Den Traum vom Auswandern nach Mallorca hegen viele Deutsche. Doch was, wenn alles gehörig schiefläuft? Wenn aus dem Traum ein Albtraum wird? Bernd hat das am eigenen Leib erlebt. Als er vor knapp 16 Jahren nach Mallorca auswanderte, hatte er noch große Pläne. Sein Leben auf der Sonneninsel genießen, fern vom grauen Deutschland, frei sein. „Erst konnte ich als angestellter Handwerker arbeiten", so der gelernte Maurer. Dann machte er sich in Palma selbstständig, war beschwingt. „Doch mit der Wirtschaftskrise ist alles den Bach runtergegangen", berichtet Bernd.

Er musste sein Unternehmen aufgeben, konnte die Miete nicht mehr bezahlen, landete auf der Straße, suchte Trost im Alkohol. Eine Abwärtsspirale. Acht Jahre lang hauste er in einem improvisierten Planenzelt nahe einem Park in Palma, klaubte sich seine täglichen Mahlzeiten aus den Almosen deutscher Urlauber zusammen - ähnlich wie rund 100 andere deutsche Obdachlose auf der Insel. Viel tiefer als er könne man kaum fallen, so Bernd 2017 in einem Interview in der Vox-Auswanderersendung „Goodbye Deutschland." Trotzdem klammerte er sich an die Hoffnung auf Besserung: „Das Leben ist wie eine Lotterie. Vielleicht geht es mir irgendwann ja mal richtig gut", sagte er damals.

Heute, keine zwei Jahre später, kann Bernd zumindest behaupten, dass es ihm deutlich besser geht. Auch wenn es nicht die Insel war, die ihm sein Glück bescheren sollte, sondern der Verein Wunderfinder e.V. „Mit Mallorca habe ich abgeschlossen. Für mich war es die beste Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren", berichtet der 54-Jährige der MZ am Telefon. Seit Dezember hat er eine eigene Wohnung in Dinslaken (NRW), bekommt Wohnungsgeld vom deutschen Staat, hat seinen Alkoholkonsum reduziert, macht Therapie und integriert sich in die Gemeinschaft des Mehrfamilienhauses. Als die MZ ihn an die Strippe bekommt, hilft er gerade dabei, eine andere Wohnung im Gebäude zu renovieren.

Den Entschluss, dem Mittelmeerklima nach all den Jahren den Rücken zuzukehren, habe er lange durchdacht. „Klar ist es angenehmer, bei milden Temperaturen draußen zu übernachten als im kalten Deutschland. Aber ohne nötiges Kleingeld wird es auf Mallorca auf die Dauer unerträglich", so Bernd, den in der Obdachlosenszene der Insel alle nur „Bernardo" nannten. In seinen letzten Jahren in Palma hatte er noch versucht, mit einem Seifenblasen-Unterhaltungsprogramm bei den Urlaubern zu punkten. Um wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag kaufen zu können. „Je mehr die Hotelpreise stiegen, desto weniger Geld hatten die Leute für einen armen Spinner wie mich übrig. Und auch mit der Krankenversorgung in Spanien war es schwierig."

Er sparte lange, setzte dann mit der Fähre nach Barcelona über. Ein halbes Jahr verbrachte er auf dem spanischen Festland, bis er Geld für einen Flug nach Deutschland zusammen hatte. Im August 2018 traf der Rückkehrer in Dinslaken bei Düsseldorf ein. Ein Freund dort hatte ihm zugesagt, er könne bei ihm unterkommen. „Das hat dann nicht so geklappt", so Bernd bedauernd. Doch er hatte Glück. „Die Wunderfinder haben mich auf einer Parkbank angesprochen. Sie sind wirklich ein Wunder."

Tatsächlich macht der gemeinnützige Verein „Wunderfinder e.V.", der obdachlose Menschen in Dinslaken unterstützt, einen engagierten Eindruck. Sowohl, was die nett gestaltete Homepage angeht, als auch das Treffen mit dem Vorsitzenden Ludger Krey, der seinen Mallorca-Urlaub auch dazu nutzt, um sich mit der MZ zu treffen. „Bernds Geschichte ist eine Erfolgsstory", so Krey, der sich genau wie die anderen gut 20 aktiven Mitglieder ehrenamtlich im Verein engagiert. Seit März 2017 helfen die Freiwilligen Bedürftigen, geben regelmäßig warmes Essen und Hygieneartikel am Bahnhof in Dinslaken aus. „Wir sind eine Schnittstelle zwischen den Bedürftigen und den Profis, vermitteln an die Ämter oder kirchliche Einrichtungen. Immer, ohne die Menschen zu bewerten", so Krey.

Im September starteten die Wunderfinder auch ihr erstes Wohnprojekt in einem privaten Mehrfamilienhaus. Dass es gerade Bernd war, der dort eine der kleinen Sozialwohnungen beziehen durfte, sei kein Zufall gewesen. „Wir kennen die Leute durch den regelmäßigen Kontakt ziemlich gut. Und Bernd ist einer, der tatsächlich Willen zeigt und in der Lage ist, seine Situation zu verbessern", so Krey. „Auch wenn es für ihn natürlich eine ganz schöne Umstellung war, plötzlich nicht mehr im Freien zu schlafen."

„Ich musste mich erst mal daran gewöhnen", bestätigt Bernd. Fast neun Jahre auf der Straße prägten eben. „Vor allem in den ersten Wochen hat er automatisch auf jedes kleinste Geräusch im Gebäude wachsam reagiert", erinnert sich Krey. Er und die anderen Vereinsmitglieder sind weiter in engem Kontakt mit Bernd. „Alle drei, vier Tage schaut einer von uns bei ihm vorbei. Auch er hat mal Tiefphasen, wie wir alle, aber grundsätzlich schlägt er sich sehr gut", so Krey zufrieden.

Vor einigen Monaten stellten die Wunderfinder den Kontakt zu Bernds Familie bei Hannover her. Mit der hatte sich der Niedersachse schon vor seiner Auswanderung verkracht. „Wir haben uns getroffen und ausgesprochen", erzählt Bernd. Mittlerweile kann er lächeln, wenn er das Familienfoto an der Wand seiner Wohnung in Dinslaken betrachtet. Mittel­fristig, so der 54-Jährige, könne er sich schon vorstellen, noch mal halbtags zu arbeiten. Hausmeistertätigkeiten machen ihm Spaß. Oder Fahrradreparaturen. „Ich habe wieder Ideen. Es geht mir gut."

Dass nicht alle Obdachlosen den Absprung schaffen, weiß Wunderfinder-Vorsitzender Ludger Krey nur allzu gut. Den Mallorca-Urlaub mit seiner Lebensgefährtin Gaby Qualmann nutzte er auch, um einen alten Freund von Bernd aufzusuchen. Ralph, ebenfalls deutscher Mallorca-Auswanderer und seit Jahren obdachlos, lebt noch immer in El Arenal auf der Straße. Bei „Goodbye Deutschland" wurde er damals als unzertrennlicher Gefährte von Bernd vorgestellt. „Wir wollten Ralph Bernds aktuelle Handynummer geben und haben ihn auch tatsächlich gefunden", erzählt Krey. Anders als Bernd könne sich Ralph kein Leben in Deutschland mehr vorstellen - trotz der Sozialleistungen, die dort auf ihn warten. „Er sagte uns, er wisse genau, wo er auf der Insel erwünscht sei und wo Urlauber ihm mit Spenden über die Runden helfen. Nicht alle Bedürftigen sind in der Lage, sich dem ­Sozialsystem in Deutschland zu unterwerfen", bewertet Krey. Jeder müsse seinen eigenen Weg gehen. Wichtig sei nur, nicht aufzugeben.

www.wunderfinder-dinslaken.de