken Brauch hin, über Götterbildern Kräuterbündel aufzuhängen. Denn schon in vorchristlicher Zeit war bekannt, dass zur Zeit der Sommersonnenwende, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat und die Tage am längsten sind, die Kräuter ein Maximum an Wirkstoffen gespeichert haben.

Das getüpfelte Johanniskraut

Der Artname H. perforatum beschreibt die Eigenart, die dieses Johanniskraut von allen anderen unterscheidet und von alters her zu ­einer magischen Pflanze macht: Beim Zerreiben der goldgelben Blätter tritt Flüssigkeit aus den schwarzen Sekretbehältern und verursacht eine blutrote Färbung. Deshalb wird es auch Herrgottsblut oder Johannisblut genannt. Im vom Aberglauben geprägten Mittelalter wurde das Kraut sogar als Teufelsfuchtel bezeichnet und gegen Dämonen eingesetzt.

Das einjährige Kraut kann bis zu einen ­Meter hoch werden, es verzweigt sich nach oben hin buschig und wird von fünfblättrigen Blüten gekrönt. Diese, wie auch die ovalen spitz zulaufenden Blätter, enthalten die blutrote Flüssigkeit, Hypericin genannt. In der Blütenmitte umgeben über hundert Samenfäden als Büschel den Fruchtknoten. Wild­insekten holen sich dort Pollenfutter für ihre Brut. Als Gegenleistung bestäuben sie die Pflanze, deren Nektarproduktion spärlich ausfällt. Nach der Blüte entwickelt sich eine Kapsel, die winzige dunkle Samen freigibt.

Doch das Johanniskraut vermehrt sich auch mit der Wurzel, dann bleiben Blattrosetten den Winter über sichtbar und treiben im Frühjahr neu aus. Oder die Pflanze verschwindet komplett und entwickelt sich mehrere Jahre in Folge direkt aus der Wurzeln. „Blüten, Blättchen und Samenkapseln enthalten das beruhigend wirkende Hypericin", berichtet Uta Gritschke, die das Kraut trocknet und gemeinsam mit Blättern von Brombeere, Feige und Olive als Tee zubereitet. Auf ihren Kräuterwanderungen, die sie als Kurse anbietet, liefern die Geschichte des Johanniskrauts und die Magie, die diesem sommerlichen Kraut zugeschrieben wird, viel Gesprächsstoff. Die Teilnehmer freuen sich immer, wenn sie dem hübschen Kraut an Wegrändern oder auf Wiesen Mallorcas begegnen. Die Pflanzen­expertin warnt aber davor, an ein- und derselben Pflanze zu viele Blüten zu sammeln, weil dies die Vermehrung gefährdet.

Auch in Mallorcas Volksmedizin galt der Tee als Mittel gegen Depressionen. Heute gibt es Dragees, und es wird angenommen, dass die Extrakte vergleichbar mit synthetischen Antidepressiva auf den Stoffwechsel der Neurotransmitter einwirken. Bei hoher Dosis kann die Einnahme von Hypericin bei starker UV-Strahlung zu Hautverbrennung führen.

Das äußerlich angewandte Johanniskrautblütenöl wurde in der Naturheilkunde zur Nachbehandlung von Verletzungen eingesetzt. Dabei gaben frische Blüten ihre rote Substanz nach Wochen an das Öl ab.

Das Balearen-Johanniskraut

Der Artname des H. balearicum weist darauf hin, dass der endemische Strauch auf den ­Balearen zu Hause ist. Das immergrüne, mehrjährige Hypericum balearicum (hierba de San Juan span., estepa joana kat.) öffnet seine Blüten zwischen Mai und September, also auch am Johannistag. Das Herbari Virtual der Balearen-Universität bezeichnet es als aromatische Heilpflanze, die in der Serra de Tramuntana, seltener jedoch in der Ebene oder auf den anderen Balearen-Inseln vorkommt.

Die Blüten sind goldgelb und zahlreich, doch sie weisen keine dunklen Punkte auf. Auch nicht die eiförmigen Blätter, die dicht an dicht mit Harzdrüsen besetzt sind und einen würzig aromatischen Duft verströmen. Laub und Blüten enthalten ätherische Öle, die mittels Destillation zu kostbaren Essenzen für die Aromatherapie extrahiert werden. Dafür sind große Mengen frisches Schnittgut notwendig.

Dies sollte nur an kultivierten Stauden auf Plantagen gesammelt werden. Auch das Anpflanzen des kultigen Balearen-Johanniskrauts im Garten ist möglich. Beim Schnitt muss immer vorsichtig vorgegangen werden: Wer ausschließlich die frischen grünen Triebe abtrennt und die holzigen Äste vom Schnitt verschont, fördert das Wachstum des wilden oder kultivierten Balearen-Johanniskrauts.