Es ist wenige Monate her, da kannten sich Joana Bestard (66), Carmen Torres (56) und Margalida Villalonga (65) noch gar nicht. Jetzt sitzen sie vertraut zusammen am Nähtisch in Inca auf Mallorca, plaudern und lachen. Bestard ist Profi, wenn es ums Sticken geht. Torres kann „das Übliche, was man so braucht, um zu Hause die Kleidung der Kinder zu flicken", Villalonga bezeichnet sich als blutige Anfängerin. So wichtig sei das aber gar nicht. „Hier wird viel geredet und wenig gearbeitet", erklärt Bestard lachend. „Und das ist auch in Ordnung so." Vor ihr steht ein Döschen mit Aufnähern. Darauf ist „Punts amb Vida" (Sticken mit Herz) gedruckt. „Das ist unsere Marke", erklärt sie. Und gleichzeitig auch der Name des soziokulturellen Projekts, das rund 20 Frauen in Inca zu einem launigen Nähkreis vereint - Verstärkung willkommen.

Keine Verpflichtungen

Dreh- und Angelpunkt ist Antònia Triguero (45). Gut gelaunt sitzt sie am Nähtisch und befestigt bunten Stoff an einem Leinenbeutel. „Heute machen wir Einkaufstüten, denn die verkaufen sich momentan am besten", sagt sie. Es war ihre Idee, die Frauen zusammenzubringen. Und auch ihre Idee, das seit Jahren leer stehende Ladenlokal an Incas Plaça Santo Domingo als Verkaufs- und Arbeitsraum herzurichten. An der großen Glasfront ist das Logo von „Punts amb Vida" befestigt, im Eingangsbereich erklärt ein Schild kurz den Hintergrund des Projekts. „Ziel ist es, dass Menschen einen Anlaufpunkt haben, an dem sie in Gesellschaft Dinge erschaffen können", so Triguero. Sie ist seit Jahren in zahlreichen sozialen Projekten aktiv und weiß, dass vor allem alte Menschen häufig vereinsamen. „Oft sind sie aber begabt in Näharbeiten. Damit das nicht verloren geht, haben wir das Ladenlokal hergerichtet." Jeden Montag-, Mittwoch- und Freitagnachmittag kann hier kommen, wer will. „Manche kommen nur an einem Tag, manche bleiben nur eine Stunde, da gibt es keine Verpflichtungen", so Triguero.

Dass trotzdem auch produktiv gearbeitet wird, zeigt der Ausstellungsbereich. Liebevoll hat die Gruppe dort die fertigen ­Textilprodukte platziert. Handgeschriebene Preisschilder zeigen den Verkaufswert: Taschen für 18 Euro, Mützen für 8 Euro, Tassenwärmer für 5 Euro, Babylätzchen für 9 Euro und Handyhalter - natürlich auch aus Stoff - für 6 Euro. „Die Preise sind niedrig, denn wir wollen ja möglichst viel verkaufen", so Triguero. Jeden Monat entscheiden alle gemeinsam, an welches gemeinnützige Projekt der Erlös gehen soll. An die Betreuer der Katzenkolonien, an kranke Kinder, an die Tafel in Inca. „Wir legen uns da nicht fest. Hauptsache, es ist ein Projekt auf den Balearen." Für sich behalten die Frauen nur so viel, um die Wasser- und Stromkosten für das Lokal decken zu können. „Es steht schon lange zum Verkauf. Der Besitzer überlässt es uns so lange mietfrei, bis er einen Käufer gefunden hat. Das wird hoffentlich noch lange dauern."

Professionelles Design

Stoffe, Nadeln, Knöpfe und alles, was es sonst noch zum Nähen braucht, beziehe „Punts amb Vida" hauptsächlich durch Spenden von Privatleuten, berichtet Ana Siles (49). Die gelernte Designerin wohnt eigentlich in Palma, wo sie auch ein Atelier betreibt, kommt aber ursprünglich aus Inca und war begeistert, als sie von der „Punts amb Vida" -Idee hörte. „Da unsere Mittel begrenzt sind, müssen wir oft kreativ werden", sagt sie und zeigt die Lagerräume. Tüten voller Knöpfe und Stoffreste stehen hier herum. „Letztens brachte uns ein Herr einen ganzen Batzen dieser Schinkenverpackungen aus festem Polyester", berichtet Siles und deutet auf einen Stapel unförmiger schwarzer Säcke. „Erst wussten wir gar nicht, wie wir die verwenden können, aber dann haben wir das hier daraus gemacht", sagt Siles und hält eine schicke Handtasche hoch. An Schinken erinnert daran nichts mehr.

Früher einmal, vor dem Leerstand, berichtet Siles, habe das Lokal den örtlichen Seniorenclub beherbergt. „Wir haben die Böden poliert, die Fensterrahmen gestrichen und den Strom neu verlegt. Wenn wir bald wieder gehen müssten, wäre das schade." Das Wichtigste aber sei das gute Klima in der Gruppe. „Zur Not müssen wir uns dann eben einen anderen Ort suchen."

Siles und Triguero würden auch gern jüngere Menschen in ihre Reihen aufnehmen. Sie anzulocken sei aber gar nicht so leicht. Siles könnte sich Workshops vorstellen, bei denen Produkte entstehen, die Jugendliche ansprechen. Auch, damit die alte Handwerkskunst an die neuen Generationen weitergegeben werden kann. „Das wollen wir auf jeden Fall in Angriff nehmen, aber vermutlich werden wir auch durch Mundpropaganda nach und nach mehr Leute werden." Auch Männer seien selbstredend willkommen - trauten sich bisher aber nur bedingt in den Kreis. „Nur einer ist oft dabei, der ist aber mit einer unserer Frauen verheiratet und will nicht nähen, sondern kümmert sich lieber um alles drumherum." Stoffe abholen, Regale bauen, aufräumen. „Letztlich geht es bei dem Projekt auch darum, durch kreative Handarbeit oder nützliche Hilfsarbeiten neue Seiten an sich selbst zu entdecken und bei der Arbeit aufzublühen. Bei allen, die kommen, funktioniert das wirklich gut", so Siles.

Tatsächlich ist im Hauptraum mittler­weile großes Geschnatter ausgebrochen. ­Antònia Triguero schneidet Muster zurecht und plaudert nebenbei mit ihrer Sitznachbarin. ­Carmen Torres steht am Bügelbrett und glättet Stoffe, die sie an andere Frauen weitergibt. ­Joana Bestard befestigt gekonnt die ­Markenaufnäher. Sie sprechen über den Zauber der Heiligen Drei Könige, über neue Produkt­ideen, über dies und jenes. Und ganz nebenbei wächst der Stapel fertiger Einkaufsbeutel weiter an.

„Punts amb Vida", Plaça Santo Domingo, 11, Inca. Wer mitmachen will oder die fertigen Produkte ­kaufen möchte, kann montags, mittwochs und ­freitags zwischen 16 und 19 Uhr vorbeikommen. ­Infos auf www.facebook.com/puntsambvida