Auch Frauen aus wohlhabenden, angesehenen Familien hatten es früher auf Mallorca nicht leicht. Maria Lluc Fluxà ist die Schwester der Unternehmer Llorenç und Miquel. Die haben mit der Schuhmarke Camper (Llorenç) und dem Tourismus-Imperium Iberostar (Miquel) globale Erfolgsgeschichten geschrieben. Und Antoni Fluxà, der 2015 verstorbene, dritte Bruder, hat die Schuhmarke Lottusse vom Vater Llorenç übernommen. Sie steht seit 1928 für solides, elegantes Schuhwerk.

Und Maria? „Frauen durften bei uns damals nicht arbeiten", sagt die 75-Jährige. Damals, das waren die 60er- und 70er-Jahre, und bei uns, das bezieht sich auf eine der reichsten Familien Mallorcas. Also blieb Maria zu Hause, besuchte mit dem Vater Konzerte und Opern in ganz Europa, was sie ihm bis heute hoch anrechnet. Er habe sie, obwohl er „ein autoritärer Patriarch" war, zur Kunst geführt. Die Mutter war für die neugierige, intelligente Maria in vieler Hinsicht kein Vorbild, „denn sie war immer krank". Maria war nach dem Tod der älteren Schwester das einzige Mädchen im Haus.

Die Kunst hat Maria Lluc Fluxà letztlich den Weg in die persönliche Freiheit gewiesen. Besonders die französische Künstlerin Louise Bourgeois, 30 Jahre älter als sie, diente ihr als Vorbild und Inspiration. Die ungewöhnliche Freundschaft, die zwischen den beiden Frauen entstand, begann mit einem Bild aus einer Serie. Sie heißt „Femme Maison" (Haus-Frau) und zeigt nackte Frauen, die statt eines Kopfes ein Haus auf den Schultern haben. „Die hat ja mich gemalt", dachte Fluxà, als sie in den 80er-Jahren zum ersten Mal eines der Bilder aus den 40er-Jahren sah. „Ich sah mich selbst, in meinem geistigen Gefängnis."

Es geschah bei der ersten Louise-Bourgeois-Ausstellung im Moma (Museum of Modern Art) in New York. Maria Lluc Fluxà war längst verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie glaubte, nicht nur sich selbst, sondern auch die Künstlerin wiederzuerkennen. „Ich hatte ein Gefühl großer Nähe", sagt Fluxà heute über eines der wichtigsten Erlebnisse ihres Lebens, „obwohl ich sie gar nicht kannte."

Später, 1990, kaufte Fluxà einen Druck der Serie auf der Basler Kunstmesse. Da war sie schon Kunstsammlerin und betrieb in Palma die Galerie „Lluc Fluxà". Mittlerweile besitzt sie rund 50 Arbeiten von Louise Bourgeois. Das wichtigste Werk ist für sie aber wohl ein Buch namens „Metamorfosis", das Fluxà gemeinsam mit Louise Bourgeois gemacht hat: Die Bilder stammen von der 2010 verstorbenen Französin, die Texte von der Mallorquinerin. Dabei spielen die beiden Frauen mit ihrer Identität, verändern Informationen zu Fotos aus dem Album, tauschen Namen, malen auf Familienfotos, schreiben auf Fotos von Kunstwerken. Erschienen ist das Buch 1999 bei Lelong Éditions, dem Verlag der renommierten Galerie, die bis heute mit Bourgeois´ Kunst handelt.

Das Buch ist das Zeichen einer Freundschaft. Bei Maria Fluxà hat es einen Ehrenplatz. In der Galerie an der Plaça Cavalleria liegt es immer aus, mit rotem Einband, großformatig, „Das Beste, das mir im Leben passiert ist", sagt Fluxà leise und streicht über den Einband.

Während der zahlreichen Besuche, die Fluxà der Künstlerin abstattete, sind die gemeinsamen Arbeiten entstanden, die in „Metamorfosis" gedruckt sind. „Sie spielte permanent mit Bewusstem und Unbewusstem, und ich durfte an diesen Spielen teilnehmen", erzählt Fluxà, „sie war meine Meisterin, meine Psychoanalytikerin, die Hebamme meiner Wiedergeburt in der Kunst."

Die beiden hatten sich in den 1990er-Jahren angefreundet - Fluxà traf Bourgeois bei der Vernissage einer Miró-Ausstellung im Moma 1993 - und entdeckten tatsächlich viele Gemeinsamkeiten, zum Beispiel „die großbürgerliche Herkunft, den autoritären Vater, die kranke Mutter", erzählt Fluxà.

Die Begegnung mit Bourgeois inspirierte Fluxà nachhaltig, als Galeristin und Sammlerin. 1994 zeigte sie als erste Galerie in Spanien Arbeiten von Louise Bourgeois. Die 1911 geborene Französin, die seit 1938 in New York lebte, war damals so gut wie unbekannt.

Auch bei der Suche nach eigenen Ausdruckswegen zeigte ihr Bourgeois den Weg. 1994 wagte Fluxà, begleitend zur Ausstellung, eine „autobiografische Performance" in ihrer Galerie, mit dem Titel „Götterdämmerung". Marta Salleras, Kunsthistorikerin und langjährige Assistentin in der Galerie, sagt über ihre Chefin: „Sie ist eine Künstlerin, aber das darf man nicht laut sagen."

Die Kunst hat Fluxà genutzt, um die Regeln, die ihr Leben bestimmen, zu hinterfragen - nicht zu brechen. In „Metamorfosis" schreibt sie über „ein Spinnennetz, gewebt aus Zuneigung und exzessiver Autorität" das immer „fester, dichter labyrinthischer" wird: „Sie fühlte sich in der Tradition gefangen, es war fast unmöglich, zu entkommen. Ihr Schicksal war das der ´Femme Maison´", schreibt sie über sich selbst.

Maria Lluc Fluxà hat sich frei gekämpft, ohne mit ihrer Herkunft zu brechen. Ihre dreistöckige Galerie hat sie der künstlerischen Begegnung gewidmet. Sie heißt immer noch Lluc Fluxà, aber auch „Projectes d´Art Espai H.C.". Das H.C. steht für hors de commerce („nicht für den Handel"), in Anspielung an die Probedrucke eines Kunstwerkes, die nicht zum Verkauf bestimmt sind.

Die Unternehmertochter will damit ein Zeichen setzen gegen den Markt. Marta Salleras, die sie schon seit mehr als zehn Jahren beruflich begleitet, erklärt: „Wenn wir etwas verkaufen, freuen wir uns, aber das hier ist vor allem ein Freiraum." Espai H.C. ist ein Tempel für die Kunst, die Fluxà so viel gegeben hat. Und ohne ihre Herkunft könnte sie es sich kaum leisten, ein nicht kommerzielles, kulturelles Begegnungszentrum in einer der teuersten Lagen Palmas zu betreiben.