Vor neun Jahren startete an der Vor- und Grundschule von Son Serra-La Vileta in Palma ein auf den Balearen einmaliges Projekt: Die Schule wurde zu einer von spanienweit nur drei staatlichen Grundschulen mit Schwerpunkt Musik. Im vergangenen November nun erhielt sie dafür den Premio Nacional de Educación, den Nationalen Bildungspreis. Ein Gespräch mit der Direktorin Ana López (Palma, 1961) über fächerübergreifenden Musik­unterricht als pädagogisches Gesamtkonzept.

Wie kam es zu dem Beschluss, die Musik viel stärker in den Unterricht zu integrieren?

Wir haben eine sehr engagierte Musiklehrerin, die mich immer gefragt hat, ob sie den Schülern die Anmeldeformulare für das Konservatorium geben darf. Dadurch haben wir gemerkt, dass viele Schüler ein Instrument erlernen wollen. Aber nicht jedes Kind kann auf das Konservatorium gehen - weil es zu weit ist, der Stundenplan zu kompliziert, oder die Eltern das nicht unterstützen. Damals hat ein Gesetz uns erlaubt, einen Schwerpunkt im Lehrplan zu setzen. Wir haben uns für Musik entschieden, um den Kindern eine Chance zu geben, die sonst kein Instrument lernen würden. So hat es angefangen. Später habe ich gemerkt, dass die Musik ein Teil unseres Erbes ist, etwas, was in uns steckt. Wir sind Musik. Damit aber nicht nur die Elite Zugang zur Musik hat, muss sie Teil der öffentlichen Schulen sein.

Entscheidend war auch ein Weihnachtskonzert vor zehn Jahren €

Ja, damals haben alle unsere rund 450 Schüler bei dem Konzert mitgewirkt. Das hat uns motiviert, beim Ministerium nachzuhaken, was wir tun können. Ab 2006 haben wir einen Klavier- und einen Musikkundelehrer bekommen. Und so haben wir uns auf den Weg begeben. Es sind zehn harte Jahre gewesen, weil das ein Pilotprojekt war.

Was kam dann?

Nach vier Jahren hat das Kultusministerium unsere Arbeit positiv bewertet, und 2010 sind wir offiziell als Grundschule mit Schwerpunkt Musik anerkannt worden.

Wie wichtig sind motivierte Lehrer für so ein Programm?

Ohne engagierte Lehrer geht das gar nicht! Überhaupt kann nicht jeder Lehrer werden € Du bist zehn Monate pro Jahr für Kinder verantwortlich, und vor Erwachsenen sind Kinder schutzlos. Es müssen Menschen sein, die motivieren, sich in Frage stellen, sich weiterbilden und sich engagieren, das sind Lehrer. Ein Lehrer ist jemand, der begleitet und Hilfestellungen gibt. Wer Dienst nach Vorschrift machen will, soll sich einen anderen Beruf suchen und nicht mit Kindern arbeiten.

Ab 2010 haben Sie das Musikprogramm auch auf die Vorschule ausgeweitet, warum?

Weil man später auf alle Erfahrungen und Kenntnisse zurückgreifen kann, die man in diesem Alter vermittelt bekommt. Je mehr Möglichkeiten man Kindern von Beginn an gibt, desto mehr können sie diese später nutzen. Wir verlangen nichts von ihnen, was sie nicht schon kennen, das ist alles schon da - von der Geometrie bis zur Sinneswahrnehmung.

Wie genau machen Sie das mit den ganz Kleinen?

Im Kindergarten haben wir eine Ecke mit Orff-Instrumenten. Außerdem legt die ganze Schule jedes Jahr ein Arbeitsziel fest, dem sich der Unterricht in allen Fächern widmet - von den Sprachen bis zur Mathematik. Dieses Jahr ist es das Reisen. Wir gehen also alle auf Reisen, und am Ende des Schuljahres machen wir ein Konzert, in dem alle Schüler zeigen, was sie sich bis dahin zu dem Thema erarbeitet haben. Außerdem besuchen die älteren Schüler den Kindergarten und zeigen den Jüngeren ihre Instrumente. Unsere Musiklehrerin aus der Grundschule unterrichtet auch die Kleinen in Perkussion, mit kleinen Rhythmus- und Intonationsübungen, und schließlich haben wir ja noch unseren Schulchor.

Schon die Dreijährigen singen im Chor?

Ja, aber innerhalb des regulären Musikunterrichts. Ab der Grundschule widmen die Schüler dann eine Stunde pro Woche ausschließlich dem Chor.

Mit sechs Jahren legen die Schüler also richtig los?

Ab der ersten Klasse testen die Kinder alle zwei Wochen ein Instrument. Dafür haben wir extra kleine Geigen und Celli, ­außerdem bieten wir auch Querflöte, Klarinette, Klavier und Perkussion an. Die Schüler probieren das dann ein Jahr lang aus, und in der zweiten Klasse können sie sich ganz einem der Instrumente widmen. In der dritten Klasse machen wir eine Eignungsprüfung - genau wie im Konservatorium. In jedem Jahrgang können 25 Schüler am Musikschwerpunkt teilnehmen und erhalten Einzelunterricht.

Das ist etwa die Hälfte der Schüler pro Stufe, richtig?

Genau. Nicht alle Schüler wollen ein Instrument lernen, aber diejenigen, die wollen, machen bis zum Ende der sechsten Klasse weiter. Das sind insgesamt etwa 90 Schüler. Und alle singen im Chor und machen bei unseren Jahres­konzerten mit.

Welchen Effekt hat die Musik auf die Schüler?

Musik beinhaltet alles - etwa die Elemente der Schrift. Musik arbeitet mit dem kompletten Sinnes­apparat - sowohl bei der Wahrnehmung als auch beim Ausdruck. Das ist ein linguistischer Prozess, weil du das alles im Kopf kodifizieren musst. Du arbeitest mit Rhythmen, die wiederum in allen Bereichen des Lebens wichtig sind, weil sie eine zeitliche Abfolge darstellen. Auch die Mathematik folgt Rhythmen. Und im Geografie­unterricht kannst du damit anfangen zu fragen, wo ein bestimmter Komponist herkommt. Bei uns ist die Musik das verbindende Element in allen Fächern. Einen Teil schätzen wir aber besonders: die soziale und emotionale Kompetenz. Wenn alle in einem Chor singen und im Sommer gemeinsam ein Konzert geben, müssen alle zusammenarbeiten. Das gibt ein Gefühl der Zugehörigkeit, das sehr wichtig ist. Und: Durch das Üben und die regelmäßigen Konzerte sind unsere Schüler sehr diszipliniert. Bei Ausflügen fällt den Leuten oft auf, wie gut sie sich benehmen. Die Musik gibt den Kindern Möglichkeiten, Anregungen und Arbeitsgewohnheiten, sie öffnet ihnen Welten und vermittelt ihnen Kultur - auch den Eltern.

Inwiefern?

Wir haben inzwischen auch einen Chor für Eltern und Lehrer und gehen alle zwei Wochen zusammen zu den Konzerten des balearischen Sinfonieorchesters. Wir fragen vorab, wer mitkommen will, erhalten günstigere Karten und dann treffen wir uns vor dem Eingang - bis zu 60 Leute kommen mit!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft ihrer Schule?

Dass uns jemand bitte, bitte die Schule vergrößert! (lacht). Wir würden gern Unterricht für mehr Instrumente und mehr Verleih­instrumente anbieten. Außerdem wollen viele Schulen auf dem spanischen Festland von unserem Modell lernen. Es wäre schön, das zu ermöglichen.