Guillem Balboa Buika ist ein vielbeschäftigter Mann. Mit zwei Handys bewaffnet sitzt er in der Bar des Sportzentrums der Universität. Immer wieder muss er Whatsapp-Nachrichten beantworten oder ans Telefon gehen. Wenn nichts weiter passiert, wird Balboa in zwei Jahren Insel-Geschichte schreiben - als erster schwarzer Bürgermeister Mallorcas in Alaró. Das sieht der Koalitionsvertrag zwischen Sozialisten und seiner Partei Més vor. Schon jetzt hat er wenig Zeit für Langeweile. Er arbeitet in der Pressestelle der Universität und studiert nebenbei Anthropologie. Balboa, Jahrgang 1965, ist der große Bruder der international erfolgreichen Sängerin Concha Buika. Und der Cousin des Schauspielers Boré Buika, der zurzeit bei der Tele5-Serie „Anclados" vor der Kamera steht. Die Buikas auf Mallorca, das ist eine bemerkenswerte Familiengeschichte.

Sie beginnt Ende 1969. Damals wird die Kolonie Äquatorialguinea von Spanien unabhängig. Der Diktator Francisco Macías kommt an die Macht. Guillems Vater Juan, Enkel eines nach Guinea strafversetzten Kubaners, hatte zuvor für die Unabhängigkeit Biokos, seiner Heimatinsel, von Äquatorialguinea auf dem Festland gekämpft. Die Spanier legten die beiden Regionen, die nichts miteinander zu tun haben, außer dass sie spanische Kolonien waren, trotzdem zusammen. Der Freiheitskampf hat Konsequenzen: Ein Onkel Balboas wird vom neuen Regime umgebracht, ein anderer im Gefängnis gefoltert. Juan und seine Familie können rechtzeitig fliehen. Guillem Balboa ist damals vier Jahre alt.

Mallorca habe der Vater aus romantischen Gefühlen heraus ausgesucht. „Wir kommen von einer Insel. Mein Vater ging davon aus, dass wir und auf einer Insel viel besser einleben würden als auf dem Festland. Zudem hatte er Kontakte hierher."

Die mallorquinische Gesellschaft ist kaum vorbereitet auf die Zugezogenen aus der Kolonie. „Es war eine sehr verschlossene Gesellschaft mit einer sehr naiven Mentalität und einer strengen katholischen Tradition." Das erste Jahr leben die Buikas bei einer Familie aus Costitx, die in

Palma wohnt. „So nach dem Motto, wir helfen den armen Schwarzen."

Es ist eine Mischung aus Ignoranz und Rassismus, die der Familie begegnet. „Die Menschen haben uns eher mitleidig behandelt. Das erzeugt ein Gefühl der Minderwertigkeit und der Ohnmacht." Zumal Spanien ein Land ist, in dem die Menschen davon ausgehen, dass sie nicht rassistisch sind. Die US-Amerikaner ja, wir aber nicht - das ist die Haltung einer Gesellschaft, die Balboa als „weiß, männlich, christlich" beschreibt. Ein Zustand, der lange anhält. „Als junger Mann musste ich immer einen meiner weißen Freunde mitnehmen, wenn ich eine Wohnung mieten wollte. Ich selber hätte keine bekommen."

Als die Familie nach Mallorca kommt, erlebt sie auch aus einem anderen Grund eine Enttäuschung. In der Heimat hatte man Spanien in Ehren gehalten und mehr von den hiesigen Flüssen und Berge gewusst als von denen vor der eigenen Haustür. Einmal im Mutterland angekommen, stellt die Familie fest, dass das andersrum nicht gilt. Die meisten ihrer neuen Nachbarn wissen nicht mal, dass Spanien eine Kolonie in Afrika hatte. „Meine Eltern haben darauf mit Verschlossenheit reagiert. So wie sie in der Heimat eher das afrikanische negierten, um möglichst spanisch zu sein, so wurden plötzlich die afrikanischen Traditionen bis hin zur Sprache Bubi wieder forciert. Das war für uns Kinder sehr verwirrend. Denn die Frustration, die sie spürten, war nicht unsere Frustration."

Guillem, der in seinem Pass den spanischen Namen Guillermo zu stehen hat, ist einer von zwei Geschwistern, die noch in Afrika geboren sind. Die anderen vier kommen in Palma zur Welt. Darunter auch Guillems Schwester Concha. „Ich glaube, dass ich einen viel stärkeren Bezug zu Afrika hatte als meine Geschwister. Allerdings sind wir auch alle in dem gleichen Umfeld aufgewachsen."

In dem Bild, das Spanien in der Kolonie von sich malt, kommt keine kulturelle Vielfalt vor. Deshalb ist es auch sehr spät, als Guillem lernt, dass es auf Mallorca eine eigene Sprache gibt. Balboa lernt erst ab seinem 25. Lebensjahr ­Mallorquinisch. „Es gibt gewisse Parallelen zwischen dem, wie mit dem Mallorquinischen und der Kultur in Bioko umgegangen wurde. So erinnere ich mich, dass mein Vater, als ich klein war, zu meiner Mutter zu sagen pflegte: Sprich nicht mit ihm in dieser Stammes­sprache, sie ist doch eh zu nichts zu gebrauchen."

Als Teodoro Obiang sich 1979 an die Macht putscht, flammt kurz Hoffnung auf. Juan Balboa geht zurück nach Bioko und wird zum Kulturminister ernannt. Die Familie nimmt er nicht mit. Zum einen aus Sicherheitsgründen, zum anderen weil die Beziehung zu seiner Frau nicht mehr die Beste ist. „Sein Plan war es, das System von innen zu demokratisieren." Der Versuch scheitert. Obiang steht seinem Onkel und Vorgänger Macías in nichts nach und ist bis heute Diktator einer „Kleptokratie", wie Guillem Balboa es nennt. Juan Balboa flieht ein zweites Mal.

Balboa selbst geht als 17-Jähriger zurück nach Äquatorialguinea. Er bleibt sechs Monate und stellt fest, dass er sich dort nicht wohlfühlt. „Heute würde ich gerne zurück, aber meine Mutter warnt mich davor. Ich bin ein Mensch, der nicht die Klappe hält, wenn er Ungerechtigkeit sieht. Und davon gibt es dort sehr viel. Deshalb mache ich keine Pläne."

Das erklärt auch Balboas Gang in die Politik. „Wir kommen aus dem Süden, wir haben unser Land verloren. Der Süden verliert immer. Und so haben auch wir immer den Verlierern nahegestanden. Das einzige Mal, wo ich gewonnen habe, war der Tag, an dem ich Barça-Fan wurde."

Seine Mutter sei nicht überrascht gewesen, als er sich dem Linksbündnis Més anschloss. Generell sei die Familie sehr politisch, nicht nur wegen der Vergangenheit des Vaters, wenngleich die Geschwister dies unterschiedlich ausleben. „Concha drückt dieses Interesse eher in ihrer Kunst als im Aktivismus aus. Mein Bruder Robacho hingegen ist in den Kreisen der Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena aktiv."

Seit wenigen Jahren ist auch Guillems Cousin Boré Balboa als Schauspieler bekannt. Er ist der Sohn der Tante mütterlicherseits, wächst nach dem Tod der Mutter mit Guillem und seinen Geschwistern auf. „Er ist wie ein Bruder für mich."

Er selbst sei das schwarze Schaf der Familie, sagt Balboa. Seine Mutter würde sich wünschen, dass er sich mehr zu seinen guineischen Wurzeln bekennen würde. Er habe sich lange gegen diese Identität aufgelehnt. Dabei sei seine Schwester Concha noch radikaler. „Sie ist eine sehr freie Frau mit einem sehr feministischen Diskurs, die schon immer gemacht hat, was sie wollte. Sie hat ein sehr risiko­reiches Leben geführt. Das drückt sich in ihrer Musik aus."

Warum aber führt er den Nach­namen des Vaters, während sich etwa seine Schwester für den Nachnamen der Mutter entschieden hat? „Das sind Marketinggründe", sagt Balboa etwas zweideutig und ergänzt: „Es hat aber auch mit der Trennung meiner Eltern zu tun. Danach hat sich meine Schwester eher zur Familie meiner Mutter orientiert. Ich habe das nicht für nötig befunden."

Guillem Balboa hat eine Art Lösung für sich gefunden: „Letztlich sucht man sich seine Identität selbst aus. Ich habe entschieden, dass ich Mallorquiner bin."

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 9. Juli (Nummer 791) lesen Sie außerdem:

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