Wenn bei Marisol Pérez der Wecker klingelt, liegt die Inselbevölkerung noch im Tiefschlaf: Der Arbeitstag der 40-Jährigen beginnt um

4.30 Uhr. Kurze Zeit später steht sie mit ihrem Mann Eusebio auf dem Fischmarkt in Palma, um Ware für den Tag einzukaufen.

Seit fünf Jahren versorgt die Frau mit dem herzlichen Lachen Dorfbewohner der Inselmitte mit frischem Fisch und Meeresgetier. Der Job liegt ihr im Blut: Ihre Familie widmet sich bereits seit vier Generationen hauptberuflich dem Fischverkauf. „Meine Urgroßmutter lief mit einem Korb auf dem Kopf durch Santanyí, meine Mutter lieferte in der Gegend von Pla de Sant Jordi den Fisch mit dem Fahrrad aus", erzählt sie in einem der wenigen Momente, in denen ihr Kühlwagen auf dem Marktplatz von Binissalem nicht von wohl­ondulierten Damen jenseits der 60 umringt ist.

Bis vor acht Jahren verkaufte Pérez ihren Fisch im eigenen Laden in Arenal. Doch dann eröffneten direkt nebenan zwei große Supermärkte: „Mit deren Großeinkaufspreisen und der Tiefkühlware konnten wir nicht ­mithalten", sagt sie, während sie eine Tüte llampugas (Goldmakrelen) wiegt und grinsend ergänzt: „Mittlerweile rufen uns die ehemaligen Kunden wieder an und fragen, ob wir nicht mit dem Lieferwagen vorbeikommen können."

Was ihr passierte, wiederholte sich auch in anderen Dörfern: Vielerorts haben die Fischläden wegen der Supermarkt-Konkurrenz zugemacht. Doch gerade unter den älteren Leuten ist die Nachfrage nach frischem Inselfisch groß - eine Lücke, die Marisol seit fünf Jahren schließt. „Ich kaufe und verkaufe vor allem ­mallorquinischen Fisch", betont sie. Bis zu 1.000 Euro investiert sie am Morgen in die Ware, die sie im Idealfall im Laufe des Tages komplett verkauft. Viele ihrer Kunden legen sich gleich einen Vorrat an: Da Marisol die Märkte von Vilafranca, Consell, Binissalem und Alaró jeweils nur einmal in der Woche besucht, frieren die Käufer den Fisch einfach ein.

Schon verlangt der nächste Kunde nach ihrer Aufmerksamkeit: Der ältere Herr am Gehstock fragt nach Sardellen, die er als boquerones in Essig einlegen will. „Nein, dafür sollten Sie die hier nicht ­nehmen", empfiehlt die Fischverkäuferin. „Warten Sie lieber noch zwei Wochen." Es sind ehrliche Empfehlungen wie diese, die ihre Kunden zu schätzen wissen.

Mittlerweile kennt sie ihre Pappenheimer und weiß, in welchem Dorf welche Sorten besonders geschätzt sind: „In ­Vilafranca verkaufe ich mittwochs eher kleine Fische für Suppe und Eintöpfe oder solche, die dann in escabeche eingelegt werden." Ihr Lieblingstag ist der Samstag: „Da kaufen die Leute ´guten´ Fisch für das Familien­essen." Für den Markt von Alaró, auf dem sie ihre Arbeitswoche beendet, kauft sie deshalb vor allem caproig (Drachenkopf), gallo (Petersfisch) oder gambas für die Paella ein.

Für Nachschub in ihrem sich rapide leerenden Kühlwagen sorgt ihr Mann: Der bringt ihr jetzt, kurz vor der Mittagszeit, die Ware, die er selbst nicht verkaufen konnte. Der gelernte Elektriker, der sich nach krisenbedingtem Jobverlust zunächst als Gärtner durchschlug, stieg vor ein paar Jahren in das Geschäft seiner Frau ein. Während sie von Mittwoch bis Samstag auf dem Markt steht, fährt er mit dem zweiten Kühlwagen der Familie durch die Dörfer und beliefert Stammkundinnen: „Viele der Damen sind 80 oder 90 Jahre alt. Die rufen oft bei uns an, und ich bringe ihnen den Fisch dann direkt in die Küche, lege ihn ins Waschbecken und nehme mir das Geld aus dem Portemonnaie, das sie mir hinstrecken - wenn sie mich nicht mit einem Lamm bezahlen", erzählt er. „Man gehört da schnell zur Familie, die Damen freuen sich richtig, wenn man kommt."

Der persönliche Kontakt ist auch auf dem Markt ein großer Wett­bewerbsvorteil: Marisol kennt fast jeden, der vorbeischaut. Auch die flachsblonde Dreijährige, die an der Hand ihrer Mutter mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die geöffneten Türen des Lieferwagens zustrebt und „Fisch, Fisch!" ruft. Marisol wirft schnell eine kleine Sardelle in eine Plastiktüte und steckt sie dem begeisterten Mädchen zu: „Sie kommt sonst immer mit ihrem Opa", erklärt sie der Reporterin und erkundigt sich bei der Mutter sogleich nach dessen Befinden.

Dann sortiert sie eine Handvoll Gambas aus, deren Köpfe nicht mehr fest am Körper sitzen: „So will ich die nicht verkaufen, die gibt´s heute abend als Vorspeise." Auch zum Hauptgang kommt bei Marisol am Abend fast immer Fisch auf den Tisch - ihr großer Sohn könne den schon nicht mehr sehen, beim Kleinen hingegen schlügen die fami­liären Gene durch: „Da wächst uns schon der nächste Fischverkäufer heran."

Wenn der Dorfmarkt um die Mittagszeit schließt, ist ihr Arbeitstag noch längst nicht vorbei: Am Nachmittag klappert sie weitere Dörfer ab, in denen sie direkt auf der Straße verkauft - „so ein bisschen wie der Bofrost-Mann, kennst du den?" Um sich an den Straßen­ecken, an denen sie regelmäßig vorbeischaut, bemerkbar zu machen, trötet sie kräftig in ihr Muschelhorn - der unverkennbare Laut ist für die Dorfbewohner das Zeichen, schnell den Einkaufskorb zu schnappen und das Haus zu verlassen. Das originelle Instrument hat sie von ihrem Großvater: „Der hat mir statt einem Hotel eben ein Muschelhorn vererbt."

„Meine Kunden können mich mit Extra-Wünschen immer gerne anrufen", erklärt sie zum Abschied und gibt gleich ihre Telefonnummer 661-91 54 52. „Aber ja nicht während der Siesta. Zwischen 16 und 19 Uhr muss ich einfach schlafen." Kein Wunder, wenn der Tag mitten in der Nacht beginnt.

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