Es ist eigentlich kein Wunder, dass Felip Munar Preisträger des Tolo-Güell-Preises für „Mallorquinität" ist. Der 57-Jährige, der aus Lloret de Vista­legre stammt, ist Experte für Traditionen und Brauchtum auf der Insel. Sein Wissen vermittelt er in Zeitungskolumnen ebenso wie an der Balearen-Universität UIB, wo er Dozent für Kulturwissenschaften ist. Außerdem moderiert der Mann, der eigentlich immer mit Hut zu sehen ist, auf dem Regionalsender IB3 die Sendung „Uep! Com Anam?". Darin werden Bauern zu ihrer Arbeit und ihren Bräuchen befragt. Oder, wie die MZ vor zwei Jahren schrieb: „Immer wenn man IB3 einschaltet, fährt ein Traktor durchs Bild." Nebenbei ist Felip Munar auch ein passionierter Kämpfer für die mallorquinische Feige, über die er auch ein Buch verfasst hat.

Herr Munar, bevor wir zur Sache kommen: Warum tragen Sie immer einen Hut?

Wie in vielen europäischen Ländern auch trugen die Männer auf Mallorca früher immer einen Hut. Es gab den einfachen Strohhut für die Arbeit und den etwas besseren für die Feiertage. Letzteren kaufte man häufig in Palma. Es war sowohl Schutz vor der Sonne als auch ein elegantes Kleidungsstück. Ich habe früh meine Haare verloren. Zudem bin ich für die Sendung „Uep! Com anam?" häufig auf dem Land unterwegs und brauche ihn deswegen. Außerdem schauen die Leute einen anders an, wenn man einen Hut trägt. Probieren Sie es mal aus!

Worauf achten Sie beim Hutkauf?

Meistens bekomme ich meine Hüte von meiner Frau geschenkt. Sie sucht sie aus.

Weihnachten und Silvester sind gerade vorbei, jetzt kommen Dreikönige, Sant Antoni und Sant Sebastià. Auf Mallorca kommt man dieser Tage aus dem Feiern nicht mehr heraus.

Dass wir zur Zeit der Sonnenwenden feiern, stammt schon aus vorchristlicher Zeit. Die Natur spricht zu uns. Die wichtigen Arbeiten auf dem Land, die Saat sowie die Oliven- und die Weinernte sind beendet, der Boden ruht im Winter. Nun hat man etwas mehr Muße. Allerdings ist dieser Kontakt zur Natur in unserer schnelllebigen, urbanisierten Welt praktisch verschwunden.

Wie ist es auf dem Land? Hat sich diese Verbindung zur Natur erhalten?

Kaum noch. Auch wenn es da ein Umdenken gibt. Hätte ein Kind vor 20 Jahren gesagt, er möchte Bauer werden, hätte es eine Ohrfeige bekommen. Sagt es das heute, freut sich der Vater, und der Großvater erst recht. Wahrscheinlich wird dieses Kind kein Bauer, aber es liebt den Grund und Boden, und das ist wieder etwas wert.

Sie moderieren mit „Uep! Com anam?" eine rein landwirtschaftliche Sendung. Wie kann so etwas heutzutage so erfolgreich sein?

Unglaublich, ja. In Katalonien hat man Ähnliches probiert und ist gescheitert. Wir hingegen drehen gerade die achte Staffel. Ich glaube, es ist diese Natürlichkeit, mit der wir an die Sache he­rangehen. Wir begegnen den Bauern mit Respekt. Und es gibt kaum eine Familie auf Mallorca, die nicht einen Opa oder Onkel hat, der noch vor einigen Jahren als Landwirt tätig war. Und die sich, wenn sie so eine Sendung sieht, fragt, wie man all dieses Wissen und diese Tradition bloß aufgeben konnte.

Wie konnte es denn so weit kommen?

Ich glaube, vielen wird erst jetzt klar, was für ein Schaden auf der Insel angerichtet wurde. Fincas, die vor 25 Jahren noch bewirtschaftet wurden, stehen verlassen in der Landschaft. Wo früher ein Häuschen stand, ist jetzt ein luxuriöses Landhaus, das teuer an Feriengäste vermietet wird. Glauben Sie nicht, dass der Mallorquiner gerne sein Land verkauft hat. Häufig ist dieser Schritt mit viel Schmerz verbunden. Oder zumindest mit Reue.

Könnte so eine Sendung auch auf Deutsch oder Englisch funktionieren? Immerhin gibt es einige Ausländer hier, die sich für diese Traditionen interessieren würden.

Ich bin da skeptisch. Es ist nicht dasselbe, ob ich „Je t'aime", „Te amo" oder „T'estim" sage. Man sagt, es sei dasselbe, aber das stimmt nicht. Was will ich damit sagen? Es besteht die Gefahr, dass in der Übersetzung die Essenz verloren geht. Ich glaube, egal wo man lebt, ist die Sprache der Schlüssel zur Integration.

Wie wirkt sich die Einwanderung auf die mallorquinischen Traditionen aus?

Fast alle bekannten Traditionen auf Mallorca stammen von Einwanderern. Die ensaïmada? Ist jüdischen Ursprungs. Die Paprikawurst sobrassada? Nicht mal der Name ist katalanisch, sondern italienisch. Der Volkstanz ball de bot stammt von Andalusiern, die während Napoleons Feldzug auf der Iberischen Halbinsel Anfang des 19. Jahrhunderts herflüchteten. Der Unterschied heute ist, dass es so viele und so unterschiedliche Einwanderer sind. Ein Beispiel: In den Schulen der Balearen gibt es Kinder mit 185 verschiedenen Muttersprachen.

Was ist dann überhaupt noch „echt" mallorquinisch?

Der Sibyllengesang etwa ist schon im 11. Jahrhundert dokumentiert. Das Besondere an ihm: Er hat seither auch seinen zeitlichen Rahmen erhalten: Er wird nur zur Weihnachten gesungen. Auch die cossiers sind ein Beispiel für eine Tradition, die uns gehört: ein Fruchtbarkeitstanz, der unter anderem in Alaró getanzt wird. Bis vor Kurzem durften da nur Männer tanzen, die auch die weiblichen Figuren darstellten. Frauen war das Tanzen in der Öffentlichkeit lange untersagt. Und das, obwohl die Ba­learen von jeher ein Matriar­chat waren.

Das müssen Sie genauer erklären.

In der Öffentlichkeit, auf der Straße war den Frauen vieles verboten. Aber zu Hause waren sie der Boss. Sie haben etwa das Geld verwaltet. Die Ehefrau hatte als Einzige die Kompetenz, eine barrina, einen mündlichen Vertrag, aufzulösen, den ihr Mann abgeschlossen hatte. Und noch etwas: Auf

Mallorca galt schon immer die Gütertrennung. Was einer Frau gehörte, blieb ihres, auch wenn sie heiratete.

Der Fotograf wirft eine Frage ein:

Und wer war im Bett der Boss?

Es gibt ein altes mallorquinisches Lied, das sagt: Marit, no estigueu gelós/ d'una fruita que no es gasta/ no és res si un altre la tasta/ mentre n'hi hagui per vos (Ehemann, sei nicht eifersüchtig/ auf eine Frucht, die sich nicht verbraucht./ Es bedeutet nichts, wenn ein anderer sie probiert,/ während für dich noch etwas bleibt.) Das ist doch großartig, oder? Und ein Sprichwort lautet: Lo que neix al corral de la casa és de la casa. (Was im eigenen Hof geboren wird, gehört zum Haus). Ich habe Kinder gekannt, die eindeutig nicht von ihren Vätern waren. Und jeder wusste es. Aber da musste man einfach durch. Diese „Lass mal gut sein"-Mentalität der Mallorquiner hat uns viele Probleme gebracht, weil wir uns gegen Fehlentwicklungen wie etwa beim Massentourismus nicht gewehrt haben. Aber sie hat auch dazu geführt, dass man in gewissen Sachen entspannter war.

Zurück zu den Traditionen: Es wird häufig bemängelt, dass heute zwar viele Menschen an den Festen auf Mallorca teilnehmen, aber dass der Sinn verloren gegangen ist. Teilen Sie diese Kritik?

Es ist ja nicht nur so, dass Feste ihren Sinn verlieren. Es werden komplett sinnfreie Feste gefeiert. Schauen Sie sich den „Much" in Sineu an, wo jedes Jahr 12.000 junge Leute in Rosa gekleidet eine Nicht-Tradition zelebrieren. Oder die clovelles in Petra, wo sich die Leute mit Mandelschalen bewerfen. Klar wurde vor hundert Jahren in Petra ein Fest mit Mandelschalen gefeiert. Aber damals hatten die Leute die Mandeln auch vorher geschält. Heute müssen die Schalen gekauft werden.

Wieso sind diese Feste für Sie sinnfrei?

Weil es nicht mehr darum geht, unsere Herkunft zu feiern. Es geht - oft als Parallelveranstaltung zu dem eigentlichen Fest - nur noch ums Feiern. Die traditionellen Feste haben vier Elemente: Religiosität, Gastronomie, Gemeinschaft und die Darbietung von Können und Geschicklichkeit. Das alles geht diesen neuen Festen ab.

Ist das nicht ein wenig so wie damals, als die Christen die heidnischen Feste umgedeutet haben?

Es fehlt die ideologische Komponente. Wir haben heute viel Freizeit, die wir füllen müssen. Das ist der Ansporn für diese Feste. Hätte vor 25 Jahren jemand gesagt, dass die größte Party in Binissalem eines Tages darin bestehen würde, sich gegenseitig Trauben an den Kopf zu werfen, hätte man ihn für verrückt erklärt. Jetzt sponsert sogar das Rathaus das Fest.

Ein anderes Element, das häufig kritisiert wird, ist der Alkohol­konsum bei den Festen. Was das nicht schon immer so?

Nicht in der Heftigkeit wie heutzutage. Klar hat man früher auch getrunken, als kleiner Ausgleich zu der Härte des Tagewerks. Aber jetzt hat man das Gefühl, dass es ein Zwang ist, zu trinken. Nach dem Motto: ohne Alkohol kein Fest. Das ist selbstzerstörerisch und kann auf Dauer nicht gut gehen.

Besser wäre es, Feigen zu essen.

Ach, die Feigen sind meine Leidenschaft. Und vollkommen unterschätzt, sowohl in kulinarischer Hinsicht als auch was ihre Nährstoffe angeht. Meine Oma ging täglich mit einem Säckchen Feigen aufs Feld. Das hat gereicht, um sie den ganzen Tag satt zu machen. Mittlerweile setzen Sportler auf Feigen. Und ich sage immer: Hätten die Franzosen unsere Feigen gehabt, kämen sie in ganz Europa auf den Tisch. Sie haben Feigen, aber nicht so gute wie die mallorquinischen. Und wir verpassen eine wichtige Einnahmequelle, wenn wir uns nicht um die Feigen kümmern.

Inwiefern?

Ich bin dafür, dass man im Inselzentrum eine Art offene Manufaktur einrichtet, in der sich alles um die Feigen dreht. Da wird dann gezeigt, wie Feigenbonbons oder Feigenbrot gemacht wird. Mit einem Restaurant daneben, in dem es nur Gerichte rund um die Feige gibt. Glauben Sie, die Touristen würden da nicht ihre Kiste Bonbons mitnehmen, wenn Sie das sehen? Und man könnte die Bauern anständig bezahlen, da bräuchte es keine Subventionen. Das wäre doch mal Qualitätstourismus. Ernten kann man von Juni bis Dezember. Ich habe das mal dem Inselrat vorgeschlagen, aber die haben gesagt, dass das eine private Initiative machen muss. In Llucmajor bei Son Mut Nou wird es nun in gewisser Weise gemacht.

Ihr Heimatdorf Lloret de Vistalegre ist in dieser Hinsicht auch ein Vorreiter.

Ich war von 1991 bis 1995 Stadtrat in Lloret. Ich habe es etwa geschafft, dass „Fet a Sóller" seine Feigen in der Gemeinde kauft. Das hat für einen Boom gesorgt, weil sie anständig bezahlt wurden. Mittlerweile wird immer am ersten Septemberwochenende die „Festa d'es Sequer" gefeiert, bei der sich alles um die Feige dreht. Vergangenes Jahr wurde sogar Feigen-Sushi angeboten. Etwas, was ich mir nie vorgestellt hätte. Es wurde alles aufgegessen. Oder probieren sie mal Feigensirup. Der macht einfach glücklich.