Sein Nachname lässt auf eine Adelsgeschichte schließen. Aber Tomàs Vibot winkt ab: „Vivot mit 'v' wäre ein Adelsname", sagt er. „Mit 'b' ist es ein eher gewöhnlicher Name." Mit den großen Landgütern der Insel aufgewachsen ist der freundliche 44-Jährige dennoch. Vier Bände hat er bereits über diese „possessions" verfasst, daneben viele weitere Bücher, die sich mit einzelnen Landgütern sowie mit anderen Themen der Insel­geschichte befassen. Sein zweiter Nachname lautet übrigens Railakari, seine Mutter ist Finnin. „Ich bin ein Kind des Tourismusbooms", sagt er. Zur Heimat seiner Mutter habe er aber wenig Verbindungen.

Herr Vibot, Ihre Website führt 61 historische Bücher auf, die Sie seit 1999 geschrieben haben.

Oh, das sind nicht alle. Die Bücher, die ich dieses Jahr veröffentlicht habe, stehen da noch nicht drin. Außerdem habe ich noch einige Bücher für private Auftraggeber geschrieben. Die sind auch nicht in der Liste. Hinzu kommen bestimmt über 1.000 Artikel für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften.

Wie machen Sie das?

Ich arbeite sehr hart. Aber es macht mir Spaß, deshalb ist das nicht so schwer. Und ich kann schnell schreiben.

Wie hat das angefangen? Sie sind kein studierter Historiker.

Das stimmt. Ich bin Philologe. Während meines Studiums begann ich, mich mit Toponomastik, also Ortsnamenskunde zu beschäftigen. Und hier besonders mit der Mikrotoponomastik. Das heißt, dass man an einem bestimmten Ort, etwa einer Finca, alles notiert: die Namen der Tiere, der Pflanzen und der Gerätschaften und Einrichtungen. Dafür braucht es viele geschichtliche und geografische Kenntnisse. Nach dem Studium wollte ich nicht Lehrer werden. Also schrieb ich ein Toponomastik-Buch über die possessió Planícia in Banyalbufar. Ich bin direkt daneben aufgewachsen. Von da an habe ich weitergemacht. Auch weil die Nachfrage da war.

Was ist an der Toponomastik so interessant?

Sie verrät uns unglaublich viel über die Finca oder possessió. Nicht nur in philologischer Hinsicht, weil Begriffe etwa aus der Römerzeit oder von den Arabern heute noch unverändert verwendet werden. Sondern auch, weil sie uns die Finca erklären können. Wenn etwa ein Brunnen „Pou de la mort" (Brunnen des Todes) heißt: Warum ist das so? Ist jemand hi­neingefallen? Gab es dort einen Mord? Es gibt viel zu erforschen.

Was ist überhaupt eine possessió? Kann man das definieren?

Die Millionenfrage! Eine possessió ist ein großes Anwesen, etwa ab 35 Hektar, das einer einzigen Person gehörte und auf der viele Menschen, teilweise als Pächter, beschäftigt waren. Diese Form der Bewirtschaftung stammt aus dem Mittelalter und existierte bis vor 50 Jahren. Die Gewinne gehen in die Taschen des Besitzers und werden zur Abdeckung der Kosten für Instandhaltung und Personal eingesetzt. Oberster Verwalter auf der Finca ist der amo. Der Besitzer, der senyor, rührt selbst keinen Finger und wohnt auch nicht auf dem Grundstück, sondern in Palma oder im Dorf. Heute gibt es die possessions als soziales Konstrukt nicht mehr. Es sind nur noch die Anwesen da. Aber ich habe sie in ihrer ursprünglichen Form noch erlebt.

Inwiefern?

Ich sagte ja eben, dass ich direkt neben der possessió Planícia in Banyalbufar aufgewachsen bin, die übrigens heute öffentlich ist. Ich war ein Einzelkind, also bin ich viel auf unserem Grundstück herumgelaufen und habe Forscher gespielt. Aber wenn die Bediensteten von Planícia vorbeikamen, bin ich immer hingelaufen, habe mit den Hunden gespielt und sie bei der Arbeit beobachtet. Sie haben mir auch Geschichten und Legenden erzählt. Planícia war mein Camelot. Es hat mein Inte­resse für possessions geprägt.

In einem Interview mit der MZ vor einigen Jahren erzählten Sie, dass Ihre Oma auf einer possessió angestellt war.

Meine Großmutter wurde auf Planícia immer für die Olivenernte eingestellt. Sie hat nicht das ganze Jahr dort gearbeitet. Viel interessanter ist aber die Geschichte meines Urgroßvaters: Er war richtig auf possessions angestellt, konkret auf Son Bunyola, und zwar als vinyòvol. Er war der Beauftragte für die Weinernte und in dieser Position gleichauf mit dem amo. Er machte seinen Job so gut, dass er vom Erzherzog Ludwig Salvator abgeworben wurde, um die Rebsorte Malvasia in dessen Landgut s'Estaca zu pflanzen.

Wer waren die Besitzer der possessions?

Die meisten waren Nachfahren jener katalanischen Eroberer, die im 13. Jahrhundert als Belohnung für ihren Einsatz das Land geschenkt bekommen hatten. Durch strategische Hochzeiten wurden die Ländereien häufig vergrößert.

Woher stammen die Namen dieser Landgüter?

Es gibt da zwei Hauptlinien. König Jaume I. verteilte nach der Eroberung der Insel die Güter, die teilweise schon unter einem arabischen Namen existierten und diesen auch behielten. Diese Anwesen haben das Präfix Bini- oder Al-. Manche wurden zu Dörfern wie Binissalem. Die andere Namenslinie stammt von den neuen katalanischen Eigentümern. Ein Beispiel: Aus „La Possessió d'en Mayol" (das Landgut von Mayol) wurde „Això d'en Mayol" (Das von Mayol) und daraus verkürzt Son Mayol. Deshalb haben viele Landgüter das Wort Son im Namen. Und da gibt es noch einen wichtigen Punkt: Bei den Arabern hieß ein Landgut alquería. Warum nannten es die neuen

Herren possessió? Weil der Besitz betont werden sollte. Das Wort als Zeichen von Macht.

Und wer waren die amos? Doch nicht etwa Verwandte der senyors?

Wo denken Sie hin! Man hat doch nicht die Familie arbeiten lassen. Um als Adeliger akzeptiert zu werden, musste man nachweisen, noch nie gearbeitet zu haben. Die amos waren Menschen, die sehr pflichtbewusst waren und sowohl mit den Besitzern als auch mit den Arbeitern konnten. Das hat ihnen ordentlich Geld gebracht. Ein guter amo wurde auch gern von anderen possessions abgeworben. Und wenn er sich geschickt anstellte, hat er seinen Sohn so gut ausgebildet, dass dieser später die Verwaltung des Guts übernehmen konnte. Denn automatisch vererbt wurde der Job nicht, der Nachwuchs musste sich beweisen. Das hat sich dann mit der Industrialisierung bezahlt gemacht.

Inwiefern?

Als sich Ende des 19. Jahrhunderts das Wirtschaftsmodell änderte, kollabierten die Kräfteverhältnisse.

Das Land verlor seinen Wert, die Gesellschaft veränderte sich. Und viele amos kauften ihren adeligen Herren die possessions ab. Sie hatten Geld und auch die Kenntnisse, um die Anwesen am Laufen zu halten. Die Adeligen waren pleite und unfähig.

Das änderte sich durch die Ankunft des Massentourismus.

Für die Arbeiter war es von da an viel interessanter, in einem Hotel mit vertraglich geregelten Stunden und einem festen Lohn zu arbeiten als auf dem Land. Ab den 60er-Jahren verloren die possessions noch einmal an Bedeutung.

Also waren die amos am Ende doch die Dummen?

Nicht unbedingt. Heutzutage ist es natürlich eine Last, eine

possessió zu besitzen. Man sagt: Qui té terra, té guerra (Wer Land hat, hat Stress). Es sei denn, man ist Millionär. Die Unterhaltskosten sind quasi untragbar. Aber viele amos, die damals die Fincas kauften, haben sie parzelliert und gewinnbringend weiterverkauft.

Heutzutage verursachen die Landgüter nicht nur hohe Kosten, es gibt auch viele Restriktionen, um sie kommerziell zu nutzen.

Zum Glück gibt es diese Regeln. In den 70ern und 80ern wurde viel zerstört. Ich finde, wenn wir schon ein Paradies haben, sollten wir darauf achten, dass es nur solchen Leuten in die Hände fällt, die es auch zu schätzen wissen.

Aber was macht man mit den Familien, die eine possessió haben, sie aber nicht erhalten können?

Also, ich wäre sehr vorsichtig, sie an die öffentliche Verwaltung zu verkaufen. Da gibt es keine Garantien, dass das Grundstück besser erhalten wird, als wenn es eine Privatperson kauft - ganz egal, woher sie kommt. Wir müssen einfach darauf achten, dass Gesetze eingehalten werden. Auch wenn es sich um Privatbesitz handelt. Und mir scheint, dass es genug Leute gibt, die auf Mallorca leben wollen und auch das Geld für eine possessió haben. Und die eine Renovierung bezahlen würden, die das architektonische und landschaftliche Erbe respektiert.

Haben Sie denn das Gefühl, dass Ausländer, die eine possessió kaufen, Interesse an deren Geschichte haben?

Natürlich interessieren sich nicht alle im gleichen Maße dafür. Aber es gibt doch viele Käufer, die ihr Geld nicht nur wegen des Klimas, der Landschaft und der allgemeinen Großartigkeit Mallorcas investieren, sondern auch weil sie ein Stück Geschichte kaufen wollen. Gerade US-Amerikaner kriegen fast einen Herzkasper vor Begeisterung, wenn sie erfahren, dass ihre Finca schon im 11. Jahrhundert dokumentiert ist. Die können sich das gar nicht vorstellen.

Und die interessieren sich dann auch für die Toponomastik ihres Landguts?

Dass ich beauftragt werde, hat unterschiedliche Gründe. Häufig geht es um die korrekten Abmessungen. Hier auf Mallorca liegen die Grenzen des Anwesens oft im Ungefähren. Das Katasteramt sagt häufig etwas anderes als die Geschichtsschreibung, und die wiederum etwas anderes als die Tradition. Ich werde etwa gefragt: Tomàs, reicht meine Finca wirklich bis zum Meer? Dann setze ich mich ran und versuche, das zu ermitteln.

Wie gehen Sie da vor?

Als Allererstes muss ich dorthin. Ich kann nicht die Geschichte einer possessió aufschreiben, ohne dort gewesen zu sein. Wissen Sie, die Steine können viele Geschichten erzählen. Wenn ich etwa einen gotischen Torbogen sehe, dann weiß ich ungefähr, wo ich ansetzen muss. Eins führt zum anderen. Auch Restaurierungen lassen Rückschlüsse zu. Und dann geht es in die Archive. Das umfangreichste ist das Arxiu del Regne de Mallorca in Palma.

Wie viele dieser Anwesen gibt es überhaupt?

Ende des 18. Jahrhunderts gab es über 1.200, das war die Hochphase. Viele wurden seitdem parzelliert oder umgewandelt, etwa in Gewerbegebiete wie Son Castelló und Son Rossinyol in Palma. Ich schätze, dass es noch 700 bis 800 gibt, die diesen Namen verdienen. Ich habe über 400 davon besucht.

Sie werden da so einfach reingelassen?

Es gibt Landgüter, wo ich weiß, dass ich unabhängig von einem Buchprojekt nie im Leben reinkommen werde. Das muss man respektieren, es ist schließlich Privatbesitz. Aber grundsätzlich ist es auf Mallorca kein Problem. Wenn man den Leuten erklärt, was man vorhat und keine Videos für Youtube dreht, sind die meisten offen oder sogar sehr interessiert, ihre Türen zu öffnen. Ich habe zudem den Vorteil, dass mich ja nun auch einige Leute kennen.

Sie schreiben auch Biografien von Inselpersönlichkeiten, etwa Juníper Serra. Welches Thema würden Sie gern mal sonst noch behandeln?

Da gibt es viel. Ich veröffentliche demnächst ein Buch über die Geschichte der Paprikawurst sobrassada. Irgendwann ist mir bei meinen ganzen possessions-Recherchen aufgefallen, dass ich sehr viele Informationen zu dem Thema hatte. Und in der Geschichte des Essens lässt sich auch viel über die Geschichte einer Kultur erzählen. Alles, was Mallorca angeht, interessiert mich.

Nächste Woche: Maria Antònia Oliver, unsere Frau für Fragen rund um den Bürgerkrieg.