Es ist sicherlich nicht schwer, am Ballermann ein paar Deppen zu finden, selbst wenn gerade keine Neonazis vor Ort sind. Doch einen echten Honk, den gibt es nur einmal. Jürgen Kadel tritt unter diesem Pseudonym seit dieser Saison im Megapark auf.

Auf den ersten Blick ist es kaum zu glauben, dass der Mann schon 44 Lenze zählt. Kein graues Haar ist zu sehen. Falten? Fehlanzeige. Kleidungs- und Erscheinungsbild lassen eher auf Ende 20 schließen. „Ab 30 ist da nicht mehr so wahnsinnig viel passiert", sagt er. Aber die Sache mit dem Alter sei auch nicht so wichtig.

Aufgewachsen ist Kadel in der hessischen Wetterau. Im Dorf „Honkhausen", wie er sagt. Nein, das gibt es nicht wirklich. Seine Eltern hätten einen Bauernhof gehabt, Milchwirtschaft. Eine ältere Schwester habe er, die sei Zahnarzthelferin. Sein älterer Bruder betreibe eine Bagger-Firma. In der Schule sei er eher unauffällig gewesen, das erste Mal verhaltens­auffällig sei er mit zwölf geworden. Fragen nach seinen Privatleben witzelt er lieber weg. Es sei ihm wichtig, das man sich nicht immer allzu ernst nehme, auch wenn das vielleicht blöd klinge. Dafür nimmt er seine „Projekte", wie er seine musikalischen Unternehmungen nennt, um so ernster.Es begann mit Depeche Mode

Auf den Musikgeschmack ist er mit elf Jahren gekommen, als er Depeche Mode mit dem Video „People are People" zum ersten Mal im heimischen Röhren­fernseher sieht. Vom Blockflötenunterricht in der Schule sei er wegen „Unmusikalität" zwar ausgeschlossen worden, seine Eltern schenken ihm, als er 13 Jahre alt wird, aber ein Keyboard. Ein Jahr später muss es schon ein Synthesizer sein, „ich konnte immer schon gut Musikstücke nach dem Gefühl nachspielen", sagt er. Es folgen Schulbands, weitere „Projekte" und, als nach dem Abebben der „Neuen Deutschen Welle" Anfang der 90er-Jahre Techno im Land bum-bum-boomt, bringt Kadel sein erstes Elektro-Album heraus.

Depeche Mode findet er noch immer gut, aber auch Kraftwerk steht nun in der Plattensammlung des 19-Jährigen.

Kadel arbeitet mit verschiedenen Künstlern der Techno-Szene zusammen, „das alles aufzuzählen wäre jetzt zu viel", sagt er. Ein Meilenstein sei jedoch gewesen, als er mit seinem Projekt Hacienda 2001 in der Türkei Erfolge feierte. Der Remix

„Sabor", eine softe Elektro-Nummer, schaffte es dort in den Radiocharts auf Platz 10, die Clubs in Istanbul seien bei seinen Auftritten ausverkauft gewesen. Da war er Ende 20. Was ist mit Ausbildung, Studium? „Lass doch die spießigen Sachen weg."Eine Art „Proleten-House"

2007 wird es dann auch kommerziell interessant für den ehemaligen BWL-Studenten. Der Remix eines Werbeaufsagers für einen Porno-Film. „Die mit dem roten Halsband", wird der erste Club-Hit seines Projektes Finger & Kadel, das er mit seinem Freund Marcus Finger bis heute betreibt. „Proleten-House" nennt Kadel das, was sie von da an machen. „Ich habe mich in den Großraumdiscos immer wohler gefühlt", sagt er. Einen Plattenvertrag hat er in der Tasche.

Während er erzählt, kommt eine Familie am Tisch des Cel Blau vorbei, an dem wir sitzen. Der Sohn bittet um ein Selfie, „na klar", sagt Kadel. Drei Autogrammkarten gibt es noch obendrauf. Die will dann auch noch eine andere Frau für ihre Töchter. Wie kam es dazu, dass er am Ballermann als Solo-Künstler Erfolg hat?

Erstmals auf Mallorca aufgetreten ist er 2010, im ehemaligen Rio Palace, damals noch mit Finger & Kadel. Ein Jahr später covern sie den Wolfgang-Petry-Song „Wahnsinn" und treten damit beim Opening des Megaparks 2011 auf. Man lernt Micaela Schäfer kennen, bringt 2014 den Song „Blasmusik" heraus. Bald zählen Mia Julia und ihr Mann Peter zu ihrem Freundeskreis, „die fanden unsere Mucke gut". Von da an ist der Weg zu „Summerfield Music" nicht weit, wo Chef Matthias Distel, alias Ikke Hüftgold, neuen Künstlern Nährboden gibt.Hommage an fliegende Händler

„Ich hatte immer schon Ideen für Songs, die außerhalb des House-Geflechts liegen", sagt Kadel. Mit Distel kann er sie verwirklichen. Was dabei herauskommt, kennt heute jeder Party-Urlauber, der mehr als zwei Stunden im Megapark verbringt. „Senegal, illegal, scheißegal, Wuppertal" lautet der Refrain, „Hallo Helmut" der Song. „Eine Hommage an die Strandverkäufer aus dem Senegal", sagt Kadel. „Wir haben alle Floskeln, mit denen sie ihre Waren verkaufen, zu einem Lied verarbeitet." Die Ballermann-DJs spielten den Song testweise im August 2016, das Video entstand im April 2017, seit dieser Saison steht Kadel als Honk mit weißem Hemd, Fliege und Jogginghose auf der Bühne. „Peter, Mias Mann, kam auf den Namen Honk und ich dachte sofort, das passt!" Den Honk wolle er auch nicht einfach nur spielen. „Eigentlich bin ich das selbst, es ist keine reine Kunstfigur", sagt er. So könne er am lockersten auf der Bühne sein. Auch wenn das Publikum am Ballermann nicht immer ganz einfach ist, Kadel will das Projekt weiter vorantreiben, „der Honk wird sich weiterentwickeln", sagt er.

Ab Freitag (21.7.) hat Kadel ein neues Eisen im Feuer. Unter Finger & Kadel bringt er zusammen mit den Musikern von Talstraße 3-5 eine Coverversion des Nina-Hagen-Hits „Du hast den Farbfilm vergessen" von 1974 heraus. „Wir durften alle Lyrics verwenden", sagt Kadel. Seine anderen Projekte laufen also weiter. Wenn er sich nur auf den Ballermann verlassen würde, wäre er ja auch ein ganz schöner Honk.

Hier geht es zu den Vorstellungen von:

Biggi Bardot

Markus Wackel

Lorenz Büffel

Ikke Hüftgold

Markus Becker

Jöli

Mia Julia

Isi Glück

Melanie Müller