Eigentlich habe man sich ja nur angemeldet, um mal zu sehen, was da so los ist. Dieser Spruch gehört zu den Standardantworten der Nutzer von Dating-Apps. Mehr als 100 Millionen Menschen weltweit haben Tinder, Lovoo oder Badoo laut den Statistiken im Google Play Store heruntergeladen. Eine andere Statistik sagt aus, dass 42 Prozent der Tinder-Nutzer bereits in festen Beziehungen sind (­globalwebindex). Vielleicht will darum kaum jemand zugeben, dass er Tinder auf seinem Smartphone nutzt. Oder gibt es noch andere Gründe, nicht über die so weithin verbreitete App zu sprechen?

„Die romantische Vorstellung, dass die Liebe etwas Ungeplantes, Spontanes und letztlich Schicksalhaftes sei, ist immer noch weitverbreitet", sagt Kai Dröge vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. „Zu dieser Vorstellung der ungeplanten Liebe passt es nicht, sich technischer Hilfsmittel zu bedienen." Zudem gelte diese Art des Datings als oberflächlich und rücke die Sexua­lität in den Vordergrund. „Dieses Thema ist in unserer Gesellschaft trotz aller Umbrüche der letzten Jahrzehnte immer noch schambesetzt - aber eben auch sehr anziehend", sagt Dröge. Grund genug, sich auf Tinder einmal umzuschauen ...

Ein Profil ist schnell erstellt. Nach dem Herunterladen auf das Smartphone, ein Tablet-Computer geht auch, loggt man sich über Facebook ein. Noch schnell ein Foto und einen kurzen Beschreibungstext hinzugefügt, dann kann es schon losgehen. In den Einstellungen lässt sich antippen, ob ich nach Männern oder Frauen Ausschau halten. Zudem lässt sich eine Altersspanne und ein Umkreis festlegen.

Ich selbst bin 26 Jahre alt, schränke meine Suche auf Frauen, zwischen 18 und 32 Jahren ein, der Umkreis ist mir egal. Schon spuckt mir die App die ­ersten „Tinderellas" aus, wie weibliche Nutzer auch genannt werden. Anhand von Fotos kann man entscheiden, ob man jemanden mag (like) oder eben nicht (nope). Finden sich beide attraktiv, zeigt die App an: „It's a match" (Ihr passt zusammen). Dann öffnet sich ein Chatfeld und man kann miteinander schreiben.

Ohne groß zu überlegen, like ich die Frauen mit einem Wisch nach rechts. Mit der 18-Jährigen Neus (Namen von der Redaktion geändert) erscheint ein Match. Der erste Schritt ist wie im wahren Leben schwierig. Auf „Hola, qué tal?", antwortet die junge Frau nicht. Ich schieße weitere Small-Talk-Fragen hinterher. Ja, sie ist Mallorquinerin, antwortet sie kurz angebunden nach längerer Wartezeit. Ein einseitiges Gespräch entsteht. „Y eso?, por?, que va!" (Und?, Warum?, Als ob!) lauten fast alle Antworten von Neus. Die 18-Jährige will mich nicht im richtigen Leben treffen. Sie sei mit ihrer Arbeit als Friseurin zu sehr ausgelastet. Neus ist kein Einzelfall. Viele Mallorquinerinnen, aber auch andere Frauen geben sich online kühl. Was sie auf Tinder suchen, bleibt mir ein Rätsel.

Aber auf Mallorca sind nicht nur Einheimische auf Tinder unterwegs. Ich entdecke anhand der Kurzbeschreibungen unter den Fotos viele Touristen, ausländische Residenten und Erasmus-Studenten.

Das nächste Match habe ich mit Maria. Sie ist Deutsche und hat ganz neu eine Stelle als Gästebetreuerin in einem Hotel an der Playa de Palma angenommen. Sie kennt auf Mallorca bisher niemanden. Wir vereinbaren ein Treffen auf der Plaça d'Espanya. „Ich hab dich geliked, weil du deutsch bist", sagt sie. Lange unterhalten wir uns über unsere Jobs und warum wir auf Tinder gelandet sind. „Ich bin mit meiner Studiengruppe um die halbe Welt gereist. Da hat eigentlich jeder mit jedem was gehabt. Nur ich habe keinen Freund gefunden." Nach einem interessanten Gespräch gehen wir noch auf einen Tee nach Hause. Dabei bleibt es. Ganz ehrlich!

Am nächsten Tag wird weitergesucht. Ich wische mich in einen Rausch und gucke mir nur noch das Profilfoto an, ohne die anderen Fotos zu öffnen. Dadurch kommt das ein oder andere unerwünschte Match zustande. Ein Transvestit ist dabei. „Ich bin äußerst diskret", schreibt er. Im Gegensatz zu den Mallorquinerinnen antwortet er im Sekundentakt. Er suche jemanden, den er oral befriedigen kann. Namen und Small Talk seien ihm egal. Ich lehne höflich ab.

Auch Professionelle tummeln sich bei Tinder. „Ich bin Escort-Lady", schreibt die 22-jährige Mallorquinerin Magdalena unverblümt. „Ich sehe gut aus, miete ein Zimmer an und wir ­verbringen eine schöne Zeit." Auf ihrem Profilbild posiert sie mit blond gefärbten Haaren vor dem Spiegel. 60 Euro für 30 Minuten und 120 Euro für die ganze Stunde will sie für ihre Dienste haben. Die große Liebe ist das gewiss nicht.

Núria taucht auf dem Bildschirm auf. Die ­19-Jährige aus Llucmajor hat deutsche Vorfahren. Die Fotos zeigen eine kräftige Frau. „Ich hatte vor zwei Jahren einen Autounfall", schreibt sie. „Ich saß neun Monate im Rollstuhl und habe 40 Kilogramm zugenommen." Noch heute geht sie täglich zur Rehabilitation und versucht im Fitnessstudio, wieder auf ihr Normalgewicht zu kommen. Wir wechseln zu Whatsapp und sie schickt Bilder von der Zeit vor ihrem Unfall. Darauf ist ein junges hübsches Mädchen am Strand zu sehen, das sicherlich keine Schwierigkeiten hätte, einen Freund zu finden. Wir treffen uns. Aber der Kontakt bricht kurze Zeit später ab. „Ich suche einen festen Freund. Das kann ich mir bei dir nicht vorstellen", schreibt sie zum Abschied.

Fälle wie Núria sind die Ausnahme auf Tinder. Die meisten von der App vorgeschlagenen Profile gehören Touristen. Bis es zu einem Match kommt, sind die Frauen meist schon wieder in der Heimat. Auffällig viele Latinas wischen mich nach rechts. Sie antworten schnell und zeigen sich interessiert. Arianna aus Ecuador wohnt seit vielen Jahren in Santa Ponça. Sie hat vier Hunde, die ihr Ex-Freund bei ihr gelassen hat. Wir treffen uns einen Nachmittag am Strand. „Ich lege mich aber nicht in die Sonne. Ich bin schon gebräunt genug", sagt sie lachend. Arianna ist lebhaft. Auf Tinder sucht sie Bekanntschaften zum Plaudern - mehr nicht. Nach dem Treffen bleiben wir befreundet.

Auf das schnelle Abenteuer ist Antònia aus. Zumindest steht das auf dem Profil der angeblich 18-Jährigen aus Palma unter einem aufreizenden Foto. Sie fragt, ob ich mir vorstellen könnten, mit ihr zu schlafen. Sie hätte sich gerade von ihrem Freund getrennt und wolle sich nun die Hörner abstoßen. Wir schreiben einen Tag lang und vereinbaren ein Treffen. Am nächsten Tag sagt sie uns ab und erklärt, dass das Profil ein Schulprojekt dreier Schülerinnen war, um die Gefahr des Internets zu erkunden. Im Gegensatz zu mir wären andere Nutzer nicht so freundlich gewesen. Die meisten Männer hätten sie nur mit vulgären Sprüchen angeschrieben. Auch nachdem die Schülerinnen offenbart hätten, dass das Profil falsch ist, seien sie weiter als „Verführerinnen" bezeichnet worden.

Genug getindert. Zeit für das wahre Leben. Auf einer Party lerne ich ein reizendes Mädchen kennen. Wie spät es doch schon sei, sagt sie mit einem Blick auf ihr Smartphone. Auf ihrem Bildschirm lodert auch das kleine Flämmchen der Tinder-App. Geliked hatte sie mich aber nicht.