Die Überraschung ist groß, wenn sich nach vier oder gar fünf Jahren die Blüte einer neuen Kakteensorte öffnet. „Erst dann stellt sich heraus, ob bei der Kreuzung tatsächlich eine neue Hybride herausgekommen ist“, sagt Eckhard Priemer. Er lebt seit 1997 auf einer Finca in der Nähe von Santanyí auf Mallorca. Doch der Beginn seiner Leidenschaft für Kakteen liegt über fünf Jahrzehnte zurück. Als der Naturwissenschaftler begann, sich mit Kakteen zu beschäftigten, wohnte er noch im hessischen Gießen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die MZ über den Pflanzenliebhaber berichtet. Auf dem runden Tisch in der Halle seines Steinhauses liegt aufgeschlagen eine im Mai 2004 erschienene Zeitung. Daneben ein Blatt mit handschriftlichen Korrekturen für den mittlerweile nicht mehr so ganz aktuellen Text. Denn in den siebzehn Jahren seit dem Erscheinen des Artikels hat sich einiges geändert. Schon damals stellte der heute 75-Jährige seine Blattkakteen vor, auch Phyllokakteen oder Epiphyllen genannt, weil sie als Aufsitzer epiphytisch auf anderen Pflanzen wachsen. Mittlerweile ist die Kollektion des Züchters auf mehrere Tausend Exemplare angewachsen.

Die Blüten

Auch dieses Mal beginnt der Rundgang wieder in einem Raum, der rundum von Natursteinmauern gesäumt ist und in dem dunkle Folien ein schützendes Dach bilden. Die Blattkakteen stehen in Pflanz­gefäßen auf der Erde. Viele Blüten hängen bereits lasch zwischen den Kakteenblättern. „Die Blütezeit beginnt jedes Jahr Ende April, der Höhepunkt ist dann im Mai“, sagt der Züchter. Ihm wäre der Besuch ein paar Wochen früher lieber gewesen.

Trotzdem sind noch Blüten zu bewundern, von denen Priemer sagt, dass Durchmesser von 30 Zentimeter nicht selten ­wären. Doch nicht nur die Größe beeindruckt, es ist auch die Farbenvielfalt, die fasziniert. Sie reicht vom reinem Weiß über Cremefarben bis hin zu Gelbtönen und deckt auch die Skala von Rosa-, Orange- und ­Rottönen bis ins Violette ab. Bei einer Blüte könne es, so der Kakteenexperte, bis zu vier Farbtöne geben. Auch der Reichtum an Formen ist beachtlich, denn die nach unten hängenden Blüten öffnen sich trichterförmig und geben Kronblätter mit spitzen und runden Enden frei. Und als ob das nicht schon genug wäre, wachsen am ­Blütenboden büschelweise Staubblätter mit interessanten Stempelformen.

Die tropischen Gewächse

Bei den Hybriden handle es sich, so der Naturwissenschaftler, um Kreuzungen aus neun Arten, die bereits seit 250 Jahren gezüchtet werden. Wild wachsen sie in Zentral- und im nördlichen Südamerika. Entsprechend ihrer tropischen Herkunft brauchen diese Kakteenarten humusreiche, leicht saure Erde. Den Inselboden vertragen sie deshalb nicht. Im Garten bei San­tanyí stehen die Töpfe in Untersetzern, in ­denen sich jedoch kein Wasser sammeln darf, weil die Wurzeln Staunässe genauso wenig vertragen wie direkte Sonne. Vor Hitze schützen zudem Silberfolien, die vor den Töpfen platziert sind. Auch das Stadtwasser mögen sie nicht. „Zu salzig, zu chlor-und zu kalkhaltig“, meint er. An seine Pflanzen kommt nur Regenwasser aus der Zisterne.

Die Kreuzungen

Die Vermehrung der Blattkakteen durch Stecklinge ist problemlos. Doch dabei entstehen immer nur Klone derselben Pflanzen. Sie mit Samen zu multiplizieren, ist komplizierter. Wenn dabei auch neue Kreuzungen entstehen sollen, erfordert dies viel Akribie. Priemer holt sich dazu Blütenstaub einer Pflanze und gibt ihn auf den Stempel einer anderen. Danach packt er die Pflanze ein, damit es nicht zu einer Zweitbestäubung durch Insekten kommt.

Auf männliche und weibliche Exemplare muss er dabei nicht achten, denn diese Hybriden sind Zwitter. Nach der Blüte ­bildet die Pflanze Samenkapseln. Die Samen werden dann im Herbst in Töpfe mit ­Anzuchterde ausgesät. Priemer berichtet, dass zurzeit etwa 15.000 verschiedene Züchtungen bei der Epiphyllum Society of America in Kalifornien registriert sind. ­Obwohl er seine Züchtungen schriftlich ­notiert und mit Fotos dokumentiert, hat er sie nicht registrieren lassen. Er züchtet aus ­Leidenschaft, die öffentliche Anerkennung seiner Zuchterfolge interessiert ihn nicht.Der Schattengarten

Der Rundgang führt nun an der Frontseite des Hauses vorbei. Hier fällt ein prächtig in Gelb blühender Kletterer mit Blättern in tiefem Grün auf. Er hat eine derart dichte, vertikale Begrünung gebildet, dass das Mauerwerk darunter verschwunden ist. Dies ist das Werk der Katzenkralle (Macfadyena unguis-cati), einer Kletterpflanze, die für ihr schnelles Wachstum bekannt ist.

Zum Garten hinter dem Haus führt ein schmaler Durchgang. Auf einer niedrigen Mauer ist hier im Schatten der Blatt­kakteen-Nachwuchs untergebracht. Dann stehen die Besucher plötzlich in einem Wald aus Wildoliven. Beim Hauskauf fand ­Priemer damals eine Wildnis aus hohen Sträuchern vor. Durch häufiges und regelmäßiges Schneiden sind daraus Bäume mit dicken Stämmen geworden. Über allem scheint ein Blätterdach zu schweben.

Es bietet weiteren Exemplaren aus der Phyllokakteen-Sammlung Schutz. Wenn im Winter die Sonne tief steht, bekommen sie Licht, im Sommer spenden die Blätter Schatten. Unter den Wildoliven zeigen sich neben Mastixsträuchern auch immer wieder hellgrüne Polster, deren gelbe Blüten verraten, dass hier Bulbinen (Bulbine frutescens) wachsen, denen es so gut gefällt, dass sie sich zügig von selbst vermehren.

Magie und Liebeszauber

Für den Höhepunkt der Blattkakteen-Blüte kam die MZ zu spät, für die der „Königin der Nacht“ dagegen ist es noch zu früh. Denn bald wird der zu Selenicereus-Arten zählende Blattkaktus seine Blüten öffnen, die zu den größten Kakteenblüten überhaupt zählen. Der Platz an der Natursteinmauer scheint der Sukkulente zu gefallen, Hunderte graue Knospen werden hier in Bälde aufspringen.

Gerade rechtzeitig kam die MZ jedoch zur Blüte des San-Pedro-Kaktus (Trichocereus pachanoi), der das berühmte Mescalin enthält. Ethnobotanische Funde zeugen von seiner Nutzung in der peruanischen Frühgeschichte. Vor Ankunft der spanischen Eroberer war diese Pflanze für Rituale weit verbreitet. Der katholischen Kirche gelang es nicht, ihr Verbot durchzusetzen. Denn Schamanen setzen den Kaktus noch heute gegen Hexerei und Zauber ein.