„Papa", ruft Alejandra und lacht glucksend, als ein Mann vorbeiläuft. „So nennt sie momentan alle Männer", erklärt ihre Mutter, nimmt die Zweijährige auf den Arm und gibt ihr einen Schmatzer auf das blonde Haar. Alejandra quiekt erfreut und wendet sich dann wieder ihrem Spielzeug zu. Der fremde Mann ist ebenso wenig ihr Vater wie einer der anderen Männer. Alejandra wurde auf Mallorca im Reagenzglas gezeugt, in vitro. Der Samen ihres Erzeugers kommt aus einer Samenbank, weder Mutter Ulrike Löffler noch Alejandra werden ihn je zu Gesicht bekommen.

Ulrike Löffler ist eine positiv gestimmte Frau. Sie wirkt organisiert, lacht gern und hat in Palmas Stadtteil El Secar de la Real auch Anschluss zu Mallorquinern gefunden. Seit 1999 wohnt die Österreicherin auf Mallorca, arbeitet freiberuflich als Übersetzerin. Lange Zeit lebte sie in einer festen Partnerschaft. „Ich wollte Kinder, er nicht", erklärt sie knapp. Und so entschied sie sich mit Anfang 40 gegen den Mann und für das Kind. „Ich hätte es mir ewig vorgeworfen, wenn ich es nicht wenigstens versucht hätte", ist sie sich sicher.

„Mama, ich will Wasser", blubbert Alejandra. Ulrike Löffler schenkt ihr ein Glas ein, hilft beim Trinken und blickt ihre Tochter liebevoll an. Es war die private IVI-Reproduktions-Klinik in Palma, die Löffler ihren Kinderwunsch erfüllte. In einem Reagenzglas wurden ihre Eizelle und der Samen des anonymen Spenders zusammengeführt, dann die befruchtete Zelle in Löfflers Gebärmutter eingesetzt. Von da an erlebte Löffler eine normale Schwangerschaft und eine normale Geburt. Heute hat sie ein ganz normales, gesundes Töchterchen.

Auf Unterstützung durch ihre Kernfamilie kann Löffler im Alltag nicht zählen - das Los der Auswanderer. Nach Österreich zurückzu­kehren kam für sie trotzdem nie infrage. „Ich lebe seit so vielen Jahren auf Mallorca, mein ganzes Leben spielt hier."

Herausforderung Alltag

Einen Wecker braucht die 44-Jährige nicht; Alejandra sorgt regelmäßig dafür, dass sie in aller Herrgottsfrühe aufwacht. Dann beginnt der lange Tag der kleinen Familie. Frühstücken, fertig machen, Sachen packen. Zwischen 9 und 10 Uhr bringt Löffler Alejandra in eine Kita, dann fährt sie schnell in die Kanzlei, mit der sie zusammenarbeitet und versucht, so effizient wie möglich zu arbeiten, bis sie Alejandra um 17 Uhr von der Kita abholt. Was sie nicht schafft, wird nachts erledigt.

Denn Geld braucht es, wenn man Alleinverdiener ist, und obendrein als Einziger die Betreuung des Kindes übernimmt. „Nachmittags zu arbeiten, wenn sie dabei ist, funktioniert nicht", sagt Löffler und zwinkert Alejandra zu. Stattdessen wird dann gemeinsam eingekauft, der Haushalt gemacht und gekocht. „Jeder weiß, dass Kinder viel Arbeit bedeuten. Aber welche Herausforderung es tatsächlich ist, kann man sich vorher nicht vorstellen", sagt Löffler. Es klingt nicht verbittert, sondern sachlich.

So wie Löffler geht es vielen Menschen. Etwa 9.000 Haushalte auf den Balearen gelten als ­monoparental, als alleinerziehend also, spanienweit sind es fast zwei Millionen. Sprich: Haushalte, in denen ein Elternteil allein das Sorgerecht hat und die finanzielle und rechtliche Verantwortung allein trägt - egal, ob durch Adoption, Trennung oder eben künstliche Befruchtung. „Das sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung", sagt Nika Zurano. „Und wenn man die Fälle dazu zählt, in denen offiziell zwei Elternteile mitmischen, sich faktisch aber nur einer kümmert, dann sind es sogar 30 Prozent."

Auch Zurano ist 44 Jahre alt, auch ihr Sohn Hugo (3) wurde in vitro gezeugt. Genau wie Ulrike Löffler fand sie keinen Partner, der ihren Kinderwunsch teilte. „Ich habe das Gefühl, die Männer fürchten sich immer mehr davor. Aber nur, weil ich keinen Mann habe, muss ich heute nicht auch zwangsläufig auf ein Kind verzichten", sagt sie.

Per Whatsapp vernetzt

Seit einem Jahr ist Nika Zurano die Vorsitzende der neu gegründeten Vereinigung Alleinerziehender auf den Balearen, kurz: FAMOIB. „Alles begann mit einer Whatsapp-Gruppe, in der sich Mütter zusammengefunden haben, die in einer ähnlichen Situation sind", so Zurano. Zunächst ging es darum, sich gegenseitig zu unterstützen und Erfahrungen darüber auszutauschen, welche staatlichen Hilfsmittel es für Alleinerziehende gibt. Schnell habe sich herausgestellt: Es gibt keine. „Nicht einmal eine Definition von mono­parental ist in den balearischen Gesetzen verankert", sagt Zurano.

Bei einer Zusammenkunft vor einem Jahr beschlossen die Alleinerziehenden, genau das zu ändern und einen Verein zu gründen. Dass Zurano zur Vorsitzenden ernannt wurde, geschah eher spontan. Auch Ulrike Löffler stieß dazu, bot an, mit ihren Fremdsprachenkenntnissen weiterzuhelfen, herauszufinden, wie es um Hilfen für Alleinerziehende in anderen Ländern aussieht.

„Natürlich denkt man sich erst ­einmal: Das ist alles viel zu viel, ich habe ja ohnehin schon zu wenig Zeit", sagt Löffler. „Aber wenn wir nicht dafür kämpfen, dass sich etwas ändert, dann tut es keiner für uns."76 Frauen, drei Männer

76 Frauen und drei Männer gehören FAMOIB an. Mittlerweile haben sie ihre Ziele klar formuliert. Zurano zählt auf: „Wir wollen, dass unser Familienmodell endlich in den Gesetzen definiert wird, wir wollen einen offiziellen Ausweis, mit dem wir uns als alleinerziehend identifizieren können und der uns wiederum Vergünstigungen und Rabatte bringt, wir wollen Steuer­erleichterungen, denn gerade da sind wir im Nachteil, und wir wollen einen Zusatzpunkt bei der Vergabe von Vorschul- und Schulplätzen, der hilft, eine Einrichtung in der Nähe des Wohnorts zu finden."

Sie und ihre Mitstreiter nahmen Kontakt zu ähnlichen Organisationen in anderen Regionen Spaniens auf. Vorreiter ist Katalonien, wo es bereits einen Ausweis für Alleinerziehende gibt, der beispielsweise Rabatte im öffentlichen Nahverkehr ermöglicht. „Langfristig wollen wir erreichen, dass es spanienweit ein Gesetz für den Schutz von Haushalten mit einem Elternteil gibt, so, wie er für Großfamilien bereits besteht", sagt Zurano.

Mit den Parteien im Balearen-Parlament hat FAMOIB bereits Kontakt aufgenommen. Außer der PP hätten alle dafür gestimmt, die monoparentales im regionalen Familiengesetz aufzunehmen, das noch dieses Jahr verabschiedet werden soll. „Es wäre nur eine logische Konsequenz", findet Nika Zurano. Ihr Sohn Hugo wurde im öffentlichen Krankenhaus Son Espases gezeugt, die Kosten übernahm damals zu großen Teilen die Seguridad Social. „Wenn das möglich ist, dann muss auch der Schutz dieses Familienmodells möglich sein, schließlich geht es letztlich um die Kinder."

Nicht immer finden die Mitglieder von FAMOIB in der Gesellschaft Rückhalt. „Einige sagen, dass wir uns ja selbst dazu entschieden haben, alleinerziehend zu sein, und verstehen nicht, warum wir jetzt kämpfen und uns engagieren", sagt Löffler. Dabei gehe es ihr nicht darum, sich zu beschweren, auch nicht um Bewunderung oder Hochachtung, sondern einfach nur darum, Hilfen zu bekommen, die ihrem frei gewählten, aber eben nicht immer ganz einfachen Familienmodell genauso zustehen wie schutzbedürftigen Milieus. „Erst recht in Zeiten demografischen Wandels, wo die Gesellschaft immer älter wird. Da muss die Familie doch die Säule sein, egal in welcher Form."

Ob sie sich Sorge darum macht, dass Alejandra ein Vater fehlen könnte? Und Angst davor, ihr zu erklären, dass sie keinen hat? „Auch solche Themen besprechen wir bei FAMOIB", sagt Ulrike Löffler. Erst am vergangenen Samstag (21.4.) hätte auch die IVI-Klinik eine Podiumsveranstaltung organisiert, auf der ein 15-jähriges Mädchen zu Wort kam, das wie die kleine Alejandra durch den Samen eines Spenders gezeugt wurde. „Sie erzählte, dass sie nie deswegen gehänselt wurde. Und auf die Frage, was sie bei dem Gedanken daran, keinen Vater zu haben, fühle, antwortete sie: 'Nichts.' Sie kennt es ja nicht anders."

Wieder kommt die kleine Alejandra mit ihrem Spielzeug an. Löffler setzt sie sich auf den Schoß, strahlt sie an. Dann spricht sie aus, was offensichtlich ist. „Ich habe die Entscheidung für ein Kind nie bereut. Nicht einen Moment lang."