Er wirkt fast schüchtern. Sein Lächeln ist herzlich, als er die Tür zu seiner Wohnung in Palmas Innenstadt öffnet, die gleichzeitig sein Atelier ist. 2001 war Miguel Adrover einer von New Yorks Top-Designern. Dann ging sein Investor pleite. Und er kehrte zurück in seine Heimat Mallorca. 2008 gelang ihm, wieder in New York, ein Comeback: Für den Modeproduzenten Hessnatur entwarf Adrover eine Kollektion, die Mode, Kunst und Natur verbindet. Seither loben ihn sogar Kritiker-Ikonen wie Suzie Menkes von der „New York Herald Tribune" wieder …

Ihre Forderungen sind für die Modeindustrie revolutionär. Zum Beispiel die, dass Designer nur noch eine Kollektion pro Jahr herausbringen sollten, weil es aufgrund der globalen Erderwärmung sowieso nicht mehr richtig kalt wird. Ihre These scheint dieses Jahr aktueller denn je …

Ja, das Wetter spielt verrückt. Auf dem Land bei meinem Vater blühen schon die Mandelbäume.

Sie arbeiten in der Modeindustrie, um die Menschen aufzurütteln. Wie funktioniert das?

Mode ist mehr als Dekoration. Ich sehe sie als Medium für soziale Botschaften. Mit meiner Kollektion versuche ich, den Menschen die Augen für unsere Gesellschaft zu öffnen.

Eigentlich finden Sie die Modewelt oberflächlich. Warum sind Sie Designer geworden?

Die Modeindustrie hat mich nie wirklich interessiert. Aber was macht mehr Spaß, als mit Kleidung zu spielen? Gleichzeitig ist sie etwas sehr Ernstes. Viel mehr als Dekoration. Ich habe schnell gemerkt, dass Mode unterschiedlichste Möglichkeiten bietet, sich auszudrücken. Sie ist extrem wichtig in unserer Gesellschaft.

Warum?

Die Menschen werden danach beurteilt, wie sie sich kleiden. Mode ist wie ein Personalausweis. Sie öffnet und schließt Türen. Sie kann sogar Grund sein, umgebracht zu werden. Zum Beispiel wenn man im Irak eine amerikanische Uniform trägt. Oder wie ein Taliban aussieht. Kleidung hat viel mit Psychologie zu tun. Menschen respektieren andere, weil sie einen Prada- oder Boss-Anzug tragen. Kleidung strahlt Luxus aus, verleiht Status. Ich finde das lächerlich.

Haben Sie die Erfahrung selbst gemacht?

Oft sogar. In Ägypten, wo ich ein Haus habe, wurde ich sogar festgenommen. Weil ich gekleidet war und aussah wie ein Ägypter!

Was ist für Sie Luxus?

Wenn Menschen ihren eigenen Stil haben. Unbeeinflusst von der Norm. Wenn sie selbstsicher sind. Die meisten Menschen heute sind so unsicher, dass sie der Norm folgen müssen. Viele sind komplett manipuliert. Wenn man ihnen einredet, sie müssten sechsmal pro Jahr eine neue Louis-Vuitton-

Tasche kaufen, dann tun sie es.

Wie kamen Sie dazu, sich für Umweltschutz zu interessieren?

Ich habe schon als Kind gerne Indianerfilme gesehen. Fand es toll, wie sie für das Gute kämpften. Ich bin in der Natur aufgewachsen. Meine Eltern sind Bauern, sie haben eine Mandelfarm in Calonge

im Osten Mallorcas. Ich fand es schon immer schöner, in einen Wald zu gehen, als in einem Ferrari zu sitzen. Die Natur ist das Kostbarste, das wir haben. Und in großer Gefahr.

Sie haben 18 Jahre in New York gelebt, waren und sind auch dort ein Star. Ein weiter Weg …

Mit 14 bin ich nach London gegangen, schlug mich mit Putzjobs in Hotels durch. Ich war fasziniert von der Musik- und Punkszene, trug selbst Irokesenfrisur. Von da ging es nach Amsterdam. Und mit 25 nach New York. Ich liebe die Stadt, ihre Energie. New York hat mir eine Chance gegeben, eine Stimme.

Wie haben Sie dort gelebt?

Wie im Untergrund! Ich sprach kaum Englisch, kannte niemanden. Ich hatte eine Kellerwohnung in Queens. Ein Raum war voller Matratzen, der andere die Küche. Ich bin heute noch stolz, dass ich es dort geschafft habe. New York ist wie meine zweite Heimat.

Dort wurden Sie vom Autodidakten zum Star-Designer. Wie?

Ein Freund von mir war Schneider, ich habe mir viel abgeschaut. Gemeinsam hatten wir einen Laden, verkauften T-Shirts mit verrückten politischen Sprüchen. Der Shop wurde Treffpunkt für Künstler und Designer. So kamen die ersten Kontakte.

Heute kennen Sie alle in der Modeszene. Egal ob Stella McCartney, Kate Moss oder Anna Wintour (´Vogue´-Chefredakteurin) …

Ja, Stella kommt regelmäßig zu meinen Schauen. Paris Hilton wollte für mich modeln, auch

Kate Moss. Ich fand aber, dass das nicht zum Image meiner Sachen passt. Meine aktuelle Kollektion habe ich nicht an Models gezeigt, sondern an Holzfiguren. Ohne High-Tech, nur mit einfachen Schneiderwerkzeugen. Und mit Anna Wintour verbindet mich eine Hass-Liebe. Mal schreibt sie mich rauf, mal runter.

Sie kritisieren, dass die coolen Models, die gerade ´in´ sind, keine Seele haben. Was finden Sie schön?

Natürlichkeit. Die meisten Menschen finde ich nicht mehr natürlich. Sie haben ihre Sinnlichkeit verloren. Heute geht es nur noch um Größen: Wie groß ist dein Brustumfang, wie viel wiegst du, wie lang sind deine Haare? Es gibt so viele schöne Menschen, die durch dieses Raster fallen. Ich finde es eine Schande, dass wir alle nur von diesen Robotern repräsentiert werden.

Was tun Sie selbst, um die Umwelt zu schützen?

Was kann ein Einzelner schon tun? Heute haben nur noch die Konzerne und die Politik die Macht, etwas zu tun. Leider passiert nichts. Ich habe sehr lukrative Angebote ausgeschlagen, weil die Firmenmaxime nicht zu meinen Idealen passt. Deshalb arbeite ich für Hessnatur. Ich finde es toll, was die Firma macht. Es geht nicht nur um Kommerz, sondern auch darum, Öko-Projekte zu unterstützen und Angestellte fair zu behandeln. Wir verwenden nur Bio-Stoffe. Unsere Baumwolle kommt aus Ägypten und der Türkei, wir unterstützen Farmer in Peru, wo unsere Alpaka-Wolle herkommt.

Woher haben Sie die Kraft genommen, nach 2001 wieder von vorne anzufangen?

Ungerechtigkeit macht mich sehr wütend. Statt mich zu lähmen, gibt sie mir Energie. Und es gibt viel Ungerechtigkeit. Dagegen zu kämpfen, ist mein Leben.

Was regt Sie gerade auf?

Wie die Jugendlichen hier aufwachsen. Es ist doch absurd, dass Sechsjährige ein Handy haben, nur noch vor dem Computer sitzen. Und total gelangweilt sind. Als ich ein Kind war, hatten wir nichts. Kein Spielzeug, nicht mal ein Badezimmer. Aber wir hatten Natur. Das hat mich stark gemacht.

Auf Mallorca verbringen Sie etwa die Hälfte des Jahres. Die andere Hälfte reisen Sie. Was gefällt Ihnen hier?

Es ist meine Heimat. Ich liebe die Natur hier, die Strände. Vor allem meine Familie, mein Dorf und meine alten Freunde. Wenn ich in Palma in ein Café gehe, tuscheln die Leute, sagen: Da sitzt Miguel Adrover. In Calonge leben nur 200 Menschen. Und keinen interessiert dort, was ich mache.

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