Wenn Carmen López vom Arbeitsalltag eines Pflichtverteidigers auf Mallorca erzählt, drängt sich ein Gedanke immer wieder auf: Warum tut sich jemand überhaupt die Arbeit als abogado de oficio an? Wenn López Bereitschaftsdienst hat, kommen die Anfragen von Polizeiwachen im Zuständigkeitsbereich Palma nicht selten gleichzeitig herein - gerade in der Hauptsaison, wenn auch viele Urlauber mit der Justiz aneinandergeraten. „Und jede Stelle erwaret, dass ich sofort renne, als ob ich mich aufteilen könnte." Und das für wenig Geld: Bei einem Verfahren seien das im Durchschnitt rund 200 Euro. Damit decke man in der Regel nicht einmal die Unkosten. Egal wie lange sich ein Prozess hinzieht, wie komplex der Fall ist oder ob Flüge auf die Nachbarinseln nötig sind - es werde immer pauschal bezahlt, so die Sprecherin der Pflichtverteidiger in der balearischen Anwaltskammer.

Kein Wunder, dass der Unmut unter den mehr als 700 Pflichtverteidigern auf den Balearen groß ist. Die Pauschalen deckten nur einen kleinen Teil der Unkosten, kritisiert die balearische Anwaltskammer, der spanische Staat müsse den Pflichtverteidigern iher Würde zurückgeben. Derzeit wird mit dem spanischen Justizministerium verhandelt. Die abogados de oficio wollen nicht nur eine deutliche Aufstockung der mickrigen Honorare erreichen, sondern auch Sonderregelungen für die Balearen. Angesichts der Insellage müsse unter anderem die Erstattung von Reisekosten möglich sein, argumentiert López. Die Juristen fühlen sich speziell gegenüber anderen Regionen Spaniens benachteiligt, in denen die Zuständigkeiten an die Landesregierungen delegiert sind und die Sätze längst erhöht wurden, so vor allem in Katalonien und dem Baskenland. Die Zentralregierung sei inzwischen offen für Verhandlungen - aber angesichts der allgemeinen Lage der spanischen Justiz mit ihren langen Wartezeiten, fehlenden Richterstellen und beständigen Computerpannen stellen die Pflichtverteidiger nur eine von vielen Stimmen im derzeitigen Klagechor.

Andererseits fühlen sich die abogados de oficio in Spanien trotz der Unzufriedenheit als eine Art Vorbild in Europa. „Wir sind keine

Beamten, die vom Staat bezahlt werden, sondern unabhängig", sagt López, „wir arbeiten aus Berufung." Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Deutschland kombiniert jeder Anwalt seine Tätigkeit als abogado de oficio mit der sonstigen Arbeit seiner Kanzlei als Wahl­verteidiger.

Die durchschnittlich 121 täglich auf den Balearen anfallenden Fälle für Pflichtverteidiger werden nach einem strengen System unter den Anwälten aufgeteilt, die gerade Bereitschaft haben. Das sind an einem gewöhnlichen Wochentag 15 Juristen: sieben für allgemeines Strafrecht, zwei für geschlechtsspezifische Gewalt, zwei für Eilverfahren, zwei für Jugendstrafrecht sowie zwei für Ausländerkriminalität. Bei den Mandanten handelt es sich nicht nur um mittellose Personen, sondern oft auch um solche, die gerade keinen Anwalt zur Hand haben.

Die Fälle werden dann parallel zur Betreuung privater Mandanten abgearbeitet. Nur durch diese Mischkalkulation kommen die

Juristen auf ihr Gehalt. Oft können die Anwälte ihren Mandanten aber auch konventionelle Honorare in Rechnung stellen - dann, wenn diese mit einem Jahreseinkommen von mehr als 14.000 Euro nicht als bedürftig eingestuft werden. Ohnehin kommt es nicht selten vor, dass Pflichtverteidiger gerade im Sommer auf Ibiza so manchen ausländischen Prominenten vertreten, da dieser bei seiner Festnahme keinen spanischen Anwalt in petto hatte, erzählt López. Auf die Qualifizierung der abogados de oficio lässt die Anwältin im Übrigen nichts kommen: Sie müssten strengere Auflagen erfüllen als die Kollegen Wahlverteidiger.

Zur Motivation des Berufsstands trägt dann auch noch ein weiterer Aspekt bei. Gerade unter den Pflichtmandaten seien zahlreiche medienwirksame Fälle, etwa Drogenprozesse, so López. Durch sie machten sich Pflichtverteidiger einen Namen und akquirierten nebenbei neue Fälle als Wahlverteidiger.