Sie schaut bereits von weitem nach Abenteuer aus, so wie sie an diesem Dienstagmorgen an der Westmole von Palmas Hafen liegt. In prächtigem Weiß glänzt ihr langgestreckter Rumpf, aus dem sich die drei Stahlmasten in den strahlend blauen Himmel recken. Wer einmal an Deck der 55 Meter langen Bark steht, spürt es gleich: Hier riecht irgendwie alles nach Fernweh. Aus jeder ­Pore der über 80 Jahre alten ?Picton Castle" steigt einem der Geruch von sternenklaren Südsee-Nächten in die Nase, von tobenden ­Atlantikstürmen und stillen Flauten im Pazifik, von exotischen Häfen und fremden Sprachen, vom Segelflicken und Deckschrubben, von Mannschaftsgeist und Selbsterfahrung, von Forscherdrang und Reiselust.

Auch Nadja Nitschke haftet dieses Aroma der ­großen weiten Welt an. Die Deutsche arbeitet seit nunmehr zwei Jahren als festes Crewmitglied an Bord der ?Picton Castle", die als privates Segelschulschiff für zahlende Kundschaft im 18-Monats-Rhythmus die Erde umrundet.

Dass der unter kanadischer Flagge fahrende Dreimaster für sieben Tage in Palma festgemacht hat, ist für Nadja aus gleich zwei Gründen bedeutend: Zum einen wohnt hier ihre Familie, mit der sie Anfang der 90er Jahre von Berlin nach Mallorca übersiedelte. Zum anderen begann auf der Insel ihr großer Traum vom Matrosenleben wahr zu werden. ?Ich war 14, als meine Eltern beschlossen, mit mir und meinem sechs Jahre jüngeren Bruder auszuwandern. Wir besaßen damals bereits ein Feriendomizil im Nordosten der Insel", erzählt Nadja. Zwei Jahre ging sie auf der Insel zur Schule, lernte Spanisch und Katalanisch. Ihre Ausbildung schloss sie dann aber in den USA ab und kehrte nach bestandener Reifeprüfung auf die Insel zurück. Lange hielt sie es hier jedoch nicht aus. ?Über eine Bekannte kam ich an eine Au-pair-Stelle in Mailand. Weil es mir dort so gut gefiel, bin ich dann einfach länger geblieben, als eigentlich geplant", sagt Nadja. In ihrer Freizeit ging sie segeln. ?Das hatte ich zwar früher schon öfter mit meinem Opa gemacht. Doch in Italien packte mich richtige Leidenschaft."

Nach drei Jahren flog die Deutsche schließlich mit dem in Italien bestandenen Sportbootführerschein zurück nach Mallorca. ?Mir war klar, dass ich das mit dem Segeln irgendwie zum Beruf machen musste", sagt sie. Im Internet begann sie nach ?größeren Schiffen" Ausschau zu halten, um dort ein Praktikum als Leichtmatrose zu beginnen. Als erstes stieß sie auf die ?Picton Castle". ?Damals dachte ich, na ja, schön und gut, aber da gibt es doch bestimmt noch andere Schiffe." Mit der Zeit stellte sich aber heraus, dass diese Dreimastbark weltweit ihresgleichen sucht.

Wo sonst zahlt man freiwillig 32.000 Euro, um 18 Monate lang auf einem Schiff zu schuften, das noch wie vor 100 Jahren über die Ozeane segelt? ?Bei uns an Bord ist alles Handarbeit", sagt Kapitän Dan Moreland. Der Kanadier kam Mitte der 90er Jahre auf die Idee, ein Schiff zu kaufen und auszurüsten, um mit zahlenden Matrosen um die Welt zu segeln. Die würden bei ihm an Bord ?alles lernen, was man braucht, um eines Tages selbst Kapitän zu sein", sagt Moreland.

Auch Nadja Nitschke war von den Erfahrungen und Kenntnissen, die man an Bord der ?Picton Castle" erwerben konnte, fasziniert. So reiste sie Anfang 2006 kurzentschlossen nach Lunenburg, dem Heimathafen des Schiffes. Das ist ein kleines verschlafenes Nest in Neu-Schottland, Kanada.

Da sie kein Geld für die Weltumsegelung aufbringen konnte, machte sie sich an Bord mit Gelegenheitsarbeiten nützlich. Mit Erfolg. ?Als es im Mai endlich losgehen sollte, sagte der Kapitän, dass ich zwei Wochen als Aushilfs-Crewmitglied mitsegeln könne." Aus den zwei Wochen wurden dann vier Monate, mittlerweile sind es zwei Jahre geworden. Nadja sei dank ihres Geschickes, ihrer offenen und umgänglichen Art an Bord unersetzlich geworden, meint Kapitän Moreland. ?Viel Geld verdiene ich natürlich nicht, aber ich habe auch kaum Ausgaben. Kost und Logis an Bord sind für mich frei", sagt die Deutsche.

Wie denn ein Tagesablauf aussehe? ?Crewmitglieder und sogenannte Trainees, also Schüler, werden in drei Wachen rund um die Uhr eingeteilt. Die erste beginnt morgens um vier." Dann heißt es je nach Wind- und Wetterlage die Rahsegel setzen, einholen oder trimmen. Bei Sonnenaufgang um 6 oder 7 Uhr wird das Deck geschrubbt, Messingbeschläge gereinigt. Kurz: Das Schiff wird auf Vordermann gebracht. Um 8 Uhr gibt es Frühstück. Tagsüber finden Workshops in Navigation, Wetterkunde, Segelflicken, Holzarbeiten oder anderen an Bord benötigten handwerklichen Fähigkeiten statt. ?Wer will, kann sich rund um die Uhr an allen Arbeiten beteiligen. Langeweile kommt hier nie auf, irgendwo gibt es immer etwas zu tun", sagt Nadja. Und in den Häfen? ?Sie machen natürlich für alle an Bord den großen Reiz der Reise aus." Meistens bleibe man ein paar Tage, um sich die Stadt oder das Hinterland anzusehen. Doch es gehe nicht nur um Sightseeing. ?Wir befördern manchmal auch Hilfsgüter in Krisengebiete wie Medikamente, Lebensmittel oder Werkzeug", sagt Nadja.

Zudem sei unter Deck noch jede Menge Platz für verschiedene ?Souvenirs", beispielsweise afrikanische Schnitzarbeiten, ­Ethno-Schmuck aus der Karibik oder zahllose andere Dinge, die die Crew bei ihren Aufenthalten in den exotischen Ländern erwirbt. ?Die tauschen wir anderswo vielleicht wieder für etwas ganz anderes ein", sagt Nadja. So wie es in früheren Zeiten eben alle Weltumsegler taten.

In den kommenden Monaten werden Nadja und der Rest der Mannschaft einiges von der Welt zu sehen bekommen. Von Palma geht es am 17. November nach Gibraltar. Die weiteren Stationen: Marokko, Madeira, Kanaren, Senegal und die Kap Verden. Anfang nächsten Jahres will die ?Picton Castle" zur Atlantiküberquerung nach Brasilien aufbrechen. Anschließend führt die Reise an der südamerikanischen Küste entlang in die Karibik, später über die Ostküste der USA zurück nach Lunenburg, wo die ?Picton Castle" für Ende Mai erwartet wird. Dann ist auch für Nadja Nitschke die Reise an Bord endgültig zu Ende. Bereits im September nächsten Jahres will die Deutsche auf der niederländischen Seefahrtschule in Amsterdam ihre dreijährige Ausbildung zum Erwerb des internationalen Kapitänspatents beginnen.

Was sie in den vergangen zwei Jahren an Bord des Schiffes alles gelernt habe? ?Zahllose Dinge", sagt sie. Neben den umfassenden Kenntnissen der Seefahrt seien es vor allem etliche Tugenden und Charaktereigenschaften, die man sich beim Segeln aneigne. ?Man wird weltoffen, tolerant mit sich und den anderen, lernt die kleinen Dinge im Leben zu schätzen, im Einklang mit der Natur zu leben, sich zu behaupten, im Team zu arbeiten ?" Dann holt Nadja noch einmal Luft: ?Ich glaube, dass jeder, der hier irgendwann wieder von Bord geht, ein ganz anderer Mensch ist, als der, der er zu Beginn der Reise war."

Aber verspürt sie denn nie Heimweh? ?Manchmal ein bisschen", sagt Nadja. ?Aber ich weiß ja auch, wo ich meine Familie stets finden kann." Auf Mallorca. Diese Insel sei, egal wo sie sich auf der Welt gerade befinde, immer ihr Zuhause.

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