Zwei Dinge fallen bei Tea Radovanovic sofort auf: ihr ansteckend fröhliches Lachen und ihr akzentfreies Spanisch. Die gebürtige Bosnierin war zehn Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter Stanislava und ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Olja vor dem Krieg in ihrem Land flüchtete und nach Port de Sóller kam. Die Leute fragen die 33-Jährige oft, wie lange sie damals brauchte, um die neue Sprache zu lernen. „Das kam plötzlich, ich kann mich nicht mal erinnern, wann genau", sagt sie. Mit Katalanisch sei es ihr genauso gegangen. „In dem Alter ist man aufnahmefähig wie ein Schwamm."

Auch 23 Jahre später erinnert sich Radovanovic noch genau an ihre Ankunft auf der Insel. Die Familie landete nachts in Palma und fuhr von dort aus durch die Berge der Serra de Tramuntana. „Die Lichter der Stadt blieben zurück und ich dachte: Wo bringen sie uns hin?" Bei der Ankunft schlug die Sorge in Begeisterung um. „Ich habe das Meer gesehen, und es war alles so schön, dass ich beschlossen habe, am nächsten Tag schwimmen zu gehen." Es war Dezember.

Die Bojen im Hafen hielt Tea Radovanovic für Haie. Kein Grund für sie, nicht trotzdem baden zu wollen. Es war der Beginn einer Bilderbuch-Integration.

Umzug in den Keller

Die Radovanovics gehören zu den insgesamt gut eine Million Menschen, die wegen des Bosnienkriegs ihr Land verließen. Aufgrund ihres Alters verstand Tea damals nur bedingt, was vor sich ging, nachdem die Republik Bosnien und Herzegowina im März 1992 ihre Unabhängigkeit erklärt hatte. „Wir lebten in Sarajevo, und alles war zunächst gut", sagt sie. Doch das neugierige Mädchen schnappte die Gespräche der Erwachsenen auf, als sich die Situation änderte. „Meine Mutter und eine Freundin sagten einmal: Jetzt fängt der Krieg an."

Die Familie lebte in einer Wohnung an einer Hauptstraße in Sarajevo, im zweiten Stock. Als die Kriegshandlungen begannen, hielten sich die Radovanovics vermehrt in den Hinterzimmern auf. „Dann mussten wir in den Keller ziehen", sagt Tea. Doch lange sollten sie ohnehin nicht mehr bleiben: Nach ein paar Monaten beschloss Stanislava, mit ihren Töchtern zu fliehen. Ihr Mann Ljubomir jedoch wurde eingezogen und blieb zurück. „Er wollte nie kämpfen", sagt seine Tochter.

Die Frauen schlugen sich zunächst nach Serbien durch. „Alles ging so schnell und war sehr konfus", erinnert sich Radovanovic. Mit einem Konvoi reisten sie zunächst nach Kopenhagen und von dort über Madrid weiter nach Mallorca. Stanislava hatte gehört, dass es spanische Familien gab, die Flüchtlinge aufnehmen wollten, und sie beschlossen, ihr Glück auf diesem Wege zu versuchen. „Ich bin mir sicher, dass sie viel gelitten hat in dieser Zeit, aber sie hat uns das nie gezeigt", sagt Radovanovic über ihre Mutter. „Sie ist sehr optimistisch und eine richtige Kämpferin."

Statt einer Notunterkunft im Zelt oder einer Turnhalle - so wie die meisten heutigen Flüchtlinge - bezogen die Radovanovics sowie 31 weitere Bosnier damals leer stehende Wohnungen in Port de Sóller. „Wir konnten kostenlos zum Friseur und einkaufen gehen, wir bekamen alles", erinnert sich Radovanovic. Sie und ihre Schwester gingen umgehend zur Schule, ihre Mutter fand innerhalb eines Jahres Arbeit. „Heute sagen viele, dass wir Flüchtlinge aus Bosnien mit Geld in den Taschen kamen. Meine Erinnerung ist aber eine andere."

Warten auf den Vater

Die größte Sorge der Anfangszeit war jedoch der Verbleib von Teas Vater. „Wir hatten keinen Kontakt zu ihm. Er wusste also nicht, wo wir waren", sagt sie. Das einzige Medium, mit dem die Bosnier von Sóller den Kontakt zur Heimat herstellen konnten, war ein Radio. „Wir haben uns alle darum geschart, um Informationen zu bekommen."

Als ihr Vater endlich nach Mallorca nachkam, hatte er viel vom Schrecken des Krieges erlebt - nicht zuletzt, weil er zwar Bosnier ist, aber einen serbischen Nachnamen hat. Seine eigenen Landsleute hätten ihn misshandelt und ins Gefängnis gesteckt, sagt Tea. Über all das sprach Ljubomir lange nicht. Erst vor einigen Jahren begann er zu erzählen. „Vielleicht, weil wir Kinder schon älter waren. Außerdem wollte ich wissen, was passiert ist."

Seit er auf Mallorca ist, habe ihr Vater sein Heimatland nie wieder besucht. „Ich glaube nicht, dass er jemals zurückkehren wird", sagt Radovanovic. Ihre Mutter Stanislava reiste mehrfach nach Bosnien, um ihren Vater zu besuchen. Aber auch Olja und Tea waren nie wieder in ihrem Heimatland. „Zum einen, weil ich sehr melancholisch und sensibel bin", sagt die 33-Jährige. „Und dann hat mal das Geld gefehlt, mal die Zeit. Aber ich denke, bald ist es so weit."

Die beiden Schwestern und Stanislava haben bislang noch keine spanische Staatsangehörigkeit, was das Reisen erschwert. Aus dem gleichen Grund können die Radovanovic-Frauen in Spanien nicht wählen. Es sei aufwendig, einen spanischen Pass zu beantragen. Nur Ljubomir hatte sich die nötigen Papiere von einem Freund mitbringen lassen. „Irgendwann mache ich das noch", sagt Tea.

Sie lebt inzwischen nicht mehr bei ihrer Familie am Hafen, sondern in Sóller. Von dort aus pendelt sie nach Palma, wo sie in der Verwaltung eines Familienunternehmens arbeitet. In ihrer Freizeit engagiert sie sich beim Flüchtlingshilfe-Verein „Sóller amb els refugiats". „Einige Mitglieder gehören zu denen, die uns Bosniern damals geholfen haben", sagt sie. Ihr Engagement rühre aber nicht daher, dass sie schief angesehen werden könnte, wenn sie als ehemaliger Flüchtling die Hilfe verweigere. „So bin ich nicht." Es sei ihr vielmehr ein Bedürfnis, die empfangene Hilfe weiterzugeben. Und sie spüre auch den Stolz der anderen, dass sich eine der Bosnierinnen von damals jetzt für andere Flüchtlinge einsetzt.

Radovanovic weiß, dass der Syrienkrieg sich nicht nur zahlenmäßig von dem in Bosnien unterscheidet. „Wir hatten zwar nur Reis und Tomatensoße zu essen, ich habe Soldaten gesehen und zerstörte Dörfer, über denen der Rauch schwebte. Aber wir hatten Glück und mussten nicht einmal die Hälfte von dem mitmachen, was den Flüchtlingen heute widerfährt." Religion spielte aber auch im Bosnienkrieg eine Rolle. So trafen die Radovanovics auf ihrer Flucht auch eine muslimische Frau. „Sie musste ihren Namen ändern und ihren Pass fälschen, sonst wäre sie nicht weitergekommen", sagt Tea Radovanovic.

Heute ist alles anders

Sie hat eine Erklärung, warum sie und ihre Familie sich heute auf Mallorca heimisch fühlen: „Wir haben uns so gut angepasst, weil uns alles sehr leicht gemacht wurde. Wir haben viel durchgemacht, trotzdem war die Flucht ein positives Erlebnis." Das liege nicht zuletzt am Engagement der Menschen von Sóller, die damals vergleichsweise unbürokratisch helfen konnten. „Heute entscheidet alles die spanische Zentralregierung, damals war der Wille der einzelnen Familien entscheidend."

Den jüngsten Pakt der EU mit der Türkei über die Rückführung von Flüchtlingen findet Radovanovic enttäuschend. „Die Situation ist so kompliziert, nicht wie bei uns damals. Es ist eine Schande, aber die Hautfarbe und Religion der Flüchtlinge machen eben durchaus einen Unterschied."

Besonders die Kinder liegen ihr am Herzen. Rund 10.000 seien als vermisst gemeldet. „Wenn du in einem Flüchtlingslager aufwächst, prägt dich das", sagt Radovanovic. „Sóller amb els refugiats" hat deshalb Geld für rund 900 Rucksäcke gesammelt, die mit dem Nötigsten für Kinder bis drei Jahre gefüllt sind. Helfer der Gruppe haben sie an Ostern nach Idomeni in Nordgriechenland gebracht.

Indessen wartet Tea darauf, dass vielleicht doch endlich ein paar Flüchtlinge auf Mallorca ankommen. Sie hätte jedenfalls Tipps für beide Seiten: Den Einheimischen empfiehlt sie, den Ankommenden sofort eine Dusche, einen Haarschnitt und frische Kleider anzubieten, „damit sie sich wieder wie Menschen fühlen". Außerdem sei es wichtig, die Flüchtlinge nicht mitleidig anzuschauen. Erst vor Kurzem traf Radovanovic eine Syrerin, die schon länger auf Mallorca lebt, aber in ihr Land zurückkehren will. „Sie hat hier viele tolle Menschen kennengelernt, aber sie wird ständig komisch angeschaut, weil sie ein Kopftuch trägt und das belastet sie."

Für die Flüchtlinge sei in erster Linie der Wille zur Integration wichtig, nichts weiter. Und Tea Radovanovic würde ihnen Mut machen: „Von null anzufangen, bedeutet nicht, dass die Welt untergeht." Sie, ihre Familie und ihre Bindung zu Sóller sowie seinen Bürgern sind der lebende Beweis. „Sie haben uns akzeptiert. Wir sind echte sollerics."