In ihrem kleinen Haus in Peguera sitzt Ines Johne im Wohnzimmer mit Blick in den Wintergarten. Rechner und Tablet stehen vor ihr auf dem Esstisch. Sie klickt sich durch die Fotos, die sie im griechischen Dorf Idomeni an der Grenze zu Mazedonien und auf Lesbos gemacht hat. „Was dort geschieht, verstößt gegen alle Konventionen der Menschenrechte", sagt die 48-Jährige ruhig, aber bestimmt. Dabei zeigt sie auf ein Foto, auf dem das Flüchtlingscamp in Idomeni im Schlamm versinkt.

Im Februar ist sie als Freiwillige zunächst in ein Camp auf Lesbos geflogen. Als Unterstützung in Idomeni gebraucht wurde, packte sie auch dort mit an, verteilte Essen, kochte Suppe und tröstete die Familien. „Ich würde sofort wieder dorthin", sagt sie. Der Beschluss, sich vor Ort zu engagieren, fiel bereits im Dezember. Damals verlor sie ihren Job in der Verwaltung einer Tourismusagentur, wo sie 28 Jahre lang gearbeitet hatte. „Die Entscheidung zu helfen, war ein Bauchgefühl." Sie habe die Nachrichten aus den Flüchlingslagern jeden Tag verfolgt und konnte einfach nicht mehr nur zuschauen.

Seit 29 Jahren lebt Johne, die aus einer kleinen Stadt im Unterallgäu stammt, bereits auf Mallorca. Sie kam als Au-pair, bevor sie den Job in der Tourismus­agentur fand und blieb. Jetzt legt sie gemeinsam mit einem guten Freund Geld an der Börse an. Ein Teil der Gewinne geht an Nichtregierungsorganisationen, die den Flüchtlingen in Griechenland helfen. Noch immer verfolgt sie in den sozialen Netzwerken, wie es den Menschen an der mazedonischen Grenze geht, was die Helfer berichten und was am nötigsten gebraucht wird. „Wir haben Luxusprobleme im Gegensatz zu dem, was die Menschen dort unten durchmachen", sagt Johne. Sie sei nach ihrem Einsatz noch dankbarer für das, was sie hat.

Aus ihrer Komfortzone herauszutreten, um nach Griechenland zu fliegen, habe ihr keine Angst gemacht. „Ich wusste ja, dass ich zurückkann, wenn ich das nicht packe." Aber sie hat es geschafft. „Dort habe ich erst gelernt, wie stark ich eigentlich bin."

Als sie am 12. März in Idomeni ankam, war das für sie allerdings erst einmal erschreckend. „Es hat in Strömen geregnet", erzählt sie. „Die Menschen haben auf einem Schlammsee gezeltet." Hinzu kam die Kälte im März. Die Berge seien teilweise schneebedeckt gewesen. Die Menschen - damals etwa 15.000 - zelteten vor allem an den Bahnschienen und auf den Gleisen. „Denn dort sickerte das Wasser noch ab", erklärt Johne. Manchmal, sagt sie, hätte sie am liebsten einfach nur geheult. So viel Elend auf einmal, das nagt an einem. „Das alles wird nur durch die Dankbarkeit der Menschen erträglich."

Sie erzählt von einer Mutter, der sie geholfen hatte, ihre Kinder aus den klitschnassen Sachen zu befreien und ihnen neue Kleidung anzuziehen. „Die Frau umarmte mich und sagte, dass ihr Sohn seit Monaten nicht mehr gelächelt hätte. Jetzt tat er es." Das wiege alles Elend wieder auf. Manchmal war sie auch überrascht von der positiven Energie der Menschen, die nichts mehr hatten. An einem Nachmittag brachten sie und andere Helfer Kleidung in eines der größeren Zelte mit syrischen Flüchtlingen. „Als wir kamen, fing ein älterer Mann an, eine Art Gitarre zu spielen. Die anderen begannen zu tanzen."

Johne hat aber auch andere Bilder im Kopf, Bilder der Verzweiflung, von Menschen, denen bitterkalt ist, die am ganzen Körper zittern, die Hunger haben. „Dort geht es ums nackte Überleben." Deswegen sei es auch zu Auseinandersetzungen unter den Campbewohnern gekommen. Die Zustände seien menschenunwürdig, sagt Johne. „Das Traurige ist, dass niemand etwas dagegen unternimmt." Damit zeigt sie auf die politisch Verantwortlichen. Es sei deren Aufgabe, ein solches Szenario zu verhindern. „Fast scheint es so, als würde sich die Europäische Union nicht für diese Menschen interessieren."

Derzeit versucht die griechische Regierung das Camp in Idomeni und ein weiteres im Hafen von Piräus bis Mai zu räumen und die Menschen in neu gebaute Auffanglager zu verteilen. Einige der Flüchtlinge lassen sich darauf ein. Aber längst nicht alle. Johne weiß, warum: „Die Menschen in Idomeni haben immer noch die Hoffnung, dass die Grenzen aufgemacht werden. Deswegen bleiben sie, auch wenn sie in katastrophalen Zuständen leben müssen."

Die jüngsten Ereignisse im Grenzgebiet belegen Johnes Einschätzung: Erst am Mittwoch (13.4.) gab es erneut Ausschreitungen am Grenzzaun.

Einige Dutzend Flüchtlinge versuchten, von Griechenland nach Mazedonien zu gelangen. Die mazedonische Polizei feuerte mit Tränengas. Johne hat selbst eine solche Situation erlebt: Im März ging im Camp das Gerücht herum, die Grenzen seien geöffnet. „Sofort haben sich Tausende auf den Weg gemacht und durchquerten den Grenzfluss."

Sie versteht nicht, warum sich die EU-Staaten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sperren. Es seien nicht viele in Relation zur EU-Bevölkerung. „Das kann man stemmen." Ihrer Meinung nach spiegelt die Abwehrhaltung der Politik auch die der Gesellschaft wider. „Dabei braucht man vor diesen Menschen keine Angst zu haben, sie sind wie du und ich."

Johne arbeitete als Freiwillige unter anderem für NGOs wie Humanitarian Support Agency, Lighthouse Relief oder half den Feuerwehrmännern von Acció solidaria i logística EREC-CERT. Sie sind alle noch immer vor Ort. Nach den kalten Tagen im März wird es jetzt immer heißer dort. „Gebraucht werden Sommerkleidung, Sonnencreme, Caps und Hüte sowie Hygieneartikel, Waschpulver und Geldspenden", sagt Johne. Sie vertraut den kleinen Hilfsorganisationen mehr als den großen. „Denn jetzt weiß ich, wo das Geld investiert wird, das ich spende."