„Du bewegst dich auf heiklem Terrain. Das kann dich das Leben kosten", heißt es in einer Whatsapp-Nachricht, die Sonia Vivas auf ihrem Handy zeigt. Den Absender kennt sie nicht. Neben der Drohung erhielt die Polizistin am selben Tag aber auch diese Whatsapp: „Bleib so wie du bist, eine ehrliche und wundervolle Person!"

Die beiden Nachrichten stehen für die Reaktionen, die Vivas erhält, seit sie eine öffentliche Person ist. Seit sie Kollegen und Vorgesetzte bei Palmas Ortspolizei wegen homophoben Mobbings angezeigt hat, das von schlechten Scherzen und Beleidigungen über Sachbeschädigung bis hin zu falschen Anzeigen reichte. Seit sie in den sozialen Netzwerken oder auch mit einem Transparent vor Palmas Rathaus auf ihre Situation aufmerksam machte. Und seit sie schließlich vor Gericht erschien, wo ihre Peiniger zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Dass gegen einige von ihnen darüber hinaus im großen Korruptionsskandal von Palmas Ortspolizei ermittelt wird, macht die Sache noch heikler.

Tolerantes Spanien

Während Spanien in der Schwulen- und Lesbenszene heute als eines der tolerantesten Länder weltweit gilt und für die unter dem sozialistischen Premier Zapatero umgesetzte gesetzliche Gleichstellung von Heterosexuellen und Homosexuellen bei Ehe oder Adoption gefeiert wird, legt Sonia Vivas den Finger in die Wunde. Es sei offensichtlich, dass Teile der Gesellschaft mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten hätten, wie die große Zahl von Anzeigen wegen Beleidigungen und Übergriffen zeige. Und offensichtlich sei auch, dass in Bereichen mit ausgeprägtem Korpsgeist wie der Polizei oder dem Militär Strukturen fortbestünden, die weiterhin Diskriminierung förderten.

Vivas wollte von klein auf Polizistin werden, um anderen Menschen zu helfen und für Gerechtigkeit zu sorgen, wie sie sagt. Sie studierte zunächst Sozialpädagogik und Erziehungswissenschaften, bevor sie 2005 als einzige Frau neben rund 90 Männern des Jahrgangs in den Polizeidienst in Palma aufgenommen wurde. Sie entschied sich für die Nachtpatrouillen, unter anderem an der Playa de Palma. Die Probleme begannen, als sie in die Motorradstaffel eintrat - einige männliche Kollegen verstanden es offenbar als Affront, dass sie nun Dienst mit einer offen lesbischen Frau tun sollten. Schnell habe sie den Spitznamen tijeritas (von tijera, Schere) weggehabt, Anspielung auf eine Sexualpraktik. Lesbenfeindliche Kommentare seien an der Tagesordnung gewesen. Aus den Reifen ihres Motorrads wurde beständig die Luft gelassen. Dann landeten Eier auf dem Motorradsitz, auch das eine Anspielung: Tortillera (von tortilla, Omelett) ist ein Schimpfwort für Lesben. Als sie ihren Chef informierte, sei dieser untätig geblieben.

Anzeige erstattete sie, als sie selbst denunziert wurde, wegen eines angeblichen Übergriffs auf einen Festgenommenen. Vivas konnte die Mobbingaktion entlarven - sie hatte an dem Tag überhaupt nicht Dienst gehabt. Zwei Kollegen wurden in Untersuchungshaft eingewiesen, wo sie sechs Monate ohne Aussetzung einer Kaution einsitzen sollten.

Eine bittere Enttäuschung sei gewesen, dass die Mehrheit der Kollegen während der ganzen Zeit geschwiegen habe, statt sie zu verteidigen. „Wenn sie nicht imstande sind, eine Kollegin zu schützen, wie sollen sie dann die Bürger schützen?", fragt die 40-Jährige. Nach der Anzeige sei sie erst recht eingeschüchtert worden, ihr Motorrad wurde gestohlen, an ihrem Haus randaliert.

Angesichts des feindlichen Umfeldes in der Wache von Sant Ferran - ihre Aussage als Zeugin im Korruptionsskandal tat ihr Übriges - wechselte die Polizistin 2016 in Palmas Rathaus, um nicht mit Angehörigen und Freunden der Angeklagten in Kontakt sein zu müssen. Hier baute sie eine Abteilung zur Bekämpfung von Hass-Delikten auf, besuchte Anwohnervereinigungen, Organisationen oder Schulen und leistete mit ihrem Team Pionierarbeit, wie sie sagt. Auch wenn sie ein Opfer sei, habe sie sich nicht in die ihr zugedachte Rolle einfügen wollen. „Viele Kollegen meinten, ein Opfer muss im Bett liegen und Medikamente nehmen." Erst im Vorfeld des Prozesses in diesem Jahr, bei dem sich die zwei Kollegen und ihr Ex-Vorgesetzter verantworten mussten, war sie schließlich krankgeschrieben.

Haftstrafen für die Peiniger

Das im Juni gefällte Urteil spricht eine klare Sprache - auch wenn die Hassdelikte inzwischen verjährt waren und dem Vorgesetzten keine Mitwisserschaft nachgewiesen werden konnte. Die zwei Kollegen wurden wegen ihrer Einschüchterungskampagne und falscher Anschuldigungen zu viereinhalb und zwei Jahren Haft verurteilt.

Eine Rückkehr in die Polizeiwache von Sant Ferran kommt für Vivas nicht infrage. Sie habe den Eindruck, dass nur eine kleine Gruppe aus den Vorfällen gelernt habe, die große Mehrheit dagegen halte sich lediglich aus Furcht vor Sanktionen zurück. Die Polizistin hat sich inzwischen vom Dienst freistellen lassen und ordnet ihr Leben neu. Da kommt ein Angebot der linken Protestpartei Podemos gerade recht, die ihr eine Kandidatur für die Kommunalwahlen in Palma im kommenden Jahr anträgt. Zunächst einmal wolle sie aber während der kommenden Wochen Abstand gewinnen und gründlich nachdenken.

Dass die freigestellte Polizistin ihre Situation intensiv reflektiert hat, wird im Gespräch schnell klar. „Ich wollte wissen, was mir passiert war. Am Anfang hatte ich überlegt, ob ich vielleicht schuld bin." Inzwischen tauscht sich die Polizistin über die sozialen Netzwerke mit Frauen in ganz Spanien aus, die ähnliche Situationen erlebt haben. Vivas kann die Mechanismen hinter dem, was ihr passierte, auch theoretisch erklären. Sie spricht von der Bedrohung, die eine lesbische Frau für die Identität von Polizisten bedeute, deren Einheit mit ihren Hierarchien und ihrem Selbstverständnis eben kein Spiegelbild der Gesellschaft sei. „Ich stand vor der Wahl, ob ich mich wie so viele andere ihrem Spiel füge, die mir zugedachte Rolle akzeptiere und bei den Scherzen, die sie über mich machten, mitlache. Oder ob ich bereit bin, mich ins Fadenkreuz zu stellen."

Und damit die Rolle der konfliktiven Beamtin zu übernehmen. Sie müsse ja nicht ständig betonen, dass sie Lesbe sei, bekam sie zu hören. So als ginge es dabei nur um Sex, und nicht um Identität und Lebensstil. Vivas zitiert ein Sprichwort, nach dem noch immer so einige Spanier lebten: „Gott verzeiht die Sünden, aber nicht den Skandal." Man könne in der Regel tun und lassen, was man wolle, solange man es nicht an die große Glocke hänge.

Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, dass Lesben in der Öffentlichkeit Präsenz zeigten, so wie beim Ella-Festival, das kommende Woche wieder beginnt und Tausende Frauen nach Mallorca lockt (s. Kasten). Aber auch im Alltag sollte sich niemand verstecken, fordert Vivas - sei es bei der Polizei oder anderswo. „Du musst immer du selbst sein können."