Wie eine vom Aussterben bedrohte Blume südlich von Mallorca einen neuen Lebensraum fand

Botaniker haben auf Cabrera eine Zistrosen-Art identifiziert, die schon als so gut wie ausgestorben galt. Nun soll ihr Bestand wiederaufgebaut werden

Das weiße Flammenmuster rund um den Fruchtstand half bei der Bestimmung.  | FOTO: CAIB

Das weiße Flammenmuster rund um den Fruchtstand half bei der Bestimmung. | FOTO: CAIB / Barbara Pohle

Barbara Pohle

Es gibt wundersame Geschichten: Zum Beispiel die einer neu entdeckten Pflanzenart auf Cabrera. Sie sollte nicht in Vergessenheit geraten, weil sie im Kleinen beweist, wie wichtig Bioreservate für die Artenvielfalt sind. Im Großen haben bis vor wenigen Tagen Teilnehmer aus aller Welt bei der 15. UN-Konferenz für Biodiversität und Artenschutz in Montreal über eben dieses Thema verhandelt.

Der Biologe Carles Cardona während seiner Feldforschung auf Cabrera.  | FOTO: PRIVAT

Der Biologe Carles Cardona während seiner Feldforschung auf Cabrera. | FOTO: PRIVAT / Barbara Pohle

Die Geschichte spielt auf der kleinen Baleareinsel Cabrera, die im Süden Mallorcas liegt, und seit 1991 unter Naturschutz steht. Dort tauchte vor einigen Jahren eine Gruppe von Sträuchern auf, deren rosafarbenen Blüten sich von anderen unterschieden, die aber keiner so recht zu identifizieren wusste.

Im Frühjahr 2022 schaltete sich dann Carles Cardona, Botaniker, Umweltschützer und Leiter der Samenbank in der Baumschule Es Menut bei Escorca ein. Er identifizierte eine Cistus heterophyllus carthaginensis – eine kleine botanische Sensation, denn die Zukunft dieses Strauchs mit rosa Blüten sah bis dahin wenig rosig aus. Diese Unterart der Verschiedenblättrigen Zistrose, die früher bei Cartagena in der Provinz Murcia vorkam, ist auf der Roten Liste der gefährdeten Arten als „extrem vom Aussterben bedroht“ aufgeführt. Und das sowohl im Register der Regionen Murcia und Valencia als auch auf den spanischen und internationalen Listen.

Die Bestimmung

Auf die zwischen 90 und 100 Zentimeter hohen Zistrosensträucher waren zunächst die Wärter des Nationalparks Cabrera aufmerksam geworden. Wie auch bei anderen Zistrosenarten fallen ihre Blätter zerknittert aus, weil sie in den Knospen stark zusammengefaltet sind. Und wie bei anderen Cistus-Arten auch bildet der Strauch über Monate hinweg eine Vielzahl von Blüten gleichzeitig, die jeweils nur eine Lebensdauer von einem Tag haben.

Und doch gibt es einen kleinen, gewichtigen Unterschied. „Als ich die Blüte zum ersten Mal sah, wurde ich auf weiße Strahlen aufmerksam, die die gelben Flecken umgeben, die sich direkt um die Fruchtknoten herum gruppieren“, berichtet Cardona. Er dachte zunächst, dass es sich um eine Kreuzung handeln könnte, bei der die Salbeiblättrige Zistrose mit im Spiel war. Doch diese Art kommt auf Cabrera nicht vor. Ohnehin sind auf dieser Insel Zistrosen eher selten anzutreffen. Und wenn, sind es vereinzelte Exemplare der Montpellier Zistrose und der Weißlichen Zistrose.

Die Vorfahren

Eine nähere Verwandte, die Verschiedenblättrige Zistrose (Cistus heterophyllus) wächst hingegen wild zwischen Ceuta und Algerien in Nordafrika. Anfang des 20. Jahrhunderts waren ähnliche Sträucher in der Sierra Minera von Cartagena in der Provinz Murcia entdeckt worden. Etwas später beschrieben Botaniker die Subspezie Carthagenensis, die mit der nordafrikanischen verwandt, aber nicht identisch ist. Deshalb wurde sie von spanischen Botanikern als endemisch katalogisiert.

In der Umgebung von Cartagena war dieser Strauch weit verbreitet. Doch dann wurde der Bergbau in der Sierra Minera intensiviert und die Gegend weiträumig gerodet. Ende des 20. Jahrhunderts wuchsen dort nur noch zwanzig Exemplare. „1998 vernichtete auch noch ein Waldbrand den gesamten Bestand“, berichtet Cardona. Die wie auch bei anderen Zistrosen sehr harten Samen überstanden den Brand und keimten. Die Pflanzen kreuzten sich mit ihrer Verwandtschaft zu Hybriden der weißlichen Zistrose. Nun war den Botanikern nur noch ein einziger wild wachsender Strauch bekannt, den sie in der Region Valencia identifiziert hatten.

Wie kam sie nach Cabrera?

Die Botaniker stellen sich nun die Frage: Wie kam die Cartagena-Zistrose nach Cabrera? Cardona sagt, dass es dazu verschiedene Hypothesen gebe. Direkt nach der Veröffentlichung war im Netz eine Meldung von einem Nutzer zu lesen, der schrieb, er hätte Samen nach Cabrera gebracht. „Das kann durchaus ein Scherz sein, aber es könnte auch stimmen, warum nicht“, sagt Cardona. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Samen Cabrera auf dem Meer schwimmend erreichten. Oder dass Vögel sie in ihren Krallen oder ihren Federn auf die Insel brachten. Cabrera ist ein beliebter Rastplatz für Zugvögel und ein Habitat für Möwen.

Am überzeugendsten findet Cardona jedoch die Theorie, dass die Cartagena-Zistrose schon lange auf der Insel Wurzeln geschlagen hat und dies nur nicht bemerkt worden ist. Informationen hierzu können DNA-Analysen geben. „Wir haben die Blätter der Pflanze ins Labor nach Madrid geschickt“, berichtet Cardona. Wenn die genetischen Untersuchungen abgeschlossen sind, werden wir mehr wissen. Auch, wie nah die Verwandtschaft zur afrikanischen Art ist.“

Die Bestäubung

Die Blüten der Cartagena-Zistrose sind Zwitter, also männlich und weiblich zugleich. Die Pflanzen entwickeln keinen Nektar, bieten den Bestäubern jedoch große Mengen Pollen, um sich vor der Selbstbefruchtung zu schützen. Insekten, vor allem Käfer, Hautflügler und Wildbienen halten sich stundenlang zwischen ihren Fruchtständen in der Mitte auf. „Wir prüfen, ob auch die auf Cabrera heimische Balearen-Eidechse an den Pollen interessiert ist“, berichtet Miquel Capó von der Balearen-Universität. Bisher wäre man diesem Thema nicht weiter nachgegangen, weil die Anzahl der Zistrosen auf Cabrera überschaubar war und sie als Nahrung für die Reptilien (Podarcis lilfordi) keinen nennenswerten Beitrag leisteten.

Der Schutz

Die Sträucher wachsen in dem Teil des Naturparks, der von Besuchern bisher nur mit der Führung eines Parkwächters zugänglich war. Weil die Sträucher sich auf einem Feldweg ausgebreitet haben, wurde die Zufahrt abgesperrt. Gemeinsam mit dem Personal des Naturparks und dem Artenschutzdienst sind alle Exemplare markiert und kartiert worden.

Die Parkwächter melden den Biologen regelmäßig, wie es den Sträuchern geht. Während der Dürre des heißen Sommers seien ein paar Pflanzen eingegangen. Jetzt im Dezember hätte die Kolonie neu ausgetrieben und zahlreiche junge Blätter gebildet.

Nach der Blüte wurden im vergangenen Sommer die Samen der Zistrose gesammelt und den Biologen im Botanischen Garten in Sóller übergeben, die sie aussäten. Wenn alles gut geht, wird man die Cartagena-Zistrose in die Baumschule Es Menut aufnehmen. Dort wachsen die Pflanzen geschützt auf und dienen zur Wiederaufforstung. So könnte es für die Geschichte der fast ausgestorbenen Art doch noch ein Happy End geben.

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