Mandarine ist nicht gleich Mandarine. Und weil sie zu den klassischen Obstsorten des Winters zählt, ist Weihnachten der richtige Zeitpunkt, um in Sóller nachzufragen, wie sich die Arten innerhalb der „Mandarinenfamilie“ unterscheiden. Einer der Experten hierfür ist Rafel Forteza, vom höchsten Punkt seiner Zitrusplantage Ca’s Sant scheint der Kirchturm von Sóller zum Greifen nahe. „Die Mandarine zählt zu den botanischen Arten, die zur Hybridisierung oder Mutation neigen“, so der Experte. Deshalb gebe es zwar Tausende verschiedener Sorten, doch nur wenige eigneten sich für den Verkauf als Frischobst oder für die Weiterverarbeitung zu Säften, Sorbets oder Eis.

Die Mandarinen

Darüber weiß Franz Kraus von Fet a Sóller Bescheid. „Wir haben kürzlich die Bäume alter Mandarinensorten neu angepflanzt“, sagt Kraus. Für den Frischverzehr hätten sie oft zu viele Kerne. Doch sei ihr unverwechselbares Aroma für Mandarinenprodukte unverzichtbar. „Wenn die alten Sorten Ende Dezember bei uns ankommen, verkaufen wir sie sofort en gros zur Verarbeitung weiter“, sagt Pedro Mulet von der Kooperative in Sóller. Die Erntezeit sei kurz, sie dauere nur wenige Wochen.

Es trügen jedoch immer noch betagte Mandarinenbäume auf der Insel Früchte, die auf den Wochenmärkten verkauft werden. Kraus und Mulet sind sich aber einig, dass die alten Mandarinensorten für den frischen, massentauglichen Verzehr wenig Zukunft haben.

Baut und bietet Mandarinen an: Rafel Forteza. Nele Bendgens

Ihre Geschichte reicht weit zurück. Denn schon vor unserer Zeitrechnung soll in China aus einer Mandarine und einer Pampelmuse die Orange gezüchtet worden sein. Nach Europa kamen die kleineren Früchte erst Anfang des 19. Jahrhunderts. Ob ihr Name mit dem der hohen chinesischen Würdenträger in Verbindung steht, ist umstritten, denn diese heißen im Chinesischen nicht „Mandarin“, sondern guan.

Die Clementinen

Die Clementinen wurden dagegen im Mittelmeerraum gezüchtet. Es handelt sich um eine Mandarinenart, die keine oder wenig Kerne enthält und durch eine Kreuzung der Mandarine über den Zwischenschritt Orange mit einer Pampelmuse entstanden ist. Ihr Name geht auf den Trappistenmönch Frère Clément zurück, der Anfang des 20. Jahrhunderts in der Nähe des algerischen Oran als erster die Clementine entdeckte und wissenschaftlich beschrieb.

Auf der Insel sind die Clementinen die ersten Zitrusfrüchte, die jedes Jahr im Oktober reif werden. Forteza erinnert sich, dass er früher die ersten reifen Früchte als Wegzehrung zum Pilzesammeln mitnahm. Damit sie richtig süß werden, benötigen sie Kälte und Sonne, doch letztere fehlt manchmal zur Winterzeit. „Heftige Niederschläge können den Geschmack verwässern“, berichtet Kraus. Bis Mitte Januar reifen die Clementinen in Sóller.

Die Tangor oder Oreniques

Kurz danach beginnt die Reifezeit der Früchte der Sorte Tangor, auch Orenique genannt. Sie ist durch natürliche Kreuzung auf Jamaika entstanden. Doch erst nach intensiven Bodenproben und Analysen des Mikroklimas durch das Valencianische Institut für Agrarforschung entschied sich der Besitzer der Plantage Ca’s Sant für diese Sorte.

Als Forteza die Finca vor 30 Jahren übernahm, war der Baumbestand mit einem Sammelsurium von Zitrusbäumen überaltert. „Wir hätten uns damals auch für eine Parzellierung und Bebauung entscheiden können“, sagt Forteza. Die Finca sei jedoch seit acht Jahrhunderten im Besitz der Familie seiner Frau, und es sei dem Respekt vor den Vorfahren und der Landschaft geschuldet gewesen, das 12,5 Hektor große Grundstück wieder zu bepflanzen.

Die Plantage

Zuerst brachte der solleric Edelreisig der Mandarinenart Orenique mit auf die Insel und veredelte damit eine Unterlage aus Wurzeln und Stamm eines jungen Clementinenbaums. Die Jungpflanzen wuchsen erfolgreich an, und jetzt sind die rund 700 Mandarinenbäume erwachsen. Die späte Reife begünstigt die Süße. Kerne sind selten und entstehen nur dann, wenn es im Frühjahr zur Kreuzbestäubung durch Bienen kommt, die beim Nachbarn „fremdgegangen“ sind. Die Insekten bleiben jedoch meistens auf der Finca, weil hier jeder Baum mit an die hunderttausend Blüten genügend Nektar und Pollen bietet.

Doch jetzt vor Weihnachten hängen an den anderthalb Meter hohen Bäumen die Früchte wie Christbaumkugeln. Das dunkelgrüne Laub wächst so dicht, dass Stamm und Äste völlig bedeckt sind. Zwischen den Bäumen bildet der Nickende Sauerklee (Oxalis pescaprae  bot., agrios span., vinagrella kat.) dichte hellgrüne Polster. Die gelb blühende Pflanze ist auf der Insel nicht sehr beliebt. Denn sie zählt zu den invasiven Gewächsen, die dafür bekannt sind, einheimischen Pflanzen den Platz wegzunehmen. Doch die Orangenbauern im Tal von Sóller schätzen das Unkraut, weil es die Wurzeln vor Kälte schützt. Nach dem Verwelken zersetzen sich die Pflanzenteile zu Nährstoffen. Der Boden wird jedoch nie gepflügt, weil die Wurzeln nur 40 Zentimeter tief in der Erde liegen und der Pflug sie verletzen könnte.

Die späte Reife der Tangor-Mandarine wirkt sich nicht nur positiv auf die Entwicklung der Süße aus, sie verhindert zudem, dass sich die Fruchtfliege während der kalten und feuchten Jahreszeit über die Früchte hermacht. „Wegen des lästigen Bürokrams sind wir nicht im Besitz des Bio-Zertifikats, doch bewirtschaftet wird ökologisch“, sagt Forteza.

Die Zitrusplantage Ca's Sant in Sóller. Nele Bendgens

Das Hotel

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In den Archiven des alten Gutshofes habe er Belege dafür gefunden, dass von den Früchten eines einzigen Zitrusbaums der Wochenlohn eines Arbeiters finanziert werden konnte. Heute reichten die Einnahmen gerade mal für die jährlich fällige Grundsteuer. Dass die Plantage trotzdem so picobello gepflegt ist, liege an seiner Liebe zu den Bäumen und an den Gästen seines gleichnamigen Agroturismo-Hotels.

Sie gehen in dem Garten spazieren, der mit langen Reihen hoher Zypressen vor den vom Hafen kommenden Mistral-Stürmen geschützt ist. Hier genießen sie den Duft der Mandarinenblüten und pflücken reife Früchte von den Bäumen. Ein Höhepunkt des Tages ist zudem, wenn der aromatisch- süße Saft der Mandarinen kredenzt wird.