Sergio Martínez erinnert sich an eine Teilnehmerin, deren Vater ertrunken war. „Ihr ist es sehr schwergefallen, das Segelschiff zu betreten. Auch beim Baden später mit den anderen Jugendlichen war sie sehr vorsichtig. Die Ausfahrt hat ihr dabei geholfen, sich mit ihrem Schicksal auseinanderzusetzen und wieder mehr Selbstvertrauen zu gewinnen", erzählt der Kapitän der „Galaxie".

Das Segelboot gehört der Stiftung Joves Navegants (Junge Seefahrer), die seit 1992 durch Bootsausfahrten versucht, das Selbstwertgefühl von Jugendlichen, die am Rande der Gesellschaft stehen, wieder zu stärken. Dieses Hilfsangebot war anderswo, etwa in Großbritannien, weit verbreitet, auf Mallorca gab es so etwas noch nicht. Seit 2003 ist man auf der Insel mit der gespendeten und 21 Meter langen „Galaxie" unterwegs.

Früher waren es ehemalige Insassen des Jugendgefängnisses Es Pinaret oder schwerst drogenabhängige Menschen, die wieder auf die richtige Bahn gelenkt werden sollten. Der Kontakt sei über die Jahre hinweg verloren gegangen, so Projekt-Koordinatorin Claudia Suárez. Stattdessen hat man sich 14- bis 18-jährigen Jugendlichen zugewendet, die größtenteils in Sozialeinrichtungen leben. „Ob Alkohol- oder psychische Probleme, Behinderungen oder Gewalt innerhalb der Familie - von ihrem Umfeld haben sie in ihrem Leben oft keine Wertschätzung erfahren", erklärt die Argentinierin, die die Ausfahrten seit einem Jahr koordiniert. Den Kontakt zum 16-köpfigen Team der Stiftung stellen die Sozialarbeiter der Rathäuser der Orte auf der Insel her.

Bis 2016 lag das Projekt wegen der Wirtschaftskrise rund sieben Jahre lang auf Eis. Die nötigen Kosten für die Instandhaltung des Schiffs, das Benzin, die Hafengebühren und die Nahrungsmittel konnten nicht gedeckt werden. Nun segelt die „Galaxie" wieder. Möglich machen dies Spenden von Privatpersonen, Sponsoren und Subventionen der Rathäuser. In diesem Jahr haben bereits neun Einrichtungen das Projekt nutzen können - drei von Mallorca, sechs von Menorca. Sind die bis zu acht Jugendlichen pro Ausfahrt ausgewählt, gehen sie mit zwei Kapitänen und zwei Sozialarbeitern aufs Schiff. Dabei seien die anfänglichen Reaktionen immer die gleichen: „Die Jugendlichen haben keine Lust, eher Zweifel und Angst. Sie misstrauen der Sache. Sie wissen nur, dass sie erst einmal vier Tage lang auf einem Schiff verbringen werden und Aufgaben übernehmen müssen", so Suárez.

Doch Lust würde sehr schnell aufkommen. „Wenn sie verstehen, welchen Einfluss sie auf das Schiff ausüben, wenn sie gemeinsam die Segel gesetzt haben, sind sie überrascht und stolz zugleich. Die meisten von ihnen waren noch nie auf einem Segelschiff. Für sie ist es ein Abenteuer", so Sergio Martínez. Der Mallorquiner erklärt ihnen, wie man verschiedene Knoten macht, wie sie je nach Windrichtung die Segel zu setzen haben und wie man auf dem Meer die Orientierung behält.

Durch die vielen Aufgaben, die sie während der Ausfahrt bekommen und in der Gruppe erledigen müssen, sollen sie sich bewusst werden, dass sie eine wichtige Rolle innerhalb einer Gruppe spielen, sehr wohl etwas wert sind und auch Eigenverantwortung essenziell ist. Dadurch, dass sie drei Tage lang durchgehend beschäftigt sind, bleibt ihnen, so Suárez, gar keine Zeit, um auf dumme Gedanken zu kommen. „Wir sammeln auch die Han­dys ein. Nur wenn die Tagesaufgaben geschafft sind oder ein Jugendlicher mal ein Foto machen will, dürfen sie die Geräte kurz benutzen", so die 53-jährige Argentinierin.

Obwohl es nur ein dreitägiger Ausflug ist, sehen die Organisatoren am letzten Tag verglichen mit dem ersten oft deutliche Veränderungen im Verhalten der Jugendlichen, erzählt Jesús Coll, ebenfalls Kapitän. Auch viele Freundschaften werden unter den Teilnehmern, die sich vorher untereinander nicht kannten, geschlossen. „Wenn jemand so begeistert war, dass er im Anschluss eine Ausbildung im Schifffahrtsbereich machen möchte, helfen wir ihm dabei", so Suárez.