Gerade einmal 4.000 Chinesen lebten im Jahr 1990 in Spanien, im vergangenen Jahr waren es allein auf Mallorca und den anderen Balearen-Inseln bereits knapp 6.000. Die meisten davon auf der Suche nach einem besseren Leben und fast ausnahmslos äußerst strebsam. 1.200 selbstständige Chinesen sind auf den Inseln gemeldet, die meisten arbeiten in der Gastronomie oder im Einzelhandel. Und die meisten von ihnen wollen auch nicht mehr weg, wenn sie einmal Wurzeln geschlagen haben. Das sagt Minwei Jiang, Inhaber der ersten chinesischen Immobilienagentur auf Mallorca, der Inmobiliaria HuaDing in Palmas Stadtteil Pere Garau. „80 bis 90 Prozent der Chinesen wollen bleiben."

Dass sie anpassungsfähig sind, stellen vor allem jene seiner Landsleute unter Beweis, die einheimische Bars und Restaurants übernehmen - und das bestehende Konzept weiterführen. Etwa die Bar El Parque im Viertel Nou Llevant. Linh, so stellt sich der 48-jährige Inhaber vor, kam vor 26 Jahren aus seiner Heimat zunächst ins bayerische Kempten, wo er in einem chinesischen Restaurant arbeitete. Drei Jahre später zog es ihn nach Mallorca. Dort übernahm er El Parque von der mallorquinischen Eigentümerin, behielt den Namen des Lokals bei - und fast die gesamte Speisekarte gleich mit. In der Tapas-Auslage bietet Linh täglich tumbet, frit mallorquí, ensaladilla rusa, croquetas oder albóndigas an. Dazwischen finden sich chinesische Gerichte, vor allem verschiedene Hühnchenvariationen mit Gemüse.

Über zu wenig Arbeit kann sich Linh nicht beklagen, seine Bar brummt seit über zehn Jahren. Ein Grund ist sicher, dass die mallorquinischen Tapas auch wirklich nach der Insel schmecken. „Das ist doch ganz einfach, ein tumbet zu machen", ruft Linh. „Kann man alles im Internet nachschauen und dann nachkochen." Bei Linh in der Küche arbeitet eine Spanierin, von der er sich Anschauungsunterricht holen kann. Sie ist unter anderem für die Paella zuständig.

Linh würde gerne mehr erzählen, aber mit der Sprache hapert es auch nach über 20 Jahren in Spanien noch ziemlich. Besser klappt das beim 20-jährigen Obi, der mit seinen Eltern die alteingesessene Pizzeria Bertoldo in der Avinguda Arxiduc Lluis Salvador in Palma übernommen hat. Seit April ist die Familie Herr über das kleine Restaurant an einer Straßenecke. Vorher hatte Obi mit seinen Eltern in Port d'Alcúdia gelebt. „Dort hatten wir einen kleinen Laden." Dann zog die Familie nach Palma und hörte, dass sich der italienische Besitzer der Pizzeria zur Ruhe setzen wollte.

Der Vorbesitzer habe mehrere Angestellte zu bezahlen gehabt, sagt Obi. Das ging mal besser, mal schlechter. Die Kundschaft kam nicht so regelmäßig wie nötig. „Wir haben den Vorteil, dass wir eine Familie sind und keine auswärtigen Mitarbeiter brauchen", sagt Obi, der seinen Eltern vor allem an den Nachmittagen hilft, schließlich lässt er sich auch noch zum Mechaniker ausbilden. Um die italienische Pizza kümmert sich jetzt sein Vater. „Er hat sich das ganze Wissen angeeignet." Zu Beginn schaute ihm der Vorbesitzer noch über die Schulter, aber inzwischen mache sein Vater das schon sehr gut allein, erzählt Obi.

Mit dem Vater können wir leider nicht sprechen. Er ist des Spanischen kaum mächtig. Außerdem wolle er nicht in der Öffentlichkeit stehen. Ein Foto dürfen wir nicht schießen, auch nicht von Obi. „Nein, das wollen wir nicht", sagt der Sohn höflich, aber bestimmt. Immerhin hat er mit uns gesprochen. Die MZ hat noch fünf weitere von Chinesen übernommene Lokale in der Stadt besucht. In vieren wurden die Reporter mal freundlich, mal weniger freundlich hinauskomplimentiert.

In einer Cafeteria nahe der Plaça Alexander Fleming begrüßt uns zunächst ein sehr freundliches kleines Mädchen in fast perfektem Spanisch. Ihr Vater, offenbar der Besitzer, misstraut uns allerdings und winkt zunächst ab. Als wir insistieren, starrt er demonstrativ auf sein Smartphone, antwortet nicht mehr und dreht uns den Rücken zu. Das kleine Mädchen kichert verlegen.

„Es ist in der Tat nicht ganz einfach, an meine Landsleute heran­zukommen", bestätigt Minwei Jiang. Allerdings müsse man auch Verständnis haben. „Chinesen sind sehr zurückhaltende Menschen, die ihre Arbeit nicht an die große Glocke hängen wollen." Hinzu komme die Sprachbarriere. Im Falle der Eltern von Obi beispielsweise, die Jiang gut kennt, sei da auch noch die Unsicherheit, ob die italienischen Gerichte tatsächlich so schmecken, wie sie sollen. „Der neue Besitzer will noch keine Werbung für sein Restaurant machen, weil er erst einmal richtig gute Pizza machen will", versichert Jiang.

Mitten im Geschäft ist David - so nennt er sich beim MZ-Besuch. Der 27-jährige Chinese betreibt - ebenfalls mit seinen Eltern - die Bar Tempus am Carrer Manuel Azaña nahe des Hauptsitzes der Guardia Civil. Zwar darf man bei ihm Fotos machen, aber auch mit ihm entwickelt sich nur mühsam ein Gespräch. Ganz anders geht David mit seinen Kunden um. Für jeden hat er ein freundliches Wort übrig, er scheint alle persönlich zu kennen. Und das, obwohl zur Mittagszeit ein reges Kommen und Gehen herrscht. David steht an der Bar, während sein Vater in der Küche werkelt.

Als Zehnjähriger zog David mit seinen Eltern aus Guiyang im Süden Chinas zunächst ein Jahr nach Madrid. Dann ging es weiter nach Mallorca. Die Bar Tempus eröffnete die Familie vor drei Jahren. David ist in seinem Viertel komplett integriert. Weil er bereits als Kind auf die Insel kam, spricht er neben einem fast perfekten Spanisch auch Mallorquinisch. So baut man Vertrauen auf. „Wir machen von allem etwas", antwortet er auf die Frage, welche Gerichte angeboten werden.

Mallorquinische Spezialitäten sucht man in der Bar Tempus derzeit noch vergebens. Ja, ein bocadillo mit Serrano-Schinken, das traue er sich inzwischen zu, erklärt David. Aber wenn eines Tages die Kundschaft tumbet und das mallorquinische Spanferkel lechona wünscht, dann werde er sich auch das aneignen. „Ist doch klar. Wir bieten das an, was die Leute wollen."