Wenn Antonio Hurtado hört, Ayahuasca tauge nur dafür, „Engel und intensive Farben zu sehen", regt ihn das sichtlich auf. „Es geht darum, dass du als menschliches Wesen einen Veränderungsprozess durchläufst", sagt der 40-Jährige. „Es geht um einen Quantensprung." Hurtado sitzt in einem Café in Son Ferriol bei Palma. Er organisiert seit fünf Jahren mit vier anderen Kollegen mehrtägige sogenannte retreats auf einer Finca zwischen Son Ferriol und Sa Casa Blanca.

15 bis 20 Frauen und Männer nehmen an den etwa im Monatsrhythmus dreisprachig (Spanisch, Englisch, Deutsch) stattfindenden Sitzungen teil, bei denen das auch Yagé genannte rotbräunliche Gebräu gereicht wird. Völker im Amazonas-Urwald bereiten es seit Urzeiten aus Lianen namens Banisteriopsis caapi und Blättern des Kaffeestrauchgewächses Psychotria viridis zu. Sie nutzen es als Medizin, aber auch als Sinneserweiterung, um Ahnen und Geister zu treffen.

Ayahuasca enthält das Halluzinogen Dimethyltryptamin, kurz DMT. Der Abbau dieses Stoffes im Körper wird durch Harman-Alkaloide verlangsamt, was veränderte Bewusstseinszustände hervorruft. Die Atemfrequenz und der Blutdruck verringern sich, dafür erhöhen sich die Hör-, Seh und Riechempfindlichkeit, was auch für die intellektuellen und kreativen Fähigkeiten gilt.

Ayahuasca ist im Kommen. Ob der Tierarzt aus Bielefeld, der Hipster aus Berlin oder die Immobilienmaklerin aus Andratx: Viele wollen es einmal ausprobieren, etliche finden Geschmack daran. „Die Nachfrage ist groß", sagt Antonio Hurtado. Im Zuge des Booms sind im Amazonas­gebiet in Kolumbien, Ecuador, Peru und Brasilien in den vergangenen Jahren regelrechte Zentren aus dem Boden schossen, wo sich zivilisationsmüde Menschen aus der ersten Welt von Schamanen (taitas) in Trancezustände versetzen lassen.

Aus 120 Litern wird ein Liter

Auf der Ayahuasca-Finca auf Mallorca geht es bescheidener zu. „Wir auf der Insel mixen das Yagé nicht hier, sondern erhalten es fertig aus Kolumbien", sagt Antonio Hurtado, der die Zubereitungsweise und das nötige Zusatzwissen in dem südamerikanischen Land bei Schamanen erlernt haben will. Der Herstellungsprozess von Ayahuasca (Quetschua für „Liane der Geister") dauert 24 Stunden. Zunächst kommen die Lianen und die Blätter mit 120 Litern Wasser in einen großen Topf, der erhitzt wird. Am Ende bleibt ein Liter einer bittersüß schmeckenden honigartigen Masse.

„Ein halbes Schnapsglas dieses Suds genügt, um die Wirkung zu entfalten", sagt der Aya­huasca-Mann von Mallorca. Wobei es von den Ernährungsgewohnheiten, dem psychischen Zustand und der Größe jedes einzelnen Kunden abhängt, ob die zur Einnahme bestimmte Menge etwas geringer oder etwas größer ausfällt. „Deswegen unterhalten wir uns, bevor es losgeht, vor jeder Sitzung eingehend mit jedem Teilnehmer." Es reiche, dass jemand histaminhal­tiges Nasenspray nehme, in psychiatrischer Behandlung sei oder gewesen sei oder Antidepressiva konsumiere, um ihm eindringlich davon abzuraten, Ayahuasca zu trinken.

Antonio Hurtados Kunden ernähren sich auf dessen Finca mit gedämpftem Gemüse und braunem Reis - also sehr leicht - damit das Gebräu seine volle Wirkung entfalten kann. Einige Stunden vor den Zeremonien nehmen die Gäste nur noch Wasser und Tee ein. Ihre Betten befinden sich in einem Gemeinschaftsraum. Bei dem retreat von Antonio Hurtado ist das alles inklusive. Die gesamte Prozedur samt drei Ayahuasca-Zeremonien und einer sogenannten Feuer-Zeremonie nebst Konsum spezieller Tabaksorten als Zuckerl obendrauf schlägt mit 375 Euro zu Buche. Wer nur zwei Tage mitmachen will, zahlt 275 Euro, ein Tag kostet 170 Euro.

Im Kosmos oder am Boden

Eine Ayahuasca-Einnahmezeremonie wird in der Regel an einem offenen Feuer abgehalten. Die Sitzungen leiten Antonio Hurtado und seine Frau Mariela Salazar. Zunächst wird einem übel und man muss sich übergeben. „Man kotzt und kotzt und kotzt", sagt ein ­regelmäßiger deutscher Nutzer. Positiv ausgedrückt ist das eine gründliche Entgiftung des Körpers. „Danach ist der Kopf entweder voll mit verwirrenden und ausdrucksstarken Bilder oder es passiert nichts bis wenig", so der Erfahrungs­bericht. Erzeugt der Pflanzen-Sud aus dem Urwald seine Wirkung, „fühle sich das so an, als ob du 'Yellow Submarine' von den Beatles stoned anschaust". Dabei hänge es vom psychischen Grundbefinden eines jeden ab, „ob man in den Kosmos fliegt oder sich heulend auf dem Boden wälzt". Eine weitere Wirkung von Ayahuasca ist die, dass man sich nach der Einnahme auch dann entspannt und energiegeladen fühlt, wenn man entweder gar nicht oder nur kurz geschlafen hat.

Mallorcas Ayahuasca-Mann Antonio Hurtado zieht sich - ein bisschen Dschungel-Feeling muss sein - einen farbenfrohen poncho für die Zeremonie über. Der Insulaner schmiss vor zehn Jahren seinen Job als Telekommunikationstechniker, um sich zusammen mit seiner ­Ehefrau Wissen über die Heilkräfte der Pflanzen anzueignen - zunächst über den San-Pedro-Kaktus, dann über die für den Ayahuas­ca-Sud nötigen Gewächse. Außerdem beschäftigt er sich mit Yoga und studiert im Fernstudium Psychologie und Pharmakologie. Auf dass ihm beim Umgang mit seinen ja schließlich eigens aus Deutschland und Großbritannien einfliegenden Kunden bloß keine Fehler unterlaufen.

„Da man alles intensiver hört und sieht und damit sein Leben aus einer anderen Perspektive betrachtet, fühlt man sich in der Regel nach der Einnahme besser", sagt Antonio Hurtado. Und - davon ist er überzeugt - erst recht, wenn man sich nicht auf einen Tag und eine Sitzung beschränkt, sondern Ayahuasca mehrere Tage einnimmt.

Es kann aber auch schlecht ausgehen: „Wenn sich jemand während einer Zeremonie verliert, begleiten wir ihn in einen Raum unserer Finca und beruhigen ihn", sagt Hurtado. „Aber so etwas kommt selten vor." Dennoch: Einige wenige Nutzer kommen von einer „Reise" nicht zurück, die in seltenen Fällen sogar tödlich sein kann.

Rechtliche Grauzone

Ob Ayahuasca legal oder illegal ist, ist in Spanien und anderen europäischen Ländern nicht eindeutig geregelt. „Wir haben uns damit auf Mallorca bislang nicht beschäftigt, weil keine Anzeige eingegangen ist", so eine Sprecherin der spanischen Natio­nalpolizei zur MZ. Süchtig macht Ayahuasca jedenfalls nicht. Wohl wegen der rechtlichen Unsicherheit will Antonio Hurtado nicht, dass die MZ-Reporter erfahren, wo seine Finca genau liegt. Seinen Kunden teilt er nur nach Begleichung einer Anzahlung konspirativ mit, wo sie sich einzufinden haben.

Antonio Hurtado schließt nicht aus, dass der Ayahuasca-Boom bald vorbei ist - so wie das auch bei anderen Zeitgeist-Phänomenen der Fall ist. Wenn es dann so weit ist, weiß er jedenfalls, was er tun will. „Auf der Insel gibt es genügend endemische Pflanzen, die zu einem Sud gekocht die gleichen Effekte auslösen wie die Urwald-Pflanzen."