Es gibt wenige Leute in Cala Ratjada im Nordosten von Mallorca, die das Video nicht gesehen haben, das in den sozialen Netzwerken die Runde machte: Meterhohe Flammen, die aus den Fenstern einer Wohnung züngeln, schwarzer Rauch, der auf die Straße weht, ein großes Aufgebot an Feuerwehr und Sicherheitsleuten. Auch Gisel Zalazar hat es auf ihrer Facebook-Seite geteilt, doch sie ist eine der wenigen, die es nicht angeschaut hat. „Ich kann das nicht sehen", sagt sie. Denn die Flammen zerstörten ihren Hausstand, ihre Kleidung,

ihr Leben.

Sie war auf der Arbeit im Supermarkt, an jenem Sonntag (4.2.), als ihr elfjähriger Sohn Santiago sie anrief, weinend und verzweifelt. „Mama, es brennt", sagte er. „Ich bin sofort hingestürmt", erzählt Zalazar. Verschreckt und mit Ruß bedeckt fand sie ihren Sohn und Hündin Abby vor dem Mehrfamilienhaus, in dem die drei zur Miete wohnen. „Von außen sah man zu dem Zeitpunkt fast nichts, also bin ich hineingestürmt. Ein Nachbar trat die Tür ein. Ich wollte zumindest die wichtigsten Dokumente retten." Zalazar ist Agentinierin. Erst vor Kurzem hatte sie nach großem bürokratischem Aufwand die Aufenthaltsgenehmigung erhalten. „Ich brauche diese Dokumente", sagt sie. Doch schon nach wenigen Metern konnte sie nicht mehr atmen, begann zu husten. „Mir wurde klar, dass nichts mehr zu retten ist und dass ich mich in Sicherheit bringen muss."

Auch Tage nach dem Brand kann sie noch immer nicht fassen, was passiert ist. „Ich habe alles verloren", so die 30-Jährige und lächelt tapfer. „Aber ich habe mich im Dorf noch nie so aufgenommen gefühlt wie jetzt." Niemals hätte sie damit gerechnet, dass ihr eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegenkommen würde, wie es in diesen Tagen der Fall ist. Bekannte, aber auch Menschen, die sie noch nie gesehen hat, kommen täglich zu ihrer Arbeitsstelle und bringen ihr ­Dinge vorbei: ­Säckeweise ­Kleidung, Haushaltsutensilien, Spielzeug für ihren Sohn, Möbel. „Es ist unfassbar. Ich bin so dankbar. Schon jetzt habe ich mehr Kleidung, als ich lagern kann", so Zalazar.

Im Schockzustand und mit angesengten Haaren wurden sie und ihr Sohn am Tag des Brands zur Untersuchung ins Krankenhaus nach Manacor gebracht. Als sie wenige Stunden später entlassen wurde, stand sie vor einem Problem: Wo sollte sie hin? „Mein Sohn kann vorübergehend bei seinem Vater unterkommen, aber wir sind seit Jahren getrennt und für mich ist dort kein Platz." Und Zalazars gesamte Familie war in Argentinien geblieben, als sie sich im Jahr 2009 dazu entschied, nach Mallorca auszuwandern. Doch ihre Vermieterin sprang ein, organisierte ein Hotelzimmer. „Eine Freundin gab mir erste Kleidungsstücke, ich musste ja am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen."

Die sozialen Netzwerke taten ihr Übriges. Die deutsche Residentin Patrizia Grossmann machte den Fall auch in der Facebook-Gruppe „Cala Ratjada Insider" publik. Bereits Stunden später häuften sich die Hilfsangebote der Deutschen. „Ich habe so viel Kleidung bekommen, dass ich einen Ort brauchte, um sie aufzubewahren", so Zalazar.

Sie fragte beim Rathaus nach, doch da konnte man ihr nicht helfen. Aber die Kirchengemeinde stellte ihr einen Raum zur Verfügung. Seitdem läuft sie in ihrer knapp bemessenen Freizeit von A nach B, sortiert Sachen aus, bringt dreckige Kleidung zum Waschen zu Bekannten, versucht, den Überblick zu behalten.

„Meine Mutter sagte am Telefon zu mir: 'Gisel, bitte lass dir helfen'", berichtet sie. Leicht fällt ihr das nicht. „Ich habe immer für mich selbst gesorgt, hatte zahlreiche Jobs und in letzter Zeit endlich das Gefühl, mir etwas aufgebaut zu haben. Aber jetzt geht es ohne Hilfe nicht."

Bei dem Brand verlor sie auch Bargeld, ihre Aufenthaltsdokumente sind komplett zerstört, die Neuausstellung ist teuer. „Auch wenn es doof klingt, jetzt brauche ich eigentlich nur Geld", sagt sie. Auch hier griffen bereits viele Gruppen und Privatleute unter die Arme, etwa 1.000 Euro sind mittlerweile zusammengekommen. „In Argentinien teilen die Menschen ihr letztes Stück Brot mit dir", so Gisel Zalazar nachdenklich. Auf Mallorca lebten die meisten eher für sich - dachte sie. „Aber wenn man wirklich Hilfe braucht, dann bekommt man sie hier, das weiß ich jetzt."

Die Schule hat zugesichert, dass Sohn Santiago die teuren Schulbücher gestellt bekommt. Klassenkameraden wollen einen Stand auf dem Trödelmarkt organisieren, um die Kleidungsstücke zu verkaufen, die Mutter und Sohn nicht passen, auch ein Secondhandladen von Bekannten aus Ibiza will unterstützen.

Drei Mal war Zalazar seit dem Brand in ihrer Mietwohnung. „Es ist ein komisches Gefühl. Ich verstehe es immer noch nicht." Bis heute weiß sie nicht, was das Feuer ausgelöst hat. Vielleicht eine Kerze, vielleicht auch ein defekter Gasofen. Das werden die Nachforschungen der Versicherung ergeben.

Bald werden Mutter und Sohn täglich in der Nähe des Unfallorts sein: Ihre Vermieterin hat zugesichert, dass die beiden in ein anderes Appartement im Haus ziehen können. „Bei allem Schrecklichen, was passiert ist, habe ich so viel Gutes erlebt. Und das macht Mut."

Wer spenden möchte:

Gisel Zalazar, IBAN: ES05 0487 2062 80 9000054956