Der schrille Ton einer Alarmanlage weist auf Gefahr hin, wichtige Ankündigungen am Bahnhof werden per Mikrofon durchgesagt, und wer im Aufzug feststeckt kann durch die eingebaute Sprechanlage mit der Außenwelt kommunizieren. Doch was, wenn dieser jemand nichts hört? Was, wenn er taub ist?

„Taubheit ist eine Behinderung, die kaum sichtbar ist. Und deshalb wird sie häufig einfach übersehen", sagt Elianne Scarafile. Man merkt der 37-Jährigen ihre italienischen Herkunft nicht an, wenn sie Spanisch spricht. „Aber dass ich Gebärdensprache lernen wollte, liegt wohl auch daran, dass ich Italienerin bin. Ich habe immer schon meine Hände benutzt, wenn ich geredet habe", sagt sie.

Vor sieben Jahren gründete sie die erste und bisher einzige Agentur für Gebärdensprachdolmetscher auf den Balearen: ILSBA steht in schwarz-grünen Lettern an den Fenstern der spartanisch eingerichteten Büroräume in Palma de Mallorca - Intérpretes de Lengua de Signos de Baleares. An der Wand hängt eine Tafel, die das Fingeralphabet beschreibt, ein paar Stühle stehen im Kreis im Raum verteilt. Gemeinsam mit drei Angestellten gibt Scarafile hier Unterricht. Für gehörlose Kinder und ihre Familien, für Lehrer, Polizisten oder andere Leute, die Gebärdensprache für ihren Beruf nützlich finden. Und auch für jene, die einfach so Interesse haben. „Das gibt es immer mehr. Aber da steckt immer eigene Motivation dahinter. Die Institutionen kümmern sich kaum darum", sagt Scarafile.

Die Kämpfe für Barrierefreiheit ficht sie in einer an ILSBA angegliederten, gemeinnützigen Vereinigung aus. Auf Mallorca liege einiges im Argen. „Rampen für Rollstuhlfahrer und Beschilderungen für Blinde sind immer mehr verbreitet. Aber dass Warnsignale auch per Lichtzeichen wirken müssen oder dass Läden induktive Höranlagen für Träger von Hörgeräten anbringen sollten, das sei bisher in keinem Gesetz verankert. Und auch auf Veranstaltungen werde oft vergessen, einen Gebärdensprachdolmetscher anzuheuern. „Oft heißt es dann: 'Wir wussten ja vorher gar nicht, ob ein Tauber kommt.' Aber man baut ja auch Rollstuhlrampen oder beauftragt Rettungssanitäter, ohne zu wissen, ob sie gebraucht werden."

Rund 1.300 Menschen auf Mallorca seien taub oder im Hören sehr stark eingeschränkt. „Das ist aber nur eine Schätzung, genaue Statistiken gibt es nicht." Und all diejenigen Menschen, die im Alter ihren Gehörsinn verlieren, oder diejenigen, die durch Unfälle zeitweise taub werden, würden ohnehin nicht mitgezählt. Eigentlich könne es jeden früher oder später treffen. „Auch deshalb sollte man Investitionen für die Integration von Gehörlosen nicht als Kostenfaktor betrachten, sondern als sinnvolle Investition."

Im Rathaus von Palma und in den meisten Behörden gebe es niemanden, der der Gebärdensprache mächtig ist. Die ILSBA-Mitarbeiter begleiten daher oft bei Amtsgängen oder Arztbesuchen und werden ab und zu von Spaniern auch für Stadtführungen gebucht. Immerhin sei bei den monatlichen Ratssitzungen in Palma und auch bei den wöchentlichen Sitzungen des Balearen-Parlaments stets ein Gebärdendolmetscher von ILSBA dabei. „Ja, man kann damit alles ausdrücken, auch verzwickte juristische Zusammenhänge", sagt Scarafile. Kompliziert sei das aber schon. „Die Gebärdensprachdolmetscher müssen dafür auch fachliches Hintergrundwissen haben, und es ist wirklich anstrengend."

Das Fingeralphabet diene nur als Brücke oder um Namen oder spezielle Ausdrücke zu buchstabieren. Ansonsten hat in der

Gebärdensprache jedes Wort ein anderes Zeichen - oder mehrere. „Das Wort antihistamínico zum Beispiel existiert nicht. Da nimmt man dann die Zeichen für 'Pille' und 'gegen' und 'Allergie'."

Dass Gebärdensprache unabhängig von der gesprochenen Sprache ist, sei ein Trugschluss. „Die spanische Gebärdensprache hat beispielsweise nichts mit der deutschen zu tun. Sie haben sich genau wie die gesprochenen

Sprachen ganz unabhängig voneinander entwickelt." Sogar regionale Eigenheiten wie ein Dialekt machten sich in der Gebärden­sprache bemerkbar. Scarafile streckt die linke Handfläche aus und beschreibt mit der rechten eine quetschende Bewegung darüber.

„Mallorquiner benutzen dieses Zeichen für Tomate, weil sie Tomaten über dem pa amb oli ausquetschen." In anderen Regionen Spaniens dagegen erinnert das Zeichen für Tomate eher an die Geste des Pflückens. Selbst Lautstärke, Sprachmelodie und Schnelligkeit könne man in der Gebärdensprache ausdrücken.

Damit sich Taube verschiedener Länder dennoch verständigen können, gibt es International Sign (IS), ein internationales Gebärdensprachsystem. „Das ist ein bisschen wie Esperanto, es vereint die Zeichen verschiedener Sprachen", so Scarafile. Oft passen sich taube Menschen im Alltag an die Hörenden an, versuchen, durch Lippenlesen und die Nachahmung von Lauten klarzukommen. „Aber das ist für sie nicht natürlich." Die Förderung und das Bewusstsein in der mallorquinischen Gesellschaft seien immer noch gering - auch in den Schulen. Oft würden Kinder mit Hörschwierigkeiten als dumm abgestempelt. „Das liegt auch daran, dass viele Informationen einfach an ihnen vorbeigehen, die andere ganz automatisch aufschnappen, hat aber nichts mit ihrer Intelligenz zu tun."

Umso größer sei die Begeisterung, wenn die Betroffenen erlernten, sich in der Gebärdensprache auszudrücken. Menschen mit angeborener Taubheit genauso wie jene, die im Laufe ihres Lebens den Gehörsinn verloren haben. Auch die neuen Technologien - etwa Textnachrichten und Video-Telefonate - hätten einiges vereinfacht. „Es ist toll, wenn man den Leuten diese Möglichkeit zur Kommunikation vermitteln kann",

sagt Scarafile.