Wenn sich vor der Filiale der staatlichen spanischen Lotterie an der Ecke Rambla und Oms in Palma schon im Freien eine Schlange bildet, schreibt man Dezember. Die Menschen strömen herbei, um sich Zehntel-Lose (décimos) der Weihnachtslotterie zu sichern, die dieses Jahr 2,24 Milliarden Euro ausschüttet - nicht nur den 640 Millionen schweren gordo, den Hauptpreis, sondern auch jede Menge weitere Preise.

Die Filiale, vor deren Schaltern unübersehbar ein grauer Papagei in einem Käfig hockt, gilt als besonders glückbringend, immerhin entfielen auf hier gekaufte Lose im vergangenen Jahr, wie auf einem Schild nicht ohne Stolz verkündet wird, Preisgelder in Höhe von 908.000 Euro. Die Los-Verkaufsstelle an der Fußgängerzone Sant Miquel brachte es 2014 nur auf ein Drittel dieser Summe.

„Viele Menschen überlegen sich genau, was für Zahlenkombinationen sie kaufen", sagt Azucena, eine der Mitarbeiterinnen, die hinterm Schalter sitzen. „Geburtsdaten sind gefragt, auch Todesdaten von Prominenten oder Familienmitgliedern, weil viele glauben, dass die Toten Glück bringen." Statistischen Erhebungen zufolge sind 20 bis 40 Prozent der Spanier mehr oder weniger abergläubisch, was die Weihnachtslotterie angeht.

Wenn eine Kombination mit 00 beginnt, mit einer 13 endet oder sämtliche Ziffern gleich sind, sind sie quasi unverkäuflich, obwohl die Kombination 00147 im Jahr 2010 den zweiten Hauptpreis einheimsen konnte. „Beliebt ist die Endzahl 69, weil ­diese in Palma schon mehrfach gewonnen hat, auch bei der Weihnachtslotterie", sagt Azucena, während der Papagei einen befremdlichen Laut ausstößt. Ebenfalls begehrt: die 5 sowie die 00 und 99 als End­ziffern. „Einige wollen sogar Kombinationen, die ihnen im Traum erschienen sind oder fragen jedes Jahr nach der gleichen Zahl." Es gibt halt sympathische und unsympathische Lose.

Märtyrer vor die Tür stellen

Aber es sind nicht nur die Zahlen, mit denen abergläubische Décimo-Käufer hantieren. Auf Mallorca vertrauen viele in dieser Hinsicht auch auf San Pancracio, den heiligen Pankratius oder Pankraz, einen im alten Rom im Jahr 304 enthaupteten christlichen Märtyrer, der, wie es auf der Insel heißt, das Geld ins Haus holt. Er wird in der Regel jung und bartlos und mit dem Finger nach oben zeigend dargestellt. Wer ganz sicher gehen will, lässt sich so eine Statue von einem Priester weihen, platziert sie mit Blick auf die Wohnungstür, legt ein Bündel Petersilie oder vierblättrige Kleeblätter daneben und deponiert dort auch seine Lose. Ist ein San Pancracio nicht zur Hand, tut´s auch eine Marienstatue oder - wie in Galicien üblich - ein Hufeisen. Alternativ dazu gelten auch folgende nahe der Haustür platzierte Objekte als Glücksbringer: eine Hasenpfote vom linken Bein, ein Holzelefant, dessen Rüssel nach oben zeigen muss oder sogar ein Besen, wenn er denn aus Naturfasern besteht und zusätzlich mit einer grünen Schnur versehen wurde.

Dies ist nicht die einzige Marotte: „Es gab schon Kunden, die wollten, dass ich ihnen die Lose in die rechte Hand gebe", sagt María von der Verkaufsstelle in der Sant-Miquel-Fußgängerzone. „Die linke Hand wird mit Unglück in Verbindung gebracht."

Beliebt ist unter abergläubischen Menschen auch die Angewohnheit, an den Tagen vor der großen Ziehung eine Goldmünze oder ersatzweise eine Sicherheitsnadel oder einen eisernen und möglichst alten Schlüssel in einer Jackentasche bei sich zu tragen. Sie tun dies, bis die uniformierten Kinder der San Ildefonso-Schule in Madrid wie schon seit 190 Jahren die Gewinnerkombinationen mit ihrem fast einschläfernden, manche sagen auch nervtötenden Singsang unter die Leute bringen, die zu Millionen gebannt vor den Fernsehern sitzen und auf das alles verändernde große Los hoffen.

Katzenrücken und Glatze

Es gibt auch Menschen, die vor der Ziehung sämtliche Lose aus verflossenen Jahren in einer Kerzenflamme verbrennen, wobei sie parallel dreimal in sich folgenden Satz hineinsagen: „Auf dass deine Asche in Form von einem Preis zu mir zurückkommt." Andere reiben das Los wiederholt über den Rücken einer Katze, den Bauch einer Schwangeren oder auf der Glatze eines Mannes und freuen sich - Scherben bringen Glück - wenn ihnen ein Tag vor dem großen Tag ein Teller oder ein Glas auf den Boden fällt.

Um noch sicherer zu sein, diesmal bei der Ziehung zum Zuge zu kommen, begeben sich die Abergläubischen auch auf Reisen: Ein dem Autor dieses Artikels bekannter Anwalt flog extra in die nordspanische Stadt Gijón, weil nur dort in einem ganz bestimmten Laden décimos mit seinem Geburtsdatum verkauft werden. Andere begeben sich - wenn sie nicht alles ohnehin online machen - zu Verkaufsstellen, die als besonders glücksbringend gelten: die berühmteste Filiale ist die „Bruixa d´Or" (Goldhexe) in der nordwestkatalanischen Stadt Lleida, wo Menschen nicht selten stundenlang warten, um ein Los zu ergattern. Seit 1994 haben dort gekaufte Lose mehr als 30 große Preise erhalten, darunter drei Hauptpreise der Weihnachtslotterie.

Unter Loskäufern als sichere Nummer gilt auch die in Madrid befindliche Verkaufsstelle von Doña Manolita. Jedes Jahr ist dort seit ewigen Zeiten zumindest eine Zahlenkombination erfolgreich. Der gordo wurde dort zuletzt 2007 verkauft. Ebenfalls eine Reise wert: die Glücks-Filialen Lotería Valdés auf der Rambla in Barcelona und die Administración Ormaechea im Zentrum von Bilbao.

Auch vor der Filiale an der Ecke Rambla/Oms-Straße in Palma sammeln sich derzeit die Menschen, schauen auf Zahlen, kaufen ihre décimos für 20 Euro und gehen wieder. Ab und zu gibt der graue Papagei einen Laut von sich.

„Ob der Glück bringt, wissen wir nicht", sagt Mitarbeiterin Azucena.