Sie macht weder vor Schauspielern, Piloten und Wirtschaftsbossen, noch vor Hausfrauen und Arbeitslosen Halt: Eine Depression kann jeden treffen. Laut Weltgesundheitsorganisation sind etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerung von der psychischen Störung betroffen. Und dennoch werde das Thema immer noch gerne unter den Teppich gekehrt, bedauert Mario Scheib, Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie, der auf Mallorca seit rund 15 Jahren eine Tagesklinik betreibt, in der auch Depressionen behandelt werden.

Scheib kann eine Luxusbehandlung anbieten, in der Diskretion groß geschrieben wird. Zu den etwa 100 Patienten, die pro Jahr in seine Klinik kommen, zählen neben Residenten auch bekannte Politiker, Unternehmer und andere Prominente aus dem Ausland. „Die Leute kommen aus Deutschland, Großbritannien, Russland und sogar den Arabischen Emiraten zu uns und bevorzugen eine anonyme Therapie hier auf der Insel", erklärt der Mediziner. Der Insel-Effekt wirke sich bei allen Patienten positiv auf den Be­handlungs­erfolg aus, ein Tapetenwechsel tue generell gut. Bei einem Klinikaufenthalt in Deutschland verlasse man zwar auch das gewohnte Umfeld, doch dort dauere die Therapie in der Regel mehrere Monate.

Mario Scheib hingegen setzt auf eine Art Blitz-Kur. Neben einer intensiven Psychotherapie mit sechs bis zehn Sitzungen pro Woche erhalten die Patienten, falls erforderlich, Antidepressiva. In schweren Fällen beginnt die Behandlung mit einer Ketamin-Spritze - eigentlich ein Narkosemittel, das in sehr geringer Dosis aber sofort stimmungsaufhellend wirke, erklärt Scheib. „Suizid­gedanken verschwinden meist schon während der vierzigminütigen Infusion."

Dabei handle es sich um eine ebenso innovative Methode, die derzeit noch erprobt wird, wie bei den in Europa noch kaum bekannten Neurofeedback-Sitzungen, bei denen die von der Depression betroffenen Hirnareale gezielt stimuliert werden. Nach zwei bis drei Wochen seien die meisten Patienten so stabil, dass sie in den Alltag zurückkehren könnten - per Skype wird eine Nachbetreuung angeboten. Nur bei schwereren Erkrankungen sei eine Fortsetzung der Psychotherapie zu Hause oder ein zweiter Insel-Aufenthalt erforderlich.

Auf Mallorca bekommen Scheibs Patienten außerdem Sport ver­ordnet - vom Yoga-Einzeltraining bis zur Reitstunde. Und so manche Therapiestunden kann durchaus auch mal unter freiem Himmel beim Strandspaziergang statt in der Praxis erfolgen. In Deutschland sei das rein rechtlich gar nicht möglich. „Ich kann hier freier arbeiten", fasst der Facharzt die Vorteile der Insel zusammen. Und obendrein spare er sich viel Ärger mit den Krankenkassen, da seine Patienten allesamt privatversichert seien.

Ganz anders sind die Therapie-Bedingungen in Mallorcas öffentlichem Gesundheitssystem. Im Krankenhaus Son Espases in Palma wurde 2014 knapp 1.500 Patienten eine Depression diagnostiziert. Seit 2010, als 1.039 Fälle registriert wurden, ist somit ein sukzessiver Anstieg von fast 50 Prozent zu verzeichnen - wobei die Anzahl der Frauen stets fast doppelt so hoch war wie die der Männer. „Das ist die Volkskrankheit der Zukunft", sagt Joan Salvà, der bei der balearischen Gesundheits­behörde IB Salut den Bereich „geistige Gesundheit" koordiniert. Schon jetzt sei erwiesen, dass 20 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer einmal im Leben an einer Depression erkrankten.

Den Vorwurf von Mario Scheib, dass die Versorgung über die gesetzliche Seguridad Social „katastrophal" sei und nur eine „oberflächliche" Behandlung erfolge, will Joan Salvà nicht auf sich sitzen lassen. „Wir tun mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen unser Möglichstes." In der Praxis heißt das, dass Betroffene sich entweder an ihren Hausarzt wenden, der sie dann zum Spezialisten überweist, oder in den Notaufnahmen der öffentlichen Krankenhäuser vom psychiatrischen Notdienst versorgt werden. Je nach Schwere des Falles würden dann Antidepressiva, eine Psychotherapie oder ein Mix aus beiden verschrieben, erklärt Salvà. Dass die Therapie-Termine nicht so regelmäßig stattfinden können, wie es ideal wäre, will aber auch er nicht abstreiten. „Aus diesem Grund setzten wir verstärkt auf Gruppentherapien." So könnten mit weniger personellem Aufwand mehr Patienten abgearbeitet werden.

Psychiater Pedro Moreno, der einst am Krankenhaus Son Dureta tätig war und nun das private Behandlungszentrum „Instituto Balear de Psiquiatrís y Psicología" leitet, sieht vor allem in den langen Wartelisten ein großes Manko des öffentlichen Gesundheitssystems. Dann erzählt er von einem kürzlich behandelten Patienten, der ein Jahr lang immer wieder in der Notaufnahme von Son Espases gelandet war, weil er weit vor seinem Termin beim Psychologen im Gesundheitszentrum bereits wieder den nächsten Zusammenbruch erlitten hatte. „Wenn jemand akut suizidgefährdet ist, wäre so etwas absolut verantwortungslos", kritisiert Moreno. Zudem seien die Erfolgsaussichten umso größer, je früher mit der Behandlung ­begonnen werde und je intensiver diese ausfalle. „Doch während bei uns die Bedürfnisse des Patienten ausschlaggebend sind, diktiert im öffentlichen Gesundheitswesen die Länge der Warteliste die Häufigkeit der Therapiesitzungen."

Die Zunahme an Depressions­erkrankungen führt Pedro Moreno zumindest zum Teil auf die Wirtschaftskrise zurück. Reaktive Depressions­formen, die von äußeren Faktoren ausgelöst werden, könnten durchaus durch Stress am Arbeitsplatz oder prekäre finanzielle Verhältnisse befördert werden. „Wir haben hier viele Patienten, Unternehmer ebenso wie Arbeitnehmer, die aus Sorge ums Geschäft oder den Job depressiv geworden sind."

Joan Slavà bestätigt diese Aus­sage, glaubt aber einen allmählichen Bewusstseinswandel zu erkennen. Nachdem Depressionen nach dem Antidepressiva-Boom der 80er Jahre, als man sich mit exzessivem Glückspillen-Konsum selbst zu therapieren versuchte, zunehmend zum gesellschaftlichen Tabu geworden waren, werde nun verstärkt auf Aufklärung gesetzt, erklärt er. Eine IB Salut-Kampagne kämpft etwa seit 2008 dagegen an, dass Depressionen unentdeckt bleiben. Die steigende Patientenzahl in den Sprechstunden der öffentlichen Gesundheits­zentren könnte somit als erster Erfolg gewertet werden. Wobei die Hemmschwelle, sich als depressiv zu outen, nach wie vor groß sei, insbesondere bei Männern. „Depression gilt eben immer noch nicht als normale Krankheit", sagt Pedro Moreno.