Geschichten erzählen zu können, ist ein Talent. Und Geschichten mitreißend erzählen zu können, ist nur wenigen Menschen in die Wiege gelegt. Heinrich Breloer ist einer von ihnen. Man hört dem Autor und Filmregisseur, der 1944 in Gelsenkirchen geboren wurde, gerne zu. Das weiß er natürlich genau. Deshalb schreibt er Bücher, unter anderem den bekannten Inselroman „Mallorca, ein Jahr" aus dem Jahr 1995, und deshalb macht er Filme, sogenannte Doku-Dramen. Zum Beispiel „Die Manns - ein Jahrhundertroman", „Die Buddenbrooks" oder jetzt „Brecht". Die zweiteilige Fernsehproduktion über den Augsburger Dramatiker und Lyriker lief am Samstag (6.7.) beim Atlàntida Film Fest in Palma, nachdem er im Februar auf der Berlinale Premiere hatte und im März im Fernsehen zu sehen war.

Breloer empfängt die MZ an der Kirche des Weilers Es Carritxó nahe Felanitx mit seinem Mietwagen, einem Opel. Wir folgen ihm über eine Staubpiste auf den Berg hinaus. Mehrere hundert Meter geht es durch Schlaglöcher und an Mäuerchen vorbei zu Breloers persönlichem Paradies, einer Finca, die er gemeinsam mit seiner Frau jedes Jahr für zwei Monate anmietet. Auf der Terrasse mit unverbautem Fernblick über die Landschaft unter anderem zum Puig de Sant Salvador beginnt Breloer zu erzählen. Von seinem Tag am Es-Trenc-Strand, wo er morgens um acht schwimmen war und dann einen Mann dabei beobachtete, wie dieser einen überlebensgroßen Schwan aufgeblasen hat. „Wie der Mann so dakniete und dem Schwan in seinen Bürzel blies, das war ein Bild für die Götter", sagt der Geschichtenerzähler.

Wie kam es dazu, dass Ihr Brecht-Zweiteiler beim Atlàntida-Festival gezeigt wurde?

Das war ein Zufall. Jaume Ripoll, der Organisator des Festivals, hatte beide Filme bereits in Deutschland bei einer Vorführung gesehen. Dass sie jetzt hier auf Mallorca gezeigt werden, habe ich erst vergangene Woche erfahren. Das Lustige war, dass die Organisatoren gar nicht wussten, dass ich ohnehin auf der Insel bin.

Sie sind ein bekennender Mallorca-Fan.

Ich komme seit 35 Jahren auf die Insel, in den vergangenen sieben Jahren immer in diese Finca. Hier ist es so friedlich, es ist herrlich. Aber ich bringe natürlich immer Arbeit mit. Ich bin nicht nur zur Erholung hier.

Wie bitte? Der Zweiteiler „Brecht" hat Sie bis vor ein paar Monaten über acht Jahre hinweg beschäftigt, Sie sind 77 und könnten längst in Ruhestand gehen - und da sitzen Sie schon am nächsten Projekt?

Das glaubt mir keiner, dass ich hier schon wieder arbeite. Ich habe es auch sonst niemandem gesagt. Hier lese ich viel, schreibe ein bisschen und probiere ein paar Sachen aus. Ich habe noch keinen Vertrag für einen neuen Film. Ich will hier ein, zwei Ideen durchspielen, ausprobieren, wie sich eine Geschichte erzählen lässt. Wie so oft wird es ein Thema zur deutschen Geschichte sein. Ein Versuch, den Menschen zu zeigen, wie es gewesen sein könnte.

Soll es wieder um eine Person oder diesmal um ein Ereignis gehen?

Es ist noch zu früh, das zu sagen. Ich möchte noch einmal einem breiten Publikum eine interessante Geschichte erzählen. Mich faszinieren die großen Figuren, die man auf diese Weise besser kennenlernen kann. So wie Brecht auch. Wir tragen alle Brecht in uns, aber niemand hat ihn wirklich kennengelernt. Jetzt habe ich ihn vom Sockel gebeten, nicht heruntergeholt, wie manche Kritiker schrieben, und einen Umgang auf Augenhöhe ermöglicht. Ein Kennenlernen. Die Menschen können ihm in seinem Leben zusehen und sich ihre Gedanken machen. Eine erste Annäherung an diesen widersprüchlichen Menschen.

Wie lief das ab, dieses Kennenlernen während Ihrer Arbeiten für den Film?

Das waren zwei Etappen. 1977 habe ich in Augsburg die damals noch lebenden Freunde und Schulkameraden Brechts besucht und mir von ihm erzählen lassen. Mit Kamera und Tonband. Der 90-Minuten-Film „Bi und Bidi in Augsburg" war das Ergebnis. Bi, das war seine erste Jugendliebe, die Schülerin Paula Banholzer. Für Paula, die ein Kind von ihm bekam - damals ein Skandal -, war das eine überwältigende Erfahrung. Eigentlich eine Zumutung. Sie sagte mir, er sprach, sie habe nur zugehört, kaum gesprochen. Die zweite Recherche-Reise habe ich in den vergangenen acht Jahren zu den Mitarbeitern Brechts vom Berliner Ensemble gemacht. Es geht da um die Jahre der Rückkehr aus dem Exil nach Ost-Berlin, die Zeit von 1949 bis zum Tod 1956.

Wie trat er anderen Menschen gegenüber?

Er hatte einen Blick für die Möglichkeiten, die Begabungen der Menschen in seiner Nähe. Er wollte sie verändern, ermutigen zu schreiben, zu spielen, zu fotografieren, zu malen und selbstbewusster zu werden. Er war Pädagoge.

Wenn man es negativ sieht, könnte man sagen, er hat die Menschen ausgenutzt, vor allem seine Frauen.

Die Frauen bekamen in seinem Lebensroman Rollen. Er hat den Frauen in seiner Nähe aber auch immer etwas gegeben. Er war für alle eine Zumutung - im doppelten Sinn. Er verlangte viel - oft den Umbau einer Person in Richtung auf sein Leben, seine Arbeit. Manchmal mussten die Frauen dabei leiden. Vor allem, wenn sie erlebten, dass sie nicht die einzigen waren. Bei der Arbeit und im Bett. Da hat es auch Selbstmordversuche gegeben. Andererseits war er rasend eifersüchtig. Alle Frauen, aber auch die Männer, sollten ihm treu sein. Verrat an Brecht - das war fast unverzeihlich.

Wieso konnte er sich das erlauben?

Es gab da eine Aura von Genie, die er um sich verbreitet hat. Die konnte er sicher im Gespräch überzeugend hochfahren. Und dann waren es oft die emanzipierten Frauen, Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen, die seine Nähe suchten. Im Exil war da die junge Schauspielerin Margarete Steffin, mit der er zusammen an seinen Stücken arbeitete. Ein Berliner Arbeiterkind, das ihm die Dramen korrigierte. Sie wurde in seiner Nähe zur Schriftstellerin.

Im zweiten Teil des Films zeigen Sie Brecht als älteren Dramaturgen in Ost-Berlin. Wie arrangierte er sich mit der Parteidiktatur der SED?

Brecht hatte sich auf diese Rückkehr vorbereitet. Im Gepäck hatte er die Stücke, mit denen er am Aufbau eines neuen, anderen Deutschland nach der Nazi-Diktatur, am Aufbau des Sozialismus mithelfen wollte. Er war Kommunist, aber kein Dogmatiker, wie die Regierung es war und sich wünschte. Als er von den Verbrechen und massenhaften Morden Stalins Genaueres erfuhr, dachte er: „Auch der Ausbruch aus der Barbarei kann noch barbarische Züge haben." Er glaubte, dass sich der Kommunismus eher humanisieren ließ als der Kapitalismus. Brecht war dennoch bei den Oberen der DDR nicht beliebt, er war ihnen unheimlich. Und er wehrte sich gegen die Partei. Er schrie herum und war hysterisch, wenn ihm etwas nicht passte. Und er baute in Ost-Berlin ein Ensemble auf, das auch in den Westen herübergestrahlt hat. Er hatte wohl nie damit gerechnet, dass seine Werke im Westen derart stark konsumiert würden.

Sie verschlangen nach Ihrer Zeit in einem erzkatholischen Internat ja selbst Ende der 60er-Jahre Brecht-Literatur. War Brecht Wegbereiter für die 68er-Bewegung?

Man darf den Einfluss nicht überbewerten. Es ist nicht gesagt, dass es nicht auch ohne Brecht zu den gesellschaftlichen Umbrüchen in Deutschland gekommen wäre. Aber sein Werk hat sicher einen Teil dazu beigetragen.

Sie haben an „Brecht" acht Jahre gearbeitet und mehrere Wochen in Prag gedreht. Wie schaffen Sie solche Kraftakte mit 77 Jahren?

Das Geheimnis ist: Ich mache es gerne, das Projekt hat mich so begeistert, dass ich in

einem solchen Moment kein Alter spüre. Da ist man mit all den Leuten zusammen, die auf den Punkt fit sein müssen. Da wird man nicht krank, man lebt möglichst gesund, fast wie ein Spitzensportler. Auch wenn man inzwischen sehr viele Minuten pro Tag drehen muss. In Prag war ich jeden Morgen als Erster um sieben Uhr am Set und habe abends um halb zwölf als Letzter mit dem Kameramann den nächsten Tag besprochen.

Klappt der Körper zusammen, wenn die Anspannung nach dem Dreh abfällt?

Ich habe dann zwei intensive Jahre im Schneideraum bei der Montage verbracht. Als der Film fertig war, kam die Tournee durch die Kinos. Und dann hat es mich erwischt. Ich bekam eine schwere Lungenentzündung, die mich mehrere Wochen außer Gefecht gesetzt hat. Jetzt allmählich bin ich wieder fit. Ich habe 16 Pfund abgenommen, mein Nachbar auf Mallorca hat mich gar nicht mehr wiedererkannt. Seit der Krankheit habe ich keinen Schluck Alkohol getrunken, was auf Mallorca mit seinen großartigen Weinen eine schwere Charakterprüfung wird.

Sie haben mit „Mallorca, ein Jahr" vor fast 25 Jahren einen viel gelesenen Inselroman verfasst. Gibt es Szenen, die so heute nicht mehr funktionieren, weil sich die Insel verändert hat?

Damals sah noch vieles aus wie auf den alten Postkarten von Mallorca. Auf den engen Wegen schlich man mit dem Auto hinter einem Eselskarren her. Ich habe damals gelernt, was mañana heißt: Vielleicht morgen, vielleicht noch in dieser Woche. Mal sehen. Auf den Marktplatz in Llucmajor kam damals noch der Scherenschleifer. Das folkloristische, aber noch arme Mallorca hat sich gewandelt. Es ist viel Geld auf die Insel gekommen. Und das alte Mallorca ist wegmodernisiert worden.

Nur nach außen hin, oder hat sich auch die Mentalität der Menschen verändert?

In Llucmajor gab es früher diese beiden Gaststätten. In der einen haben sich die Franquisten getroffen und in der anderen ihre ehemaligen Opfer. Ganz ohne Aufsehen. Inzwischen wird über das Regime gesprochen, und die Bürgerkriegsopfer werden ausgegraben. Ich habe ja das Ende der Diktatur auf Mallorca miterlebt - auch an den Stränden. Und ich muss sagen: Ich habe selten einen Ort gesehen, an dem sich die Menschen nach dem Ende einer Diktatur so schnell auszogen wie hier.

Was sagen Sie zu der Diskussion um den Tourismus auf der Insel?

In Prag hat der Massentourismus die Stadt fest im Griff und zertrampelt sie, das habe ich während der Dreharbeiten zu „Brecht" erlebt. In Palma kommt man zumindest noch mit dem Auto in die Stadt. Und ich glaube, dass die Debatte um die mögliche Kerosinsteuer, aufgehübscht mit einer Portion Flugscham, die Menschen dazu bringt, sich ihre Kurztrips für einen oder zwei Tage zu verkneifen. Sonst wird man für Mallorca noch einen Mindestaufenthalt von zwei Wochen vorschreiben (lacht).

Abschließend: Glauben Sie, Brecht hätte an Mallorca Gefallen gefunden?

Brecht am Strand von Mallorca ist unvorstellbar. Mit schöner Landschaft oder Baden im Meer konnte er wenig anfangen. Bei der Arbeit an der Dreigroschenoper in Sanary-sur-Mer stand er mit hochgezogener Hose in der ersten Welle, die Zigarre im Mund und diskutierte mit seinem Komponisten Kurt Weill Handlung und Lieder des späteren Welterfolgs.