Noch bevor das Aufnahmegerät angeschaltet ist, hat Dieter Wedel schon eine halbe Stunde über seine Zeit als Leiter der Wormser Nibelungenfestspiele in Worms und seinen Wechsel zu den Festspielen in Bad Hersfeld erzählt. Der 73-Jährige empfängt uns in einem Dachgarten hoch über der Bucht von Cala Llamp in Andratx, doch sein Geist wandert immer wieder nach Deutschland zu den sieben, acht Stücken, die er als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele im nächsten Sommer plant. Dabei ist im Hintergrund immer wieder das Dröhnen und Hämmern der derzeit elf Baustellen in der Nobelbucht zu hören. Wie eine Landschaft so verschandelt werden kann - auch darüber will Wedel schon seit Jahren einen Mallorca-Film drehen. Aber irgendwas ist immer.

Warum kommt der Mallorca-Film nicht zustande, Herr Wedel?

Andere Filme kamen dazwischen: „Papa und Mama" oder auch „Gier". Bei beiden Mehrteilern tauchte übrigens auch Mallorca auf. Ursprünglich plante ich eine Gesellschaftskomödie über die Insel. Ich wollte von Deutschen erzählen, die sich manchmal über die Größe ihres Grundstücks oder ihres Hauses definieren und am liebsten ihr Auto mit im Schlafzimmer parken möchten. Und immer auch erzählen, was alles gekostet hat. Plötzlich haben mich aber mehr die politischen Aspekte interessiert: Mallorca als Probebühne für Europa. Dazu kam die völlig unverhohlene Korruption. Was so amüsant daran war: Sie war ganz offen.

Sie meinen, das war hier in Andratx kein Geheimnis?

Überhaupt nicht. Natürlich wurde gemunkelt, dass der Bürgermeister von Andratx bestechlich war, oder auch die Inselratspräsidentin. Bei ihr wurde immer gefragt: „Warum kommt sie immer mit einem Koffer und nie mit einer Handtasche? - Weil sonst das Geld nicht reinpasst!" Ich wunderte mich immer, dass all diese Dinge so offen erzählt wurden, ohne dass das jemand besonders anstößig fand.

Nun, ich weiß nicht, ob sich wirklich niemand daran störte.

Das hat sich alles im Verlauf der Finanzkrise geändert.

Und somit auch der Stoff, den Sie im Kopf hatten?

Ja, die Gesellschaftskomödie hat mich nicht mehr interessiert. Ich frage mich vielmehr: Warum wurde plötzlich Korruption so unnachgiebig verfolgt, dass sogar die Königsfamilie in Verruf geriet? Was war da passiert? Hat es etwa auch mit der EU zu tun, dass nicht mehr so viel unter den Teppich gekehrt werden konnte?

Vermischen Sie da nicht zwei Ebenen? Da ist die Korrup­tion: eine mallorquinische Geschichte, die eigentlich von einem Mallorquiner­ erzählt werden müsste, und da sind die Deutschen­, die das alles auch begünstigt haben.

Ja, das ist mein Problem, weil ich natürlich nur eine Geschichte über Deutsche erzählen kann. Den ersten Teil habe ich fertig: Es geht um jemanden, der auf der Insel ein Unternehmen erbt und versucht, es zu retten, und keine Ahnung hat, mit welchen Kräften und Interessen er es hier zu tun bekommt. Er wird vor der Mafia gewarnt. Die gibt es hier, unbestreitbar. Meinen Informanten von „König von St. Pauli" bis zum „Schattenmann" bin ich hier wieder begegnet. Der Unternehmer hat auch plötzlich Probleme mit Gewerkschaften.

In Ihrem Buch „Vom schönen Schein und wirklichen Leben" beklagen Sie, dass das deutsche Fernsehen sich keine komplexen Geschichten mehr zutraut.

Vor allen Dingen hat sich das Fernsehen erheblich verändert. Liegt das an uns, den Autoren und Regisseuren, oder den Verantwortlichen in den Sendeanstalten, oder liegt es am Publikum, das vor allen Dingen Krimis sehen will? Ein guter komplexer Stoff, glaube ich, ist auch heute noch möglich. Allerdings würde der Film nicht mehr so viel Aufmerksamkeit erregen, wie das noch beim „König von St. Pauli" oder beim „Schattenmann" möglich war. Das Fernsehen hat durch die Konkurrenz so vieler anderer Medien einen Bedeutungsverlust erlitten. Ein einzelner Film oder auch ein Mehrteiler ist kein Ereignis mehr. Selbst die Preisverleihungen funktionieren nicht mehr so. Einige wurden abgeschafft. Bambi und Goldene Kamera sind die einzigen, die noch wahrgenommen werden. Aber auch da werden Regisseure und Autoren nicht mehr ausgezeichnet. Während ich durch diese Preise noch eine große Aufmerksamkeit erfahren habe.

Aber wer, wenn nicht Sie, kann diesen Mallorca-Film drehen? Was muss passieren, um ihn doch noch zu machen?

Ich muss den zweiten Teil noch schreiben, die Recherchen liegen bereit. Aber im Augenblick habe ich nicht das halbe Jahr zur Verfügung, um das Buch fertigzustellen. Schließlich bin ich Intendant einer der bedeutendsten deutschen Festspiele. Sie dauern mit der Probenzeit nahezu fünf Monate im Sommer, wir spielen auf drei Bühnen sieben oder acht Stücke. Die Eröffnungs-Premiere in der Hersfelder Stiftsruine, einem der wundervollsten Spielorte Europas, inszeniere ich selbst. Wenn ich mit einem tollen Team und einem wunderbaren Ensemble arbeiten kann, wie ich es in diesem Jahr bei „Hexenjagd" von Arthur Miller hatte, ist das ein unglaubliches Vergnügen. Ein anspruchsvolles Stück - dennoch waren bei 1.300 Sitzplätzen über 20 Vorstellungen ausverkauft. Da können Sie sich sicher vorstellen, dass ich im Augenblick für die Mallorca-Bücher nicht die Zeit habe, die ich gern hätte.

Es ist alles recherchiert?

Wenn Sie eben unter meinen Schreibtisch geguckt hätten, dann hätten Sie auf einem kleinen Tisch darunter die Stapel von Papieren und Notizen gesehen. Berge von Material.

Haben Sie ein Vorbild für den Unternehmer?

Klar, aber Namen nenne ich nicht.

Gäbe Immobilien-Unternehmer Matthias Kühn nicht eine gute Figur ab?

Ganz sicher.

Was ist mit der Geschichte des ermordeten „Bierkönigs"?

Auch spannend. Es spielt auch ein verdeckter Ermittler der europäische Antibetrugsbehörde OLAF eine Rolle.

Wer müsste noch rein?

Das werde ich Ihnen jetzt nicht erzählen. Natürlich gibt es auch private Verwicklungen. Ich habe mich gefragt, was passiert mit jemandem, der in Deutschland ein normales, bescheidenes Leben führt und plötzlich ein Millionenprojekt erbt? Was passiert mit so einem Menschen? Aber im Augenblick hat bei mir das Theater den Vorrang.

Sechs Monate Zeit müssen Sie erst einmal haben. Sie haben gerade in Bad Hersfeld bis 2022 verlängert. Bis dahin sollten Sie nicht warten.

Das freut mich, wenn Sie das so sehen. Ich liebe beides: Fernsehen und Theater. Das Schöne an der Theaterarbeit bei den Festspielen ist, dass ich mit vielen Fernsehschauspielern weiter zusammenarbeiten kann. Sie können sich wieder ausprobieren und Neues von ihren Möglichkeiten entdecken. Das ist sehr spannend zu beobachten und auch für das Publikum ein großes Erlebnis.

Was ist für die nächste Spielzeit in Vorbereitung?

2017 ist Luther-Jahr. Viele erwarten eine Art zweites Sommermärchen in Deutschland, wo Hundertausende ausländische Besucher kommen werden. Ich wurde gefragt: Können Sie nicht mal etwas über Luther machen? Spannend finde ich, dass es über die gewaltigste Figur der Deutschen kein klassisches Theaterstück gibt. Dabei, was für eine Geschichte! Ein Provinzler aus dem winzigen Städtchen Wittenberg, der den Papst herausfordert und die Welt verändert. Und der Papst erkennt nicht mal die Gefahr für seine Kirche. Da war plötzlich einer, der den Wert von PR erkannt hat. Ein sprachgewaltiger Mann, dessen Flugblätter reißenden Absatz fanden. Und der das Glück hatte, dass Lucas Cranach ebenfalls in Wittenberg wohnte und ihn wieder und wieder abbildete. Auf diese Weise hatte die Bewegung ein Gesicht. Aber ist jemand, wenn man versucht, mit ihm einen Kompromiss auszuhandeln, wirklich sympathisch, wenn er sich dann hinstellt und sagt: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders?" Allerdings wird sich erst in den nächsten Wochen entscheiden, ob wir nun wirklich ein Luther-Stück machen.

Wer spielt Luther?

Wenn wir es machen, mehrere Schau­spieler.

An wen haben Sie denn gedacht?

Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Außerdem darf man nie Namen nennen, bevor die Verträge abgeschlossen sind.

Sie sprühen vor Begeisterung für andere Projekte. Man könnte fast glauben, Sie machen den Mallorca-Film nicht mehr.

Wieso, das Mallorca-Projekt begeistert mich doch auch! Ich lasse es nicht fallen. Aber im Moment ist meine Bühne das Theater.