Als Andrés Cobacho die kleine Reinigung in Cala d´Or, einem Küstenort im Osten von Mallorca, betritt, strahlt ihn Besitzerin Mita Rigo an. „Wie geht es dir, wie schön, dass du da bist", sagt sie. Und mit einem Blick auf die Uhr: „Du bist spät heute." Andrés ist Losverkäufer für das Blindenhilfswerk ONCE (Organización Nacional de Ciegos de España). Und dem kleinen Cala d´Or im Südosten der Insel hat er vor einem Jahr sehr viel Glück gebracht. 2,3 Millionen Euro hat der Ferienort damals gewonnen - mit Andrés´ Losen. „Hast du mich etwa schon vermisst?", fragt Andrés und zwinkert ihr zu.

Dann zückt der 53-Jährige seinen dunkelgrünen Apparat, der an einen großen Taschenrechner erinnert, und scannt damit ihre Lose ein. Und das sind einige. Sie und ihr Mann haben damals ein wenig von dem Glück, das Andrés gebracht hat, abbekommen. 28.000 Euro jährlich bekommen sie 25 Jahre lang überwiesen. „Und das nur dank Andrés. Denn er hat uns damals das Los verkauft."

Andrés geht langsam über den Zebrastreifen, er humpelt. Sein rechtes Bein zieht er bei jedem Schritt hinterher. Er trägt eine Prothese. Mit 18 Jahren hatte er einen Unfall auf den Feldern bei Córdoba, seiner Heimat. Er geriet unter einen Traktor und verlor sein Bein. An­drés bleibt kurz auf dem Gehweg stehen, um seine Sachen zu sortieren. Schon grüßen ihn mehrere Anwohner. „Wie geht´s?", rufen sie ihm zu und: „Du kommst gleich noch vorbei, oder?" Hoffnungsvoll, freudig.

Wie eine zweite Zeitung

Andrés ist in Cala d´Or wohl einer der bekanntesten Menschen. Dabei wohnt er nicht einmal dort. Er und seine Familie leben in Manacor. Die meiste Zeit des Tages verbringt Andrés aber in dem Küstendörfchen. Seine Kunden kennt er beim Namen. „Die meisten kaufen schon seit Jahren bei mir." Man komme ins Gespräch. „Viele erzählen mir, was gerade in ihnen vorgeht, was sie bewegt, ob es Neuigkeiten aus ihren Familien gibt." Er sei die zweite Zeitung, sagt auch der Deutsche Christian Sack, einer seiner Kunden, bei dem er immer freitags gegen 12 Uhr vorbeischaut. „Er weiß einfach über alles Bescheid, was hier im Dorf passiert."

Seit 16 Jahren ist Andrés einer von drei Losverkäufern für die ONCE in Cala d´Or, 2014 war er balearenweit der beste ONCE-Verkäufer, eine Auszeichnung die 2015 nach Ibiza ging. Doch Andrés ist immer noch der beste auf Mallorca. „Der Job war die Chance für mich", sagt er. Zuvor hatte er mit der Arbeit auf einem Marktstand und in einer Einrichtung für geistig behinderte Kinder nicht genug verdient. „Und ich hatte zwei Kinder zu ernähren." Als Losverkäufer zu arbeiten, war zu Beginn nicht einfach. „Ich hatte kaum Kunden, verkaufte zu wenig", sagt An­drés. Damals habe er kurz vor einer Depression gestanden. „Ich stand unter enormem Druck." Dann übernahm er den Kundenstamm einer Verkäuferin, die in Rente ging. „Und ab da lief alles gut."

Andrés Tag beginnt früh, ab 8.30 Uhr ist er in den Bars unterwegs und begrüßt die Mütter, die gerade ihre Kinder zur Schule gebracht haben und jetzt noch gemütlich einen Kaffee trinken. „Das Zeitfenster ist allerdings eng", sagt Andrés. Wenn er zu lange in einer Bar ist, sind die Mütter aus der anderen Bar bereits weg. „Das heißt dann weniger Kunden und weniger Verdienst."

De perfekte Route

Über die Jahre hat der 53-Jährige seine Route perfektioniert, das Zeitmanagement optimiert. „Die meisten Kunden verlassen sich ­darauf, dass ich um eine bestimmte Uhrzeit an einem bestimmten Ort bin", sagt Andrés. Die ONCE zahlt einen Grundbetrag für einen Mindestverkauf an Losen.

Alles, was darüber hinausgeht, wird extra vergütet. Je mehr Andrés also verkauft, desto mehr bekommt er ausgezahlt. „Das spornt so manch einen Losverkäufer dazu an, zu aufdringlich zu werden", sagt Andrés. „Wenn aber einer nicht kaufen will, dann spreche ich ihn am nächsten Tag auch nicht mehr an", sagt Andrés. „Ich selbst fände das auch unangenehm, immer wieder ablehnen zu müssen."

Seine Tour führt ihn auch in die Büros und die Geschäfte der Stadt. Dort schließen sich die Mitarbeiter meist zu Spielgemeinschaften zusammen und kaufen ein gemeinsames Los. „Leider nicht gewonnen", tönt eine elektronische Stimme aus dem Apparat, den Andrés über die Schulter gehängt hat. Er hält einer der Mitarbeiterinnen eines Reisebüros ihr Los vom Vortag hin und zuckt mit den Schultern. „Na gut", sagt sie. „Dann arbeite ich halt weiter." Beide lachen. Währenddessen tippt Andrés eine Zahlenkombination in sein Gerät ein. Die Nummer kennt er auswendig. „Viel Glück!", wünscht er noch, als er das Büro verlässt.

Zur Stärkung gibt's auch mal ein Bier

Am Nachmittag ist Andrés in der Bar eines kleinen Hotels und trinkt eine caña zur Stärkung - sein Arbeitstag geht meist bis 21 Uhr. An einem großen Tisch sitzt eine Gruppe älterer Herren. Sie essen Eintopf. „Ich will da jetzt zwar eigentlich nicht stören", sagt ­Andrés, „aber das ist nun einmal meine Arbeit." Zögerlich geht er auf den Tisch zu. Die Männer begrüßen ihn freudig. Er stört ganz und gar nicht. Sie essen weiter und kaufen ihm seine Lose ab. „Damit fliegen wir nach Panama", scherzt einer der Herren und winkt mit dem Los. „Andrés, du bringst uns Glück!" Andrés lächelt verlegen. „Mal sehen", sagt er. „Versprechen kann ich nichts, das wisst ihr ja."

Andrés selbst spielt nicht. „Nur ein paar Mal, aber das war unfreiwillig." Er habe Lose in seinem Auto vergessen und diese nicht storniert. „Das Geld musste ich bezahlen, gewonnen habe ich nichts." Manchmal kauft er ein Los der Konkurrenz, der staatlichen Lottogesellschaft. „Aber nur, weil derjenige, mit dem ich mir das teile, mir auch Lose abkauft."

Wenn er seine Stammkunden verpasst, hebt er ihnen die Lose auf. „Vertrauen ist wichtig", sagt Andrés. „Ich gebe ihnen das Los dann am nächsten Tag." An einen Mann muss er dabei ganz besonders denken. „Er hatte mich gerade verpasst, sein Los habe ich aufgehoben. Es war eines von denen, die sich die 2,3 Millionen Euro geteilt haben", erzählt Andrés. „Als ich es ihm am nächsten Tag gegeben habe, wusste ich schon, dass er gewonnen hatte." Er lächelt zufrieden. „Er hat mich umarmt und mir gedankt. Das war ein gutes Gefühl."