Einen neuen VW-Käfer oder eine Finca im Hinterland von Mallorca? Die Frage stellte sich Anna und Wilfrid Rossner 1978 - preislich hielt sich damals beides die Waage. Das Häuschen gewann. „Dass es ausgerechnet Son Macià wurde, lag nur daran, dass der Immobilienmakler keine Zeit hatte, uns auch Häuser in anderen Gegenden zu zeigen", erinnert sich die Düsseldorferin und lacht. Tatsächlich ist die Standortwahl nicht gerade naheliegend. Das kleine Örtchen liegt weder am Wasser noch in idyllischer Bergkulisse, sondern rund sieben Kilometer außerhalb von Manacor. Jetzt feiert es sein 100-jähriges Bestehen.

Die MZ trifft das Ehepaar aus dem Rheinland auf dem Dorfplatz. Die Rossners stechen nicht aus der Gruppe Mallorquiner heraus, die mit ihnen zusammen an den Tischchen des Café Sa Forn sitzen - einer von vier Bars im Ort. „Es ist nicht spektakulär hier, aber die Gemeinschaft ist großartig", sagt Wilfrid Rossner. Sein Sitznachbar, der 70-jährige Guillermo Mascaró, prostet ihm zu.

Als die Rossners damals in Son Macià ankamen, waren sie die ersten Deutschen, die es in ein Dorf zog, in dem die Zeit stehen geblieben schien. „Damals, Ende der 70er-Jahre, gab es kein fließendes Wasser, keinen Fernsehanschluss, und das einzige Telefon befand sich auf dem Dorfplatz", sagt Anna Rossner.

„Abenteuerurlaub", pflichtet ihr Mann bei. Trotzdem haben die beiden ihre Entscheidung in keinem Moment bereut. Den Zusammenhalt hätten sie bereits am ersten Tag gemerkt, als die Nachbarin mit einem Präsentkorb voller Essen als Willkommensgeschenk vorbeischaute. „Das war meine Mutter", sagt eine Mallorquinerin Mitte 60, die sich als Maria Mascaró vorstellt, ebenfalls mit am Tisch sitzt, und Anna Rossner freundschaftlich den Arm drückt. Spätestens seit die Rossners vor 15 Jahren in den Ruhestand gingen und nicht nur ihre Ferien, sondern auch ganzjährig ihren Alltag auf der Insel verbringen, sind sie eng befreundet, gehen zusammen zum Gymnastikkurs, zur Handarbeitsgruppe oder zum Tanzen.

„Der Rentnerverein Club de Tercera Edad hat vieles zu bieten", sagt auch Wilfrid Rossner. Und überhaupt: Von einem verschlafenen Dorf könne nicht die Rede sein. „Fast jeden Monat finden hier Feiern statt, vor allem jetzt, im Jubiläumsjahr", so Anna Rossner. Miquel Sureda wiegt abwägend den Kopf. „Na ja, die meisten Einwohner kommen vor allem zum Schlafen hierher und arbeiten außerhalb", sagt der Vorsitzende der Nachbarschaftsvereinigung. Tatsächlich sieht Son Macià auf den ersten Blick nicht so aus, als tobe hier das wilde Leben. Autos fahren kaum durch die wenigen Straßen, das höchste Gebäude ist zwei Stockwerke hoch, es gibt weder Banken noch Geldautomaten und auch das Postamt ist seit einigen Jahren geschlossen. „Aber wir haben vier Bars, eine Autowerkstatt, zwei Friseure, einen Supermarkt, eine Apotheke, einen Schreiner und zwei Schmiede", zählt Sureda auf. „Und ich gebe ja zu: Dank der engagierten Anwohner ist es ein sehr aufgeweckter Schlafsaal", scherzt er.

300 Menschen wohnen im Ortskern, weitere 500 in abgelegenen Fincas auf den Hügeln drumherum. „Im Zentrum kennen wir uns alle, die meisten von uns sind sogar verwandt", sagt Anwohnerin Maria Mascaró. Statt über die Nachnamen geben die Namen der Wohnhäuser Aufschluss darüber, über wen man gerade redet. Miquel Sureda beispielsweise sei allen nur als „Miquel Guinei" bekannt, weil er im Ca'n Guinei wohnt. Und Magdalena Alcover werde mittlerweile mit „Magdalena Maniu" gerufen. „Ich komme aus Manacor und habe in den Ort eingeheiratet, bin also fast schon Ausländerin", sagt Alcover und lacht. „Aber nach mehreren Jahrzehnten akzeptiert man mich, glaube ich." Natürlich müsse man etwas dafür tun, um in Son Macià aufgenommen zu werden. „Wir haben uns von Anfang an eingebracht, anders geht es nicht", so Wilfrid Rossner, der wegen seiner Finca Ca'n Patró mittlerweile Wilfrid Patró genannt wird. Von einem solchen Vertrauensbeweis seien viele andere Deutsche, die in den vergangenen 20 Jahren immer mehr Fincas im Umland errichteten, weit entfernt. „Die kennt man dann gar nicht, aber das ist auch in Ordnung."

Seinen Namen verdankt das Dorf dem alten Herrenhaus Son Macià, von dem aus einst die Landwirtschaft in der Gegend gelenkt wurde. „Es gab damals schon etwa 500 Bewohner, die auf dem Land um das Herrenhaus herum angesiedelt waren. Aber ihnen fehlte eine Kirche und ein Ortszentrum", erzählt Sureda. Der Gutsherr Martí Mayol spendete dem Bistum mehrere Parzellen Land, mit der Auflage, auf einer ein Café, auf einer eine Weinkellerei und auf einer einen Dorfplatz zu errichten. Am 6. Juni 1919 wurde der erste Stein für die neue Kirche gelegt. „Sie hielt nur 50 Jahre und musste 1969 wieder abgerissen werden. Aber wir alle haben mit angepackt und 1970 die heutige Kirche errichtet", sagt Anwohner Damián Barceló (75). Überhaupt habe das gemeinsame Anpacken immer schon dazugehört. „Wir haben auch die Hauptstraße mit unseren eigenen Händen verbreitert, als immer mehr Menschen sie befuhren, um zum Küstenort Cales de Mallorca zu kommen", fügt sein Schwager Guillermo Mascaró hinzu.

„Ich schätze, diese Verbundenheit mit dem Dorf und die Gemeinschaft rührt auch daher, dass hier einst alle recht früh Kinder bekamen und man seine Urgroßeltern noch kannte, die ihr enges Verhältnis zur Landwirtschaft und zu diesem Ort weitergaben", vermutet Miquel Sureda. Mit der zunehmenden Anzahl an ausländischen Bewohnern und Zugezogenen vom spanischen Festland ändere sich das natürlich. „Nicht, dass das schlecht ist. Aber es ändert halt einiges. Das Café Can Pelut beispielsweise war früher das erste Haus im Dorf und fest in der Hand der Mallorquiner. Heute hat es deutsche Betreiber und zieht fast nur noch ausländische Gäste an."

Gleichzeitig belebten die Zugezogenen das Dorf natürlich auch. So wie Stephanie Eichner aus Berlin. Die Anfang-40-Jährige spricht fließend Spanisch und wird im Dorf l'alemanya amb els tres al.lots genannt - die Deutsche mit den drei Kindern. „Natürlich schätze ich die Ruhe hier, aber ich würde auf keinen Fall sagen, dass Son Macià einem Schlafsaal gleicht. Im Gegenteil." Zur weiterführenden Schule müssten ihre Kinder zwar mit dem Bus nach Manacor fahren, aber Freizeitangebote gebe es genug. „Und in meinem Alter gibt es viele Festlandspanier, die ebenfalls offen für Kontakte sind."

Denn ganz so einfach wie den Rossners damals wird es den Neulingen seitens der Mallorquiner heute natürlich nicht mehr gemacht. „Wir sind eben sehr eigen, aber an Humor fehlt es uns nicht", sagt Guillermo Mascaró. Damián Barceló pflichtet ihm bei. „Stimmt. Vielleicht beantragen wir bald die Unabhängigkeit Son Maciàs von Spanien. Das wäre doch mal was."

Anlässlich des Ortsjubiläums sind das ganze Jahr über Veranstaltungen geplant. Nähere Infos unter www.facebook.com/sonmacia