Arbeitsscheue Jugendliche bezeichnet er als Parasiten, bei Kindern hält er die Ohrfeige als probates Mittel zur Züchtigung. Francisco Kovacs, einer der bekanntesten Ärzte auf Mallorca, ist eigentlich eine Koryphäe als Rückenspezialist. Doch er macht auch als Autor von sich reden und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. „Politisch korrekt zu sein, ist Selbstmord", sagt der 47-Jährige, der gerade sein zweites Buch zum Thema Kindererziehung verfasst hat: „Lernen, Eltern zu sein" (Aprendiendo ser padres. El método Kovacs, Ediciones Martínez Roca, Madrid, 2011, 17,90 Euro).

Sind Sie als Kind geschlagen worden?

Aber klar! In der Schule haben mich einige Lehrer mit dem Stock verprügelt. Und ich habe es zu Hause nie erzählt, weil dann die Wahrscheinlichkeit groß gewesen wäre, dass ich noch einmal eine Tracht Prügel bekommen hätte. Die Annahme meiner Eltern, dass ich die Prügel verdiente, steht im Gegensatz zur Einstellung heutiger Eltern, die in solchen Fällen nicht ihr Kind, sondern lieber den Lehrer bestraft sehen möchten. Das ist krankhaft. Das letzte Mal wurde ich mit neun Jahren geschlagen. Später nie mehr. Einen Jugend-lichen schlägt man nicht mehr.

Strafen heißt schlagen?

Nicht unbedingt. Es reicht schon, dem Kind klarzumachen, dass es sich nicht so verhalten hat, wie es die Eltern erwartet haben. Aber auch eine Ohrfeige ist überhaupt nicht schlimm. Es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder mit dem Überschreiten der Grenze zum Verbotenen unterbewusst die Verlässlichkeit des Systems testen wollen. Mit anderen Worten: Wenn ich für diese Taten nicht bestraft werde, schützt mich vielleicht auch niemand, wenn ich Schutz brauche.

Würden Sie die Erziehung Ihres Vaters als streng beschreiben?

Nach heutigen Maßstäben schon. Ich habe sie als schön und gerecht empfunden und bin sehr dankbar dafür. Ich würde meine Kinder nach den gleichen Maßstäben erziehen, denn Erziehung darf nicht auf die kurzfristige Zufriedenheit des Kindes ausgerichtet sein. Es geht darum, das Kind mit dem Rüstzeug auszustatten, als Erwachsener bestehen zu können. Wenn wir immer nur darum bemüht sind, dass die Kinder glücklich sind, erzeugen wir weiterhin Erwachsene, die mental Kinder bleiben.

Sie haben keine Kinder: Fehlt Ihnen nicht ein wenig Erfahrung, um beim Thema Erziehung mitzureden?

Wenn Ärzte alle Krankheiten gehabt haben müssten, die sie bei anderen kurieren, hätten wir

ein ernsthaftes Problem. Persönliche Erfahrungen sind mehr oder weniger Anekdoten, die wissenschaftlich wenig Bedeutung haben.

Warum befasst sich ein Rückenspezialist mit den Themen Bildung und Erziehung?

Weil ich glaube, dass die Bildung und das Erziehungswesen über die Zukunft eines Volks entscheidet. Seit 30 Jahren verfolge ich, wie es in Spanien im Bildungswesen immer weiter bergab geht, aber niemand etwas dagegen unternimmt.

Wem geben Sie die Schuld dafür?

Pädagogen und Soziologen haben mit ihren Methoden ganze Generationen beeinflusst und sie haben mit ihrer Erziehung versagt.

Sie wurden in der Franco-Zeit erzogen.

Meine Ausbildung in der Schule war sehr anspruchsvoll, aber auch gerecht. Gerecht in dem Sinne, dass nicht alle Welt gleich behandelt wurde. Jeder bekam die Behandlung, die seinem Verhalten entsprach. Durchfallen oder Bestehen waren dort noch zwei unterschiedliche Dinge. Ich wurde nach christlichen Prinzipien erzogen, von Lehrern, die sehr streng waren und auch nicht davor zurückschreckten, Kinder, die es verdient hatten, vor der Klasse zu schlagen. Keines der Kinder hat dadurch ein lebenslanges Trauma davongetragen. Ich habe Hochachtung vor der Generation, die das Land nach dem Bürgerkrieg wieder aufgebaut hat. Ich bezweifle, dass die heutige Generation, die in dieser butterweichen und politisch korrekten Welt aufgewachsen ist, dazu fähig wäre.

Sie waren mit 19 schon Arzt. Wurden Sie zu Hause unter Druck gesetzt?

Zwischen Wunsch und Realität liegen Fleiß und Anstrengung. Ich wurde so erzogen, dass nicht die Anstrengung prämiert wurde, sondern nur das Erreichen des Ziels. Anstrengung war nach diesem Konzept etwas ganz Natürliches. Auch habe ich gelernt, dass man sich in einem ständigen Wettbewerb befindet. Menschen, die sich der Konkurrenz entziehen, sind zum Scheitern verurteilt. In 20 Jahren zählt nicht mehr, wie viel Geld oder wirtschaftliche Bedeutung wir heute haben, sondern wie wir beschaffen sind, um im ständigen Wettbewerb zu bestehen.

Muss Erziehung streng sein?

Nicht unbedingt streng, aber eindeutig und klar. Ein Kind muss die Grenzen zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen kennen. In der Regel ist es nachhaltiger zu belohnen. Wenn es nötig ist, geht an der Strafe kein Weg vorbei.

Erziehungswissenschaftler fordern, Kinder wie gleichberechtigte Personen zu behandeln.

Erziehung hat nichts mit Demokratie zu tun. Es gibt keine Gleichstellung zwischen Eltern und Kindern. Die Eltern zeigen, wo´s lang geht, die Kinder gehorchen. Punkt.

Das beschränkt die freie Entfaltung und die Kreativität.

Bei der Erziehung geht es darum, dem Kind alles mitzugeben, damit es als Erwachsener sein Leben frei bestimmen kann. Ein Beispiel: Ein Junge, der mit 18 ein Instrument spielt, der sportlich ist, vier Sprachen spricht und gute schulische Leistungen vollbringt, ist frei. Ein anderer, ohne Eigeninitiative und ohne Bildung, wird zum Parasiten. Sehen Sie sich die Tausenden von Demonstranten in Madrid an, die jetzt eine Zukunft fordern. Sie sollen lieber Arbeit suchen: in Bolivien oder in Deutschland – wo auch immer. Ich bin der Meinung, dass es noch nie etwas gebracht hat, die eigenen Probleme den anderen in die Schuhe zu schieben. In vielen Familien arbeiten Vater und Mutter. Erziehung ist auch ein Zeitproblem.

Sind Sie da sicher? Ein Gehalt reicht oftmals kaum, um eine Familie zu ernähren.

Auf Mallorca vielleicht. Aber nehmen wir zum Beispiel Madrid, wo ein Arbeitnehmer durchschnittlich anderthalb Stunden von seiner Arbeitsstelle entfernt wohnt. Wenn Sie dort alle Ausgaben für die aushäusige Kinderbetreuung und Fahrtkosten zusammenziehen, lohnt es sich kaum noch, dass beide Elternteile arbeiten gehen. Wenn die Kinder nicht von den Eltern, sondern vom Fernsehen erzogen werden, ist es doch nicht verwunderlich, dass sie ihre Eltern nicht als solche respektieren.

Wollen Sie denn einen Eignungstest für Eltern?

Im übertragenen Sinn, ja. Heutzutage bekommt niemand mehr Kinder, ohne sie auch zu wollen. Ich glaube, bevor man Bergsteigen geht, sollte man Klettern lernen. Genauso sollte man lernen, Kinder zu erziehen, bevor man Nachwuchs bekommt. Die wichtigsten Bezugspersonen der Kinder sind nun einmal die Eltern. Sie haben das größte Interesse daran, dass ihre Kinder eine Zukunft haben. Wir dürfen die Erziehung nicht allein dem Staat überlassen.

Wie sähe der Eignungstest aus?

Wollen Sie wirklich Kinder haben? Wenn ja: Wollen Sie dies zum Wohl der Kinder oder zum eigenen Wohl? Sind Sie sich im Klaren darüber, dass eine Familie Opfer von Ihnen abverlangt? Und: Können Sie Kinder erziehen? Was nicht sein kann, ist, dass Eltern ihre Kinder an Oma und Opa abgeben, um ihren alten Lebensstil weiterzuführen. Vor 40 Jahren konnten sich Eltern vielleicht eine relative laxe Einstellung erlauben. Wenn die Familie nicht funktionierte, war dort immer noch ein solides staatliches Netz. Heute sind Kinder vielen perversen Einflüssen durch Fernsehen und Medien schutzlos ausgesetzt. Mein Buch ist ein Werkzeug, mit dem Eltern den Schaden reparieren können, der im Umfeld der Kinder angerichtet wird.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen der Erziehung und der hohen Quote von Schulabbrechern auf den Balearen?

Die Jugendlichen leben in einer Gesellschaft, die ihnen nichts abverlangt und die sie dazu verurteilt, sich in den nächsten 30 Jahren nicht weiterzuentwickeln. Sehen Sie sich unsere politische Klasse an: In einer Gesellschaft, in der Menschen ohne jegliche Qualifikation in machtvolle Positionen kommen, wird sich manch einer denken: Wofür soll ich studieren?

Ist die grassierende Korruption eine Folge falscher Erziehung?

Ich glaube, der Mensch trägt zu gleichem Maße das Böse wie das Gute in sich. Die Erziehung entscheidet letztendlich darüber, was obsiegt. Erziehen heißt unterdrücken. Ohne Unterdrückung gibt es keine Erziehung. Das klingt fürchterlich, aber es geht darum, gewisse Verhaltensweisen zu unterdrücken und andere zu fördern. Es geht darum, dem Kind ein Wertegerüst mit auf den Weg zu geben. Im Geist eines gut erzogenen Menschen findet die Korruption keinen Platz.

In der Printausgabe vom 26. Mai (Nummer 577) lesen Sie außerdem:

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