Wenn Belén Esteban in Tränen aufgelöst jammert, greint und schreit, können die Macher von „Sálvame" ziemlich sicher sein, noch mehr Fans als ohnehin schon gewonnen zu haben. Die mehrfach schönheitsoperierte 43-Jährige vermag es im Kreis der sonstigen Mitwirkenden des vom Berlusconi-Sender „Tele­cinco" Tag für Tag ausgestrahlten Reality-Formats mit am besten, dem Drama fast orgiastische Züge zu verleihen - besonders dann, wenn es um ihre eigenen Leiden geht. Wie zuletzt, als herauskam, dass ihr Manager sie ungeniert übers Ohr gehauen hatte.

Mehr als 1,7 Millionen Menschen schauen sich die seit April 2009 laufende Sendung im Schnitt jedes Mal an, und wenn es richtig turbulent zugeht, kann der Marktanteil über 22 Prozent betragen. Wobei „Sálvame" dreigeteilt ist: „Sálvame Limón" (16-17 Uhr) kommt täglich relativ jugendfrei daher, „Sálvame Naranja" (17-20 Uhr) schon weniger, und im nächtlichen Freitagsformat „Sálvame Deluxe" geht es deutlich schmutziger und schlüpfriger zu wie etwa vor einigen Tagen, als ein „Gran-Hermano" (Big-Brother)-Starlet großmäulig und detailverliebt über ihre zahlreichen Bettgeschichten berichtete. Zwar werden solche Einlagen den Nachmittags-Sehern der entschärften Formate erspart, doch laut und krawallig geht es immer zu. Es ist verbürgt, dass mehrere der beteiligten People-Journalistinnen nach entfesselten Streitereien kollabierten und ärztlich behandelt werden mussten.

Offenbar ist nicht gespielt, was in diesem wie geschmiert laufenden TV-Zirkus unter der Leitung der Moderatoren Paz Padilla,

Jorge Javier Vázquez und von sonstigen Kollegen aufgetischt wird - wiewohl dies manchmal den Anschein hat. Doch die Themen, die hier abgehandelt werden, gehen tief ins Intime der gut bezahlten Beteiligten hinein, weswegen ihre Gefühle aufs Äußerste ausgereizt werden. Comedy­hafte Züge nimmt das Ganze an, wenn etwa der vor Jahren als Gran-Hermano-Insasse zu Berühmtheit gelangte Kiko Hernández - ein „Sálvame"-Running-Gag - auf eine Art Thron steigt, die Augen weit aufreißt und eine Neuigkeit aus der Intimwelt der Schönen und

Reichen verkündet.

Die Sendungs-Macher kalkulieren dabei nonchalant ein, sich manchmal Strafanzeigen einzufangen - wie etwa, als die Mode­expertin Carmen Lomana die Hauptmitarbeiterin Belén Esteban und andere Beteiligte wegen Beleidigungen der unflätigsten Art anzeigte und voriges Jahr Recht bekam. 120.000 Euro mussten die Beklagten der 67-Jährigen zahlen - sicherlich nicht allzu viel Geld in diesem Business. Und wenn Jugendschützer - wie schon des Öfteren - die Absetzung des Trash-Formats fordern, verhallt dies einfach. Auch die spanische Wettbewerbsbehörde CNMC ist den Fernsehleuten offenbar einerlei. Diese verdonnerte „Tele­cinco" wiederholt wegen unerlaubter Werbung mitten im Programm zu Strafzahlungen, doch mit den Reklame-Einlagen geht es munter weiter - auch unfreiwillig komisch, wenn etwa der Heulkrampf irgend einer Beteiligter dadurch unterbrochen wird, dass ein Moderator auf einmal aufsteht und mit bemühtem heiligen Ernst ein Fußbodenwischmittel bewirbt.

Dass viele Intellektuelle ihre Stirn ob dieser „Telebasura" runzeln, ist nicht verwunderlich. Der Schriftsteller Carlos Salem bezeichnete „Sálvame" in der Zeitung „La Voz de Galicia" als schädlicher für die Menschen als die Korruption. Und „El País" sprach vom „Olymp der Verhöhnung". Moderator Vázquez verteidigte sich gegen Kritik im Interview mit der Nachrichtenagentur Efe mal wie folgt: „Sálvame" sei kein Trash-TV, sondern „TV-Neorealismus". Man müsse halt mit der Zeit gehen.

An dem Format fällt auf, dass es nicht nur - wie gewisse RTL-II-Sendungen etwa in Deutschland - die bildungsfernen Schichten anspricht. Auch Anwälte und Ärzte saugen die gefühligen Beziehungsgeschichten von „Sálvame" wie Schwämme in sich auf. Der große Erfolg liegt wohl daran, dass die Botschaft an die Millionen Zuschauer eine ganz einfache ist: Auch famosos wie Belén Esteban haben Sorgen und heulen und schreien und jammern. Das Leben ist halt ein einziges großes Drama, ein Zirkus - zumindest im Berlusconi-Fernsehen.